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1001Nightsapart3Das DOK.Fest München stellte drei Filme vor, die anzusehen sich lohnt: „1001 Nights apart“ von Sarvnaz Alambeigi entführt den Zuschauer in den Iran. Alain Platels Frage „Why we fight?“ gibt nicht nur seiner Dokumentation den Titel, sondern hat auch erstaunlich viel mit Gustav Mahler zu tun. Und Florian Heinzen-Ziob gelingt mit „Dancing Pina“ eine emotionale Reise in die kreative Welt des Wuppertaler Tanztheaters –zehn Jahre nach Bauschs Tod.

„1001 Nights apart“ von Sarvnaz Alambeigi

Scheherazade ist Persiens größte Geschichtenerzählerin. Durch einen seltenen Archivfund findet diese literarische Figur aus der wohl populärsten Märchensammlung des Orients Eingang in Sarvnaz Alambeigis emotional überaus nahegehenden Dokumentarfilm „1001 Nights apart“. Für geschichtsinteressierte Tanzfans mag dies allein schon Grund genug sein, den wegen seiner schwierigen Produktionsbedingungen ausgezeichneten Film keinesfalls zu verpassen. Noch mehr beeindruckt aber, wie hier die Komplexität menschlicher Innenwelten herausgearbeitet wird – anhand der Beschäftigung mit Kunst als Mittel und Weg, sich selbst und die Welt besser verstehen zu lernen.

Im Zuge der islamischen Revolution wurde im Iran zuallererst das Tanzen verboten. Die weitaus schlimmere Sünde aus westlicher Sicht ist freilich, Menschen überhaupt zu verbieten, sich künstlerisch auszudrücken. Wen das Tanzen trotzdem nicht loslässt, der muss seine Leidenschaft meist sogar vor der Familie verheimlichen. So verfolgt die aus Teheran stammende Regisseurin Alambeigi eine Gruppe junger Leute, die sich – nichts erwartend von ihrer Zukunft – in einer erstaunlich gut organisierten Untergrundszene treffen. Es sind Frauen und Männer ganz unterschiedlicher Herkunft. Die eine kommt aus einem religiös-wohlhabenden Haus, einen anderen prägte sein Aufenthalt im Gefängnis. In einem Keller kommen sie regelmäßig zusammen, um im Verborgenen zeitgenössische Choreografie-Projekte zu entwickeln.1001Nightsapart2

Dass ihre kreative Arbeit vermutlich nie ein Publikum zu sehen bekommen wird, ist allen bewusst. Es mag mit dazu beitragen, welch eruptiv-intuitive, regelrecht unkontrollierbar aus ihrem Innersten hervorbrechende Kraft ihre in Improvisationen und Proben mit der Kamera festgehaltenen Performance-Skizzen ausstrahlen. Sie packen einen – um vieles existenzieller noch als dies so manche Liveperformance mit vergleichbarer Thematik hierzulande vermöchte.

Als Alambeigi seltene Video-Aufnahmen entdeckt, die das Ensemble des ehemaligen iranischen Nationalballetts zeigen, bekommt die Dokumentation inhaltlich eine weitere Wendung. Kann es gelingen, eine Verbindung zwischen dem Schicksal der einstigen Profiballettsolisten und den heute, in einer Grauzone der Illegalität kreativ tätigen Tänzern herzustellen? Kein leichtes Unterfangen, wurden die ehemaligen Mitglieder der 1958 gegründeten Ballettkompanie – Irans bislang einziger international anerkannter staatlicher Ballettinstitution – doch nach deren Auflösung 1979 in alle Winde zerstreut. Entweder sind sie schon zu alt oder sie trauen es sich nicht mehr zu, iranische Ausdruckstänzer zu unterrichten. Denen wiederum bleibt die Sprache des Balletts gänzlich fremd. Es wird vor allem deutlich, wie unüberwindbar groß mehr als 40 Jahre totaler Sendepause den Graben zwischen Vergangenheit und Gegenwart werden lassen. Das gilt auch für den Grafiker, der in der Doku seine alten Ballettplakate entrollt: famose, privat erhalten gebliebene Unikate. Alle anderen wurden verbrannt. Beispiele bitterer Realität, von der uns „1001 Nights apart“ unglaubliche Bilder ans Herz legt.

