Ein tanzbestimmtes Wochenende in drei Etappen in Berlin: Die Foundation Dance & Creative Wellness lud Experten aus dem Gesundheits- und Wellnessbereich, Tänzer und Bewegungspraktiker in ihrem zweiten Forum zum Gedankenaustausch in die Studios des Staatsballetts Berlin. Das Ensemble tanzte am Abend jeweils unterschiedliche Programme im Schillertheater. Ein Besuch in der Staatlichen Ballettschule Berlin rundete mein intensives Programm ab.
Etappe 1: Das Forum
Das erste Forum der Dance & Creative Wellness Foundation in Amsterdam 2016 erwies sich als nachhaltig: Staatsballetts Berlin-Tänzerin Soraya Bruno hat in der Folge zusammen mit Anneli Chasemore und Stephanie Greenwald wöchentliche Tanzstunden mit Multiple Sklerose (MS)-Patienten initiiert, die sich nun zu einer inklusiven Veranstaltung entwickeln. Die Drei holten auch das diesjährige internationale Forum nach Berlin, wo es von der Vize-Intendantin des Staatsballetts Berlin Dr. Christiane Theobald in dessen Studios eröffnet wurde.
Dass Tänzer davon überzeugt sind, dass Tanzen ein Heilsbringer ist, sind old news. Die Foundation Dance & Creative Wellness will es aber nicht bei einer Glaubensbekenntnis belassen, sondern versucht diese in Zusammenarbeit mit Experten aus dem Gesundheits- und Wellnessbereich mit Fakten zu untermauern (tanz.at berichtete). Die jährlichen Foren sollen mittels Impulsreferaten, Think Tanks und Workshops eine Standortbestimmung der bestehenden sowie Trends für zukunftsweisende Tanzinterventionen vornehmen. So widmete sich das Referat von David Leventhal, dem Programmdirektor von Dance for PD der Mark Morris Dance Company (New York) der Frage nach einem „sustainable business model for Dance & Wellness“. Ebenso inspirierend wie seine aus der Erfahrung abgeleiteten Vorschläge für ein nachhaltiges Geschäftsmodell war sein Tanzstunde, an der auch Berliner MS-Tänzer teilnahmen. Noch mehr praktische Inputs für einen inklusiven Unterricht konnten sich Interessierte am darauf folgenden Tag bei einer Reihe von Workshops holen, etwa in den Themenbereichen Improvisation, Body Image oder das Imginäre.
Dass nicht nur Menschen mit neurologischen und physischen Krankheiten von einer regelmäßigen Tanzpraxis profitieren könnten, davon zeigte sich der Psychiater Dr. Andrew McWilliams aus London überzeugt. Anhand einiger drastischer Beispiele aus seiner Praxis reflektierte er in seinem Referat „Mental wellness & mental health as a global matter“ über die Schwierigkeiten mentale und psychische Krankheiten überhaupt zu erkennen, bevor man die Ursachen behandeln könnte.
Die Direktoren der Dance & Creative Wellness Foundation, Clare Guss-West, Andrew Greenwood und Eldridge Labinjo gestalteten das Forum auch diesmal bewusst ergebnisoffen. Anregungen aus dem diesjährigen Treffen werden in ganzjährigen Arbeitsgruppen bzw. im Programm des „Dance & Creative Wellnes Forum 2018“ in Aix-en-Provence weitergeführt werden, wo die Compagnie Angelin Preljocaj als Gastgeber fungieren wird.
Für Berlin könnten sich die gestarteten Initiativen jedenfalls als strategisch kluge Ergänzung zum Education Programm „Tanz ist KLASSE“ erweisen, das seit zehn Jahren vielfältige Angebote für Kinder und Jugendliche bietet. Mit diesen Outreach-Offensiven ist das Staatsballett Berlin gegenwärtig jedenfalls Vorreiter unter den klassischen Compagnien Mitteleuropas.
Etappe 2: Die Aufführungen
Die künstlerische Zukunft des Ensembles sieht zur Zeit nicht so rosig aus, und das nicht erst seit der Bestellung des Intendanten-Duos Sascha Waltz und Johannes Öhman (tanz.at berichtete). Auch Nacho Duato bewies in den letzten drei Jahren als Intendant ein wenig glückliches Händchen. Das hohe tänzerische Niveau der Compagnie beweisen die Tänzerinnen und Tänzer jedoch nach wie vor, etwa mit den äußerst unterschiedlichen Balletten an zwei aufeinander folgenden Tagen: „Herrumbre“ des Ballettchefs am 31. März und Balanchines „Jewels“ am 1. April.
In „Herrumbre“ („Rost“) behandelt Nacho Duato die permanenten Verstöße gegen die Erklärung der Menschnrechte, die 1948 von der UNO verabschiedet wurden. Mit einer mobilen eisernen Bühnenkonstruktion (Jaffar Chalabi) werden Mauern, Gefängnisse, Trennungswalle gebaut, die die Menschen voneinander trennen. Duato wurde für seine Bilder des Schreckens 2004, als das Werk für die Compañía Nacional de Danza entstand, von den Reportagen über das US-Gefangenenlager in Guantanamo inspiriert.
