Kenneth MacMillan, Wayne McGregor und Frederick Ashton sind die Namen des Premierenabends an der Wiener Staatsoper. Sie stehen für drei unterschiedliche Epochen der britischen Balletttradition. Ashton hat sie „erfunden“, MacMillan weiterentwickelt und McGregor kreiert daraus aufregend Neues. Ein Programm, das zeigt, wie sorgsam das kreative Ballettschaffen auf der Insel gepflegt wird. Und das Wiener Staatsballett tanzte es als ob der britische Stil ganz der seine wäre.
„Concerto“ von Kenneth MacMillan zum 2. Klavierkonzert von Dmitri Schostakowitsch ist ein hochmusikalisches Werk, das den Meister von Handlungsballetten (etwa von „Manon“, „Mayerling“ oder „Romeo und Julia“) von einer anderen Seite zeigt. Mit dem 1966 an der Deutschen Oper Berlin entstandenen Stück begab er sich auf die Spuren von George Balanchine, und blieb doch dem Stil der Royal Ballet School treu. Etwa mit den flinken, kleinen Schrittfolgen des Ensembles im ersten Satz, in dem Nikisha Fogo und Denys Cherevychko mit temperamentvollem Bravour auftrumpften. Dass dem Ensemble im dritten Satz eine Solistin gegenübersteht, ist einem Unfall zuzuschreiben. Kurz vor der Premiere hatte sich der Partner der Ballerina den Fuß gebrochen, sie musste allein auftreten – und ein Solo ist es seither geblieben. In Wien wirkte Alice Firenze auf diesem einsamen Posten noch etwas verloren.
Im Mittelteil wird MacMillans choreografische Stärke für Pas de deux offensichtlich. Das Duett zum Adagio-Satz wurde ausdrucksstark von Nina Poláková und Roman Lazik getanzt. Die beiden sind ein Traumpaar der abstrakten Neoklassik, die ihnen offensichtlich ganz besonders liegt. Die tänzerische Harmonie wurde musikalisch von Igor Zapravdin am Klavier und dem Orchester unter der Leitung von Valery Ovsyankov kongenial begleitet.
War MacMillan in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts für das Royal Ballet prägend, so ist das heute zweifelsohne der derzeitige Residenzchoreograf Wayne McGregor. Seine Arbeiten entstehen in einem Dialog und einer Auseinandersetzung mit Wissenschaft und Forschung. „Eden | Eden“, 2005 für das Stuttgarter Ballett kreiert, ist eine Reflexion über das Klonen zum Soundtrack von Steve Reich („Dolly“ aus der Videooper „Three Tales“). Der Baum in McGregors Garten ist kahl, es gibt auch keine Schlange. Die Videobilder von Ravi Deepres evozieren Chimären aus menschlichen Gestalten und Schafen. Da taucht aus dem Boden der erste Bewohner auf, nach und nach füllen immer mehr Gestalten die Bühne. In ihren eng anliegenden Trikots und Gummikappen erscheinen die TänzerInnen wie uniforme Wesen, Klone eben. McGregor treibt das klassische Bewegungsidiom in eine neue Richtung, wie sie die heutigen Tänzeranatomien mit ihren hypergedehnten und ultraflexiblen Bewegungsmöglichkeiten offerieren. Es ist ein atemloser Lauf wider die Natur, der mit einer hypnotischen Wirkung einhergeht. Und so gelingt McGregor auch in diesem Ballett eine Verkörperung des Unbehagens an den neuen Technologien, das die bahnbrechenden Errungenschaften begleitet. Für die Wiener TänzerInnen war dieser Stil absolutes Neuland und sie haben es souverän erobert. Als besonders McGregor-Affin erwiesen sich bei der Premiere Natascha Mair, Masayu Kimoto und Francesco Costa.
Mit „Marguerite and Armand“ machte der Abend noch eine Kehrtwende ins 19. Jahrhundert. Frederick Ashton hatte dieses Werk 1963 für Margot Fonteyn und Rudolf Nurejew in Anlehnung an Alexandre Dumas’ „Kameliendame“ choreografiert. Vor 50 Jahren gaben die beiden auch an der Wiener Staatsoper einige Vorstellungen der herzzerreißenden Liebesgeschichte von Marguerite und Armand (die in Verdis „La Traviata“ Violetta und Alfredo heißen). Das sind übergroße Fußstapfen, die wohl nur einige Wenige füllen können wie es generell schwierig ist, Werke die für spezielle TänzerInnen kreiert wurden zu übertragen.
Doch Ashton-Werke lässt man nicht einfach mit seinen ProtagonistInnen sterben … selbst wenn sie wie in diesem Fall choreografisch nicht wirklich überzeugen können. Da wären die Abendgesellschaften im Hause des Herzogs, bei dem die Verehrer von Marguerite über die Statistenrolle nicht hinaus kommen. Armands hüpfender Auftritt in den Salon mit dem Rücken zum Publikum oder die entschiedenen Gesten, mit dem er den viel älteren Herzog in die Schranken weist, wirken eher befremdlich. Um derartige Mängel auszugleichen und den emotionalen Impakt zu garantieren, setzt man in London für die Rolle der Marguerite auf erfahrene Tänzerinnen (zuletzt etwa mit Alessandra Ferri). In Wien meisterten Liudmila Konovalova und der blutjunge Jakob Feyferlik die schier unmögliche Aufgabe tapfer, doch mit bemerkenswert distanzierter Coolness. Den dramatischen Impakt lieferte da schon eher Shino Takizawa mit ihrer Interpretation der Klaviersonate in h-Moll von Franz Liszt.
Wiener Staatsballett: „MacMillan | McGregor | Ashton“, Premiere am 31. Oktober 2017 an der Wiener Staatsoper. Weitere Vorstellungen am 3., 6., 10. November 2017, 8., 9., 12. Juni 2018