„1001 Nights apart“ von Sarvnaz Alambeigi (Deutschland/Iran/USA 2021, 80 Min – geplante Ausstrahlung auf Arte, leicht gekürzt); Gewinner des VFF-Dokumentarfilm-Produktionspreises (Stefan Tolz & Sarvnaz Alambeigi)

Whywefight„Why we fight?“ von Alain Platel & Mirjam Devriendt

Wenn uns die Worte ausgehen, übernimmt der Körper. Da sind die Tänzer Bérengrère Bodin, Samir M'Kirech und TK Russell einer Meinung. Alle drei waren 2016 Teil der belgischen Performancegruppe „Les ballets C de la B, als dort das Stück „Nicht Schlafen“ („Don’t fall asleep“) erarbeitet wurde. Recht ungewohnte Inspirationsquelle für die zeitgenössischen Performer war die Auseinandersetzung mit Musik von Gustav Mahler. Sie sollte zum Transportmittel für jene Ausgangsfrage werden, die den Choreografen Alain Platel damals umtrieb – und die den künstlerisch oft radikalen Belgier heute noch beschäftigt: „Warum kämpfen Menschen miteinander?“

Eine schlüssige Antwort zu finden gelang in der streckenweise überaus gewaltreichen Bühnenperformance zwischen lebensgroßen Pferdekadavern niemandem. Ebenso ergeht es jetzt dem Betrachter des Films „Why we fight?“. Mit seinen vielen aussagestarken und grausam-einprägsamen Bildern reicht er quasi viel Hintergrundrecherche sowie – in Interviews – persönliche Gedanken der Mitwirkenden zu einem gerade erst wieder sehr aktuell gewordenen Thema nach.

Gemeinsam mit der Fotografin Mirjam Devriendt hat Platel ein sich konsequent bis in die Gegenwart fortsetzendes Panoptikum menschlicher Wutausbrüche, religiöser oder rassistischer Anfeindungen und Eskalationen in zu Gewalt bereiten Massenbewegungen gezeichnet. Proben- und Aufführungssequenzen der Tanzcompagnie wechseln sich Schnitt für Schnitt mit aufwühlenden Wildtieraufnahmen ab oder spiegeln historisches Archivmaterial wider, in dem das Therapieren von hysterischen Kriegsneurosen bzw. sozial einflussnehmende Umbrüche durch die voranschreitende Industrialisierung dokumentiert werden.

Die Zwischenüberschrift „Oh Mensch!“ – nach Mahler – schreit still nach mehr Rücksicht und Vernunft im gegenseitigem Umgang. Doch Grausamkeit im Großen wie im Kleinen beherrscht unsere globalisierte Welt. Sie verändern, kann man nicht allein, sich selbst dagegen schon. Für Samir M'Kirech gehört dazu ausreichend Wut, Leidenschaft und als Booster auch etwas Gewalt. „Why we fight“ handelt weniger vom Tanzen. Stattdessen insistiert das Regietandem auf der Notwendigkeit, sich täglich aufs Neue Angst, Frustration und Enttäuschung zu stellen. Schön, dass ein wichtiges Sprachrohr hierbei jede Form von Kunst sein kann.

„Why we fight?“ in der Regie von Alain Platel & Mirjam Devriendt (Belgien, Deutschland 2021 / 90 Min)

„Dancing Pina“ von Florian Heinzen-Ziob

Mit Tanz hatte Florian Heinzen-Ziob vorher noch nie zu tun. Auch Pina Bausch, die das Antlitz von Tanz wie das Tänzerdasein und modernes Choreografieren von Wuppertal aus revolutionierte, war für den Regisseur ein unbeschriebenes Blatt. Das stellte ihn und Igor Novic hinter der Kamera von Beginn an auf eine Stufe mit dem Großteil der Protagonisten des auf zwei denkbar weit voneinander entfernte Orte gesplitteten Filmprojekts „Dancing Pina“. Mit all jenen Tänzerinnen und Tänzern, die – erstmals und ganz ohne Vorkenntnisse von Bauschs Arbeitstechniken – zwei grundverschiedene Stücke der 2009 verstorbenen Tanztheater-Ikone neu einstudieren sollten.DancingPina1

Zum einen hatte die von Bauschs Sohn Salomon geleitete Pina Bausch Foundation für das klassisch geprägte Ballettensemble