Mit zarten, grünen Lichtlinien wird ein Haus in den schwarzen Bühnenraum gezeichnet, in dem ein einzelner Tänzer anfängt seinen Körper zu strecken, zu beugen, zu verrenken. Dabei knatscht es ganz gewaltig. Ist es der Sound des Körpers oder ein Widerhall des „virtuellen“ Gebäudes? „Models of Reality“ verortet futuristische Menschen in einem akustischen Raum, in dem sie in einer Art Geräuschsprache miteinander kommunizieren.
Mit seiner raffinierten Verschränkung von Technik und Live-Performance lotet Chris Haring und seine famose Gruppe Liquid Loft das Verhältnis von Mensch und Maschine aus, ein Thema, das auch die AusdruckstänzerInnen vor hundert Jahren beschäftigte. Der Unterschied zu damals ist keineswegs ein rein formaler, denn Haring geht einen bedeutenden Schritt weiter: seine TänzerInnen haben die Technik in der Hand.
Nach jahrelanger Auseinandersetzung mit visuellen Medien, konzentriert sich Liquid Loft in seiner Serie „Foreign Tongues“ auf akustische Signale. Aus den Lautsprechern, den die PerformerInnen in der Hand halten, dröhnen Stimmen, Wasserglucksen, Knarren, Knatschen, Knirschen, Ächzen, Stöhnen - Geräusche, die sich gleichzeitig in ihren Körperbewegungen manifestieren. Ihre Äußerungen kontrollieren sie über kleine i-Pods. Dialoge entstehen, wir verstehen sie über die Körperhaltungen und die Intonation, die verzerrten und gehäkselten Geräusche selbst klingen wie sinnloses Gebrabbel, das sich zu einer Kakophonie steigert, wenn sich die TänzerInnen zu einer Gruppe formen und (wohl kontrollierte) Knäuel bilden.
Als ZuschauerIn ist man eine Stunde lang dieser Welt ausgeliefert, in der diese futuristischen Menschen miteinander spielen, interagieren, raufen, einander zärtlich umarmen. Ein innovatives Kreativ-Team – neben dem Choreografen Chris Haring wirkt Andreas Berger als Komponist und Sounddesigner und Thomas Jelinek als Lichtdesigner und Szenograf – und die großartigen TänzerInnen Luke Baio, Stephanie Cumming, Dong Uk Kim, Katharina Meves, Dante Murillo, Anna Maria Nowak, Arttu Palmio und Hannah Timbrell machen daraus ein faszinierenden Erlebnis.
Die akribische Inszenierung verordnet den DarstellerInnen ein überaus diszipliniertes Agieren, hält sie in Dauerspannung, damit die akustischen und körperlichen Teile zueinander passen. Man kann das als dystopische Weltsicht interpretieren, doch ich meine, Harings „Models of Reality“ sind nicht wertend. Vielmehr konzentriert sich seine künstlerische Forschung mit beinahe wissenschaftlicher Distanz auf eine posthumane Zukunft, die bereits begonnen hat. Die Frage, inwieweit sich in dieser Welt die Kommunikation noch an der menschlichen Sprache orientiert, ist eine äußerst spannende.
Liquid Loft „Models of Reality“ am 22. Februar 2019 (Premiere am 21. Februar) im Tanzquartier Wien, weitere Vorstellung am 23. Februar