In der 50. „steirischer herbst“-Ausgabe wird nicht nur zurückgeblickt, sondern auch so manch bereits vorgestellter, wichtiger Künstler nochmals eingeladen. Solches gilt für Mette Ingvartsen, die mit „7 Pleasures“ schon 2015 zu Gast war (tanz.at berichtete) und nun mit „To come (extended)" das Festival eröffnete,. Simon Mayers choreografisches Konzert „Oh Magic“ folgte.
"To come (extended)" - nur teilweise erweitert gedeutet
Mette Ingvarsten begibt sich mit „To come (extended)" in den Rahmen der Programmschiene “re-visited“ des Herbstfestivals: Es war 2005, als sie nach Schulabschluss bei P.A.R.T.S. mit ihrer ersten Arbeit „To come“ auf sich aufmerksam machte.
Wahrlich nicht nur durch die damals wie jetzt verwendeten Ganzkörperanzüge in Blau. Kostüme, die 2005 Geschlechtsunterschiede aussparen oder zumindest verwischen sollten. Bei ihrer neuen, jetzigen Version sollen sie die Menschen also solche gleichmachen, ihr Tun verallgemeinern. Und das gelingt ihr damit ganz hervorragend; „erweitert“, unterstrichen übrigens auch durch die Bestuhlung im Kreis, die derart das Publikum andeutungsweise egalisiert. Abgesehen von einer anhaltenden Faszination der blau schillernden Farbkleckse auf weißem (Boden)Untergrund, bewirkt die kalte Farbe eine Distanzierung und macht aus den sich Bewegenden, aus den Menschen, modifizierte Wesen. Durch Inneres wie auch Äußeres getriebene Wesen einerseits, zu relativ gleichgültig und emotionslos sich Fügenden andererseits.
Fundamental scheint ein allumfassendes Bestreben nach einem Miteinander, ein vor allem, aber nicht nur sexuell motiviertes. Logische Folge: mehrfach sich miteinander, ineinander arrangierende und letztlich reglose Körper-Installationen. Die gegenseitigen Berührungen sind sowohl „handgreiflich zur Sache kommend“ wie auch am kritischen Punkt abgestoppt. Eine Diskrepanz? Gemeinsam ist ihnen in weitgehend deutlicher Ausprägung eine Art von „letztem“ Respekt: Unbewusste Überreste sozialen Verhaltens? Gleichgültigkeit? Letztere ist jedenfalls ein Faktor in der Zuwendung, sowohl was das Tun als auch die damit verbundene Person betrifft.
Der Versuch, neben den offensichtlich sexuellen die weitgehend verdeckten anderen Ebenen ausmachen zu können, gibt dem Geschehen einen zusätzlich anregenden, herausfordernden Reiz sowie einen nicht wenig großen Tiefgang. Das dabei entdeckte Sozialverhalten und politisch gelenkte Geschehen ist so manches Mal scharfäugig beobachtet, wohlüberlegt visuell umgesetzt und „metaphorisch“ der Realität entnommen.
Alles bisher Gesagte bezieht sich auf den „ersten“ Teil, der übrigens in (wohltuender und konzentrationsfördernder) Stille über die Bühne läuft. Beim Erklingen einer Geräuschkulisse verschwinden die Tänzer: Ihrer Anzüge entkleidet, aber in Schuhen kommen sie wieder und gruppieren sich: Ein kollektives, rhythmisches Lust-Stöhnen setzt ein, ein sehr lang andauerndes. Ein letztlich ermüdendes, denn so viel von dem, was im ersten Teil variiert angedeutet wurde, ist nun – ja, nicht zu sehen, sondern zu hören; aber eindimensional reduziert auf „to come“ in seiner allerengsten Bedeutung. Sie machen es gut, die 15 Tänzer, also die auf andere Akrobatik als die der Stimme Trainierten. Einzig die durch grenzenlose Offenheit und Allgegenwärtigkeit von allem und jedem verursachte Undifferenziertheit unseres angeprangerten Verhaltens kommt hier als Sich-Einfügen, Nachmachen, Anpassen besonders deutlich zum Ausdruck.
Wenn im „dritten Teil“ die Künstler sich mehr oder weniger locker und frei im Swing-Tanz austoben, ist zwar hineininterpretierbar, dass Emotionen und partnerbezogener Sozialkontakt möglich und angenehm sind, aber das ist denn doch ein bisschen wenig als künstlerische Aussage.
