Nicht immer und überall bedarf es der Worte. Es bedarf dann aber ausgeprägt anderer Fähigkeiten, um dennoch Unterhaltsames, Nachdenkliches, Humorvolles oder Feinsinniges zu kommunizieren. Die Berliner Familie Flöz verfügt über solche, um Derartiges so überzeugend zu vermitteln, dass sie nicht nur immer wieder künstlerische Gäste bei La Strada sind, sondern auch regelmäßig für volle Häuser in Graz sorgen.
Ihre, dem traditionsreichen Maskentheater verpflichteten Produktionen sind gerade in den letzten Jahrzehnten keine in dieser Darstellungsform singuläre Erscheinung. Da sie aber zusätzlich zu den Voll-Gesichtsmasken, die keinerlei Mimik erkennen lassen, jeglichen Gebrauch verbaler Sprache unterlassen, ergibt sich aus ihrer auf alltäglichem Körper- Ausdruck basierenden Bewegungssprache ein durchaus außergewöhnliches, aufmerksames Schauen voraussetzende Herausforderung an das Publikum, um den Inhalten ihrer Erzählungen folgen zu können. Insbesondere auch deshalb, weil in dieser knapp 90-minütigen Vorstellung neben einigen eingestreuten Slapsticks nicht wirklich viel Großartiges passiert: Kurz wird zwar die Vorgeschichte, die zu den gezeigten Hochzeitsvorbereitungen im Hinterhof eines Herrscherhauses führt, angedeutet, aber primär handelt es sich um eine vielschichtig colorierte Wesens- und (Über-)Lebensschilderung des sogenannten einfachen Volkes; skizzenhaft ergänzt durch kleine Charakteristika aus der Welt der ‚Oberen‘.
Die Rezeptionsmöglichkeiten sind weit gestreut und richten sich damit an ein breites Publikum. Das, was es zu erleben und zu verstehen gilt, ist aber jedenfalls vor allem im Atmosphärischen der dargestellten, konträren Welten zu suchen sowie in dem, was das Wesen von Menschen ausmacht; hier wie dort, in ihren Kontrasten und ihrer Deckungsgleichheit.
Es ist die Kopfdrehung der Braut, die eine Tür in soziales Denken öffnet, das Schulterheben des Hausmeisters, das Bände spricht über seine Empathie-Unfähigkeit, die exaltierte Handbewegung der Managerin, die nichts als ihr Delegieren kennt – außer sie vergisst sich einmal zwischendurch in den Tiefen des Kellers mit einem ihrer ‚Herumkommandierten‘; es ist der stolzierende Gang des Bräutigams, der umso kläglicher bei der auch nur geringsten körperlichen Beanspruchung in sich zusammenbricht, der unterwürfige wie gleichzeitig verächtliche wie aufreizende Hüftschwung der Putzfrau, der alleine in dieser Weise schon eine Palette von Diskrepanzen ihres und des Lebens allgemein beinhaltet.
Der Tanzlehrer, der Koch, der Bote, der Brautvater: Sie alle sind Archetypen – der selbstverständlich oftmals überzeichneten und doch auch immer wieder der feinsten Art. Und diese spannungsreiche Mischung ist es, die den Zuseher amüsiert und gleichzeitig berührt durch die bunten Szenen des Schauspiels trägt. Zusätzlich an der Hand genommen vom Wissen um die Tatsache, dass all diese und noch weitere Figuren von lediglich drei (gestandenen) Männern auf die Bühne gezaubert werden. (Die Umkleideszenen hinter der Bühne müssen also ein künstlerisch wertvolles Spektakel für sich sein!) Dass die dabei geforderte Schnelligkeit Voraussetzung für die notwendige Dynamik in der szenischen Darstellung ist, hat ihre Wurzeln in dem, was in dieser Collage gezeigt werden soll: Die Getriebenheit der Menschen, bewirkt durch äußere Umstände und innere Sehnsüchte.
Ein kleinwenig an inhaltlicher Süße könnten Michael Vogel und Björn Leese (Regie) vielleicht aber doch durch Gesalzeneres und damit Kritisches ersetzen. Ihr mit außergewöhnlicher körperlicher Ausdrucksfähigkeit agierendes Team, bestehend aus Andres Angulo, Johannes Stubenvoll und Thomas von Ouwerkerk, gingen damit zweifellos ebenso souverän um.
Familie Flöz: „Feste“ am 27. Dezember 2021 im Orpheum Graz im Rahmen von Cirque Noël