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consonanceNeukreationen von Štěpán Pechar, Menghan Lou, Dustin Klein und Peter Walker. Sonnenuntergangsstimmung. Mitten in einer Pose in die Leere der Bühne modelliert: vier typische Tänzerkonturen mit gerundeten Armen und durchgestrecktem Rist. Das formschöne, einzige abstrakte Ballettstück – dynamisch, ohne Ecken, Hänger oder Kanten – gibt es am Premierenabend „Junge Choreografen“ im Münchner Prinzregententheater zum Schluss. Wer vorher ging, der verpasste ein flinkes, ephemeres Spiel um Tempo und Zeit.

Sobald in Peter Walkers „consonance – tempo giusto“ die unbekümmert-beschwingte Musik des britischen Komponisten Oliver Davis einsetzt, formen Ksenia Ryzhkova, Dmitrii Vyskubenko, Prisca Zeisel und Jinhao Zhang, momentweise zu Paaren oder Trios zusammengefasst, symmetrische Abfolgen. Aus ihren Körpern, die mit Leichtigkeit durch die Luft segeln und sich akkurat umeinander drehen, entstehen zauberhafte Geometrien. Nicht einmal Balanchine hätte diese raffinierter zeichnen können.consonance2

Matteo Dilaghi – für Augenblicke kniender Ruhepol im Zentrum – klinkt sich strahlend ins virtuose Vokabular ein. Die drei Männer verketten sich, driften als mobile Einheit um ein Solo. Alles in dieser choreografischen Architektur des 26-jährigen Amerikaners aus dem New York City Ballet entwickelt sich organisch. Bleibt stets im Fluss.

Denkbar groß war somit der Kontrast zum Vorangegangenen. Gemäß dem Konzept der von Kompaniechef Igor Zelenksy 2017 begründeten Plattform für international aufstrebende Nachwuchstalente ließen auch Štěpán Pechar vom Tschechischen Nationalballett in Prag, Menghan Lou aus Chongqing in China und Staatsballett-Halbsolist Dustin Klein ihren Ideen und bewegungsmotorischen Vorstellungen freien Lauf. Hemmungslos authentisch, atmosphärisch filmschnittartig verpackt bzw. bewusst realistisch-drastisch.

Waste2Ganz zu Beginn arbeiten sich Dunkin Seo und Ziyue Liu sehr eindrücklich, wenngleich doch etwas zu lang daran ab, gemeinsam ins Glück zu finden. Er versucht im Rennschritt die Bühne zu überqueren. Sie kippt, die Arme nach ihm ausgestreckt, immer weiter nach hinten weg. Als sich das Paar endlich zu fassen bekommt, ziehen acht schwarze Doubles es wieder auseinander.Waste

Was Pechar bewegt, bringt er schnell und deutlich auf den Punkt. „Waste“ greift die Verschwendung von Lebenszeit und -energie für Unwesentliches auf. Seine Bewegungssprache knallt physisch in den Raum hinein – wie bald ein Haufen Müllsäcke. Die werden unmissverständlich durch die Luft gewuchtet und krachend auf den Boden geschleudert, bevor sie fast alles und jeden unter sich begraben.

tofromBei Lou, seit drei Jahren freischaffend, schwingt in „To & From“ (Musik: Thijs Pieter Schelle) der Erfahrungsschatz vieler Jahre als Tänzer beim Nederlands Dans Theater mit. Seine Art des Erzählens ist subtiler und fragmentierter. Blickfang am Boden ist eine große Lichtarena. Acht tolle Darsteller – darunter Jonah Cook und Séverine Ferrolier sowie nochmals Dunkin Seo und Ziyue Liu – zirkeln darum und verfangen sich im Innern geschmeidig zu Duetten.

Im Abseits versteinern ihre Figuren als seien sie Personen auf alten Fotografien. Sie sollen erkunden, wie Heimat, Zugehörigkeit bzw. emotionale Nähe und Ferne sich anfühlt. Das erschließt sich zwar nicht direkt, die schwarzgrauen Bilder aber, die Lou und seine Interpreten mit Hilfe von Lichteffekten und Stühlen aus dem Theaterfundus schaffen, wirken unglaublich stark.tofrom2

Am weitesten vom Genre Ballett entfernt hat sich Dustin Klein. In „Abferkeln“ nimmt der gebürtige Landsberger die Beziehung von Tier, Züchter und Konsument unter die Lupe. So schonungslos anschaulich, dass er am Ende sogar selbst das treuherzig blickende Schlachtvieh verkörpert. Wir sehen Blut und erleben ein exquisit besetztes Schweinequartett im Pyjamalook (mit Feuereifer bei der Sache: Jonah Cook, Matteo Dilaghi, Erik Murzagaliyev, Maria Daniela Gonzales). Leider rutschen ihre scharf am Objekt beobachteten Floorwork-Aktionen (Musik: „One Pig“ von Matthew Herbert) passagenweise in den Hintergrund.

abferkeln2Die Inszenierung wird mit Witz und überzeichnendem Sarkasmus von Schauspieler Luis Lüps getragen. Von ihm, dem redseligen Bauern, Schlachter, Metzger und Koch, erfährt man Fakten über Fakten. Dabei unterstützt ihn bestens Grafikdesigner Paul Putzar, der weiße Sauköpfe und -leiber in 3D über die Wand eines exemplarischen Schweinestalls aus Gazestoff tanzen lässt. Choreografie im Dienst eines sozialkritischen Schaustücks. Bei einer Wiederaufnahme bietet sich der Wechsel auf die Bühne der Kammerspiele an!

Ballettabend „Junge Choreografen“: Neukreationen von Štěpán Pechar, Menghan Lou, Dustin Klein und Peter Walker für das Bayerische Staatsballett. Premiere am 4. Juli 2018 im Münchner Prinzregententheater

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