Dass auch das darauffolgende „große (Fr-)Essen“, die Premierenfeier also, Teil der Performance sei….? Das Konstatieren der von uns allen (?) übernommenen und ständig (?) eingesetzten erotischen Signale und das Bemerken der uns Umgebenden könnte und sollte vielleicht eine Reaktion auf das soeben Erlebte sein. Derart Sensibilisierte hätten dann also Kunst internalisiert.
"Oh Magic" - du bist unergründbar
Simon Mayer, der bekanntlich seine Karriere als Tänzer-Choreograph begann, ist ein sehr Vielseitiger: Zum steirischen herbst brachte er ein „choreographisches Konzert“ mit. Es handle sich also primär um Musik, möchte man glauben. Ja, gewissermaßen, aber dennoch verwehrt er sich im Publikumsgespräch insofern dagegen, als alle Sparten – Klang, Bewegung, Technik, Kostüme, Licht - zusammenarbeiten: „ohne Unterschied“. Dass er Genre-Abgrenzungen aufzuheben versucht, zeigte sich schon in seinen ersten, dem Tänzerischen noch eng verbundenen Arbeiten. Mit zunehmender Konsequenz nähert er sich nun dem „Gesamtkunstwerk“. Das Ziel ist dabei ist nicht nur ein bei ihm schon immer vorhandenes Aufzeigen von gesellschaftsimmanenten Ritualen, sondern das Präsentieren eines Rituals als solches. Diese Form, Spirituelles in einem weiteren Sinne, soll sich einerseits wieder enger mit Kunst verbinden, andererseits die gezogenen Grenzen zum Zuseher auflösen.
Im „ersten Teil“ der Performance ist es das ungewöhnliche Zusammenspiel mit der Technik, das dominiert: Vom ersten Augenblick an, wenn ein kleiner Scheinwerfer mit umherschweifenden „Blick“ ins Publikum „schaut“, wenn ein Mikrofonständer selbständig seine Umgebung erkundet und scheinbar seinen Sprecher sucht, wenn das Klavier sein eigenes Spiel spielt – ob mit oder ohne Zutun oder auch im Zusammenspiel mit der Pianistin: Sofort wird klar, dass die Grenze zwischen Lebewesen und Technik in Auflösung begriffen ist und sein soll.
Amüsant und charmant sind die Szenen, die sich da im doch (noch) ungeübtem Miteinander entwickeln; Dirigent Mayer - selbstverständlich im Frack - bemüht sich großgestisch redlich um die Seinen, ohne dass er einer allgemeinen Verselbstständigung Einhalt bieten kann: Ob das seine eigene Stimme ist, die sich scheinbar in Eigeninitiative artikuliert und schließlich in den summenden Chor der anderen fügt oder die Triangel. Oder aber Schlagzeuger Patric Redl, der als erster in einer fulminanten Reihe (improvisierter) Bewegungs-Soli überkommene Bühnen-Strukturen sprengt: Der „zweite Teil“ hat begonnen, der große Befreiungsakt (der einengende Kleidung selbstverständlich inkludiert) nimmt seinen Lauf. Seinen individuellen und den im ungeregelten Zusammenspiel mit jedem und allem.
Nicht ganz „mit jedem und allem“, und damit manifestiert sich eine und insbesondere für dieses Projekt fundamentale Grenze: die zum Publikum, das in frontaler Auffädelung vor der „vierten Wand“ sitzt. Es mag noch so begeistert sein von diesem kraftvollen Zusammenspiel, von diesem Loslassen imposanter Kräfte von Mensch und Material; es bleibt passive Zuseher-Schar, muss es bleiben, jedenfalls in diesem Rahmen an diesem (und auch an fast jedem anderen) Ort. Und damit bleibt, von zahlreichen weiteren strukturellen Gegebenheiten ganz zu schweigen, eine der Grundintentionen der Performance, die Auflösung dieser und so manche andere Grenze, unerfüllt. Eine letztlich ebenso wenig neue Erkenntnis wie die, dass Magie des Theaters, der Kunst allgemein, keine greifbare, keine definierbare Größe werden könne – sosehr Mayer mit viel Einsatz dieses große Rätsel hier und gemeinsam mit dem Publikum klären will. Annäherungen an Formen davon sind beschreibbar und erlebbar, finden statt – in Ansätzen auch hier.
Mette Ingvartsen: “To Come (extended)” am 22. September in der Helmut List Halle;
Simon Mayer: „Oh Magic“ am 24. September im Dom im Berg, im Rahmen von "steierischer herbst", Wien-Premiere am 19. Oktober im MQ Halle G (als Veranstaltung von brut). Folgevorstellungen am 21., 24. und 25. Oktober.