Komponistenkult. Das Beethoven-Jubiläum im Jahr 2020 habe ihn angespornt, so erklärte Hamburgs Ballettchef John Neumeier im Vorfeld seiner jüngsten Uraufführung, endlich eine tänzerische Annährung an die Musik des großen Komponisten zu versuchen. Die Eroica-Variationen, Kammermusik, das Prometheus-Ballett und die Dritte Sinfonie (Eroica) bildeten den musikalischen Rahmen für eine nicht immer gelungene Mischung aus Handlungs- und Sinfonischem Ballett zur Eröffnung der 44. Ballett-Tage.
Ursprünglich nur ein Arbeitstitel gefiel John Neumeier die Überschrift „Beethoven-Projekt“ auch noch in späteren Produktionsphasen und schließlich ließ er sie so stehen. Der Verweis auf den Projektcharakter des Stückes beschreibe, so erklärte er, seine Annäherung und Auseinandersetzung mit der Musik Beethovens. Und tatsächlich findet man in Neumeiers Stück wieder, dass es nicht als Ganzes konzipiert wurde. Die Szenen bieten keine verbindliche Lesart. Betont wird das Fragmentarische, Bruchstückhafte. Musikausschnitte, eine kleine Klangcollage, sinfonische Elemente, aber auch mehr oder weniger konkrete Charaktere. Aleix Martínez, der „ein Tänzer als Ludwig van Beethoven“ ist, wandert staunend durch die weite Welt. Seine Phantasien und Kreationen umfluten, ja peinigen ihn. Seine Finger bewegen sich wie beim Klavier- oder Orgelspiel. Vorsichtig und nervös. Erst später rauschen die Kompositionen, die Musik aus ihm heraus. Große Gesten, ein Dirigent, ein Meister, dem der Applaus entgegenschallt. Trotz hohem Pfeifton in den Ohren.
Aleix Martínez wirft sich mit Elan und Engagement in seine Rolle. Doch diese dankt es ihm nicht, nein, sie macht es ihm schwer, bleibt hölzern und schablonenhaft. Und auch die Pas de deux von Edvin Revazov und Anna Laudere als Apollo und Terpischore (Prometheus-Ballett) wirken, obwohl technisch perfekt getanzt, unterkühlt und turnerisch. Es gibt zahlreiche große Ensembleszenen mit dynamischen Bewegungsabläufen, doch auch hier will der Funke nicht so recht überspringen. Dabei haben Tanz und Musik eigentlich viel Raum zur Entfaltung. Das Bühnenbild von Heinrich Tröger ist auf wenige Stellwände und Farben reduziert. Die Kostüme von John Neumeier sind schlicht und einfarbig. Weiß, gedecktes Blau und Rot.
Bleibt die Musik. Vor allem die Eroica zählt bekanntlich zu jenen Werken, die mit kompositionellen Gewohnheiten gebrochen und ihre Zuhörer immer schon gefordert haben. Zu unserem Glück hat Beethoven nur selten Rücksicht genommen. Auch nicht auf seine Musiker. Als beispielsweise der Violinist Ignaz Schuppanzigh, der zu Beethovens wichtigsten Musikerkollegen gehörte, einmal klagte, der Komponist verlange, Unspielbares zu spielen, giftete dieser zurück: „Glaubt er, daß ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?“ Das Philharmonische Staatsorchester unter der Leitung von Simon Hewett hatte aber offensichtlich lange genug geübt und kam mit den hohen Anforderungen der Kompositionen gut zurecht. Sowohl aus dem Orchestergraben als auch mit den Tänzern auf der Bühne stehend, konnten die Musiker Beethovens Klangpalette ausdrucksvoll und fein nuanciert aufzeigen.
Im Frühjahr hat John Neumeier, der das Hamburg Ballett seit 1973 leitet und inzwischen dienstältester Ballettdirektor der Welt ist, seinen Vertrag bis 2023 verlängert. Und die Hamburger werden ihm sicher auch weiterhin gewogen sein. Auch nach schlechten Rezensionen. Und sowieso, die Kritiker! Eine Plage, fand Beethoven: „Wie abscheulich, wie niedrig erlaubt man sich so leicht über unß herzufallen.“
Hamburg Ballett: „Beethoven-Projekt“, Premiere am 24. Juni 2018 an der Staatsoper Hamburg. Weitere Vorstellungen am 6.7. und 20.10., 1.11., 2.11., 7.11., 8.11.2018 sowie am 22.6.2019
Hamburger Ballett-Tage noch bis zum 8. Juli 2018