Mit einem erfreulichen, wohltuenden Programm feierte das Wiener Staatsballett das Ende des Lockdowns. Gut gewählt waren die Stücke, die TänzerInnen und Publikum nach der langen Trennung wieder zusammenführten – auch wenn sich beide Seiten erst wohl wieder aneinander gewöhnen müssen. Niemand könnte diese „Vermittlungsarbeit“ wohl besser leisten, als die bis heute prägenden Choreografen der klassischen Moderne, Jerome Robbins und George Balanchine.
Mit Robbins‘ „A Suite of Dances“, Namensgeber für den gesamten Abend, gab es sogar eine Wien-Premiere: Das Stück ist ein spielerischer Dialog zwischen einem Violoncello und einem Tänzer, in diesem Fall zwischen Ditta Rohmann und Davide Dato, der das Solo mit umwerfenden Charme und mit sprudelnder Leichtigkeit tanzt. Vier kurze Stücke von Johann Sebastian Bach geben den Ton an. Die Choreografie wirkt wie eine Improvisation, kleine Gesten und kurze Posen des Innehaltens sind wie die minimalen Unterbrechungen in einem Gespräch. Nach und nach wird das Cello zur treibenden Kraft, vor der der Tänzer am Ende kapituliert. Schluss! Aus! heißt es, wenn er am Ende vor der Cellistin – (scheinbar?) erschöpft, aber natürlich elegant – auf den Boden plumpst.
Man nimmt es ihm ab, denn in dieses Stück hat Robbins alles hineingepackt: flinke Beinarbeit, Sprünge, Radschlagen und auf der leeren Bühne muss der Solist den ganzen Raum in Besitz nehmen. Außerdem liegt die Latte für Davide Dato hoch, denn Robbins hat „A Suite of Dances“ 1994 für Michail Baryshnikov kreiert, der damals bereits seine Karriere als klassischer Ausnahmetänzer hinter sich gelassen hatte und mit seinem White Oak Project die Tanzmoderne erkundete. Für den jungen Dato bestand die Herausforderung wohl darin, die Virtuosität so zu dosieren, dass die Natürlichkeit der Bewegung der technischen Bravour nicht zum Opfer fällt. Das ist ihm sehr gut gelungen.
Auch „Duo Concertant“ kann fast als Premiere an der Wiener Staatsoper durchgehen, wurde es doch 1976 nur zweimal von den damaligen GastsolistInnen Kay Mazzo und Peter Martins vom New York City Ballet, für die das Werk von George Balanchine kreiert worden war, getanzt. Nun erlebte man Liudmila Konovalova und Masayu Kimoto in einem Duett mit einem, für Balanchine untypischen Narrativ. Die strenge Neoklassik macht einer heiteren Unbefangenheit Platz, während die Choreografie auf Strawinskis Duo Concertant freilich maßgeschneidert wurde. Einerseits geht es hier um eine Beziehung zwischen dem Tänzer und der Tänzerin, aber auch um ein Gespräch mit den auf der Bühne spielenden MusikerInnen – Fedor Rudin auf der Violine und Cécile Restier am Klavier. Anfangs scheint es als ob sie sich über die Musik unterhalten, auf die sie auch zwischen den Pas de deux und den Soli wiederholt verweisen. Zart, ja zärtlich ist ihr Umgang miteinander, bevor die Bühne im letzten Teil dunkel wird. Da erscheint sie in einem Lichtkegel, winkt, er sucht sie und sie finden in einem Tanz der Hände zueinander. Alles läuft auf einen sehnsuchtsvollen Abschied hinaus – oder war es nur ein Traum? Berührend!
Umrahmt wurden die beiden Präziosen vom Ensemblestück „Glass Pieces“ und der Humoreske „The Concert“, beide von Jerome Robbins und seit 2011 im Repertoire des Wiener Staatsballetts (Premierenkritik auf tanz.at).
In „Glass Pieces“ ist ersten Teil ist flottes Gehen angesagt. Eureka! Es wird nicht mehr gestakst, vielmehr marschieren die TänzerInnen mit kraftvollen Schritten (auch mit Spitzenschuhen) über die Bühne. Den Pas de deux im mittleren Teil, vor den Schatten des Ensembles, tanzen Nina Poláková und Roman Lazik in gewohnter Perfektion. Die Unsicherheit, die nach der langen Absenz von der Bühne nachvollziehbar ist, ist höchstens atmosphärisch zu spüren. Darum sei hier auch gar nicht von nicht so geraden Linien, zu denen sich die TänzerInnen im dritten Teil immer wieder in Reihe bringen oder von den Synchronisations-Patzern bei den minimalistischen Verschiebungen in Philip Glass‘ Score im Orchestergraben die Rede.
Den Witz in „The Concert” brachte erstmals Elena Bottero als Ballerina zur Geltung und als Ehepaar traten in erprobter Feindseligkeit Eno Peci und Ketevan Papava gegeneinander an. Igor Zapravdin am Klavier ist in seinem Element, wenn er auch darstellerisch den exaltierten Pianisten mimen darf.
Benjamin Pope gab sein Debut an am Dirigentenpult der Wiener Staatsoper. Bei den Chopin-Stücken war das Orchester dann wieder ganz in seinem gewohnten Wohlklang angekommen.
Wiener Staatsballett „A Suite of Dances“, Neueinstudierung am 20. Mai 2021 in der Wiener Staatsoper. Weitere Vorstellungen am 25., 30. Mai, 4., 5., 7., 11. Juni.
PS: Dank an Alfred Oberzaucher für die Hilfe bei der Ermittlung der Premierendaten an der Wiener Staatsoper, die leider im umfangreichen und überaus informativen Abendprogrammheft nicht angegeben waren.