Misshandlungen, Folter, Vergewaltigungen von den Hütern der Staatsgewalt gegenüber Aufständischen werden in diesem dunklen Werk tänzerisch vorgeführt und akustisch durch den metallenen Sound der Kompositionen von Pedro Alcalde und Sergio Caballero verstärkt. In diesen Gewaltexzessen bleibt kein Platz für Poesie: zarte Ansätze in dem einen oder anderen Pas de deux werden bald von den Schergen unterbrochen. Und doch ist man als Zuschauer seltsam unberührt von diesem Treiben, das vor Augen führen soll, wie Menschen gebrochen und entwürdigt werden. Vielleicht ist Duatos Bewegungsduktus zu glatt, vielleicht die Gewalt zu plakativ, vielleicht lenkt das wiederholte Hantieren mit dem Bühnenbild vom emotionalen Impakt ab. Vielleicht gehen die Bilder aber nicht über die mediale Wirklichkeit hinaus. Um dieser etwas entgegen zu setzen müsste der Künstler eine andere Perspektive eröffnen. Bei Duato ist es aber bei einer Wiederholung bzw. einer ästhetisierten Imitation der Realität geblieben.
Ein größerer Kontrast dazu als Balanchines tänzerisch funkelnde „Jewels“ ist wohl kaum vorstellbar. 2016 kam der Dreiteiler in Berlin zur Premiere, neu ausgestattet vom spanischen Modeschöpfer Lorenzo Caprile. In elegantem Grün glitzern die „Esmeralds“ zur Musik von Gabriel Fauré. Zu dem lyrischen Solopaar Krasina Pavlova und Marian Walter bilden die herbe Aurora Dickie mit Arshak Ghalumyan einen interessanten Kontrapunkt. Pures Feuer, das sind die „Rubies“ zur Musik von Igor Strawinsky. Iana Salenko sprüht vor Temperament, sexy, kokett und quirlig dominiert sie die Bühne und umgarnt ihren Partner Dinu Tamazlacaru. Die mit dem Paar alternierende Solistin Elena Pris gab an diesem Abend – noch etwas verhalten – ihr Rollendebut. Das imperiale russische Ballett wird von den edlen „Diamonds“ zu Tschaikowskys dritter Symphonie (ohne den ersten Satz) verkörpert, mit Ksenia Ovsyanick und Denis Vieira als Solisten. Alle drei Teile der „Jewels“ waren extrem sauber und inspiriert getanzt - ein Hohelied auf die klassisch akademische Schule!
Diese wird in der Staatlichen Ballettschule Berlin sorgfältig gepflegt. Auch wenn die Namen ähnlich klingen, die Schule hat organisatorisch mit dem Staatsballett Berlin nichts zu tun. Beide sind voneinander unabhängige Einheiten und bremsen daher einander auch nicht aus. Im Gegenteil: Während das Staatsballett wie gesagt unsicheren Zeiten entgegengeht, baut die Ballettschule ihre Aktivitäten nach und nach aus. Das Direktionsduo Ralf Stabel und Gregor Seyffert garantieren seit 2003 eine künstlerische und verwaltungstechnische Kontinuität, die am 31. März mit der Gründung des „Landesjugendballetts der Staatlichen Ballettschule“ einen weiteren Meilenstein setzte.
Etappe 3: Die Schule
Die Sonne meinte es gut mit den Besuchern der deutschen Hauptstadt. Temperaturen über 20 Grad brachten einen Blütenschub an den Bäumen der großzügigen Berliner Alleen und Plätze. Ganz besonders aber lohnte sich das schöne Wetter bei meinem Besuch in der Staatlichen Ballettschule Berlin, denn das neue weiße Gebäude mit seinen großzügigen Grünflächen strahlte an diesem Tag ganz besonders.
„Transparenz“ ist das Zauberwort für Direktor Ralf Stabel, der persönlich die tour d'école führte. Das Gebäude mit seinen zehn Studios ist lichtdurchflutet. Das Foyer ist von Fensterfronten vorne und hinten eingerahmt. Große Fenster in den Studios erlauben Einblicke von außen und innerhalb des Gebäudes. Ebenso freundlich und hell sind die allgemeinen Unterrichtsräume und das angeschlossene Internat gestaltet. Die riesige Halle für die Artistenschule, die mit der Ballettschule gemeinsam verwaltet wird, ist ebenfalls Teil des Campus.
Außerdem laden an einem sonnigen Tag wie diesem Liegeflächen und Wiesen zum Abhängen ein, und das mitten in der Stadt, denn die Schule befindet sich in einem Hotspot Berlins, dem Prenzlauer Berg. Wer würde in einem derart einladenden Ambiente nicht gerne seine Tage verbringen? Mittlerweile sind das in der Ballettschule 117 Mädchen und 58 Burschen aus insgesamt 25 Ländern.
Seine Aufgabe, meint Stabel, sei es für die Studenten bestmögliche Bedingungen zu schaffen. Das Schlüsselwort „Transparenz“ beziehe sich daher nicht nur auf die Architektur des Hauses, sondern auch auf die Bewertung der Studenten, die an der Schule neben ihrer beruflichen Ausbildung auch einen universitären Bachelor-Abschluss absolvieren können. Und so pflegen die Lehrer in diesem Gralshüter des klassischen Tanzes einen zeitgemäßen, kollegialen Umgang mit den Balletteleven. Es scheint sich zu lohnen, denn nach der Schulzeit landen die jungen Tänzerinnen und Tänzer zum Großteil in einem Engagement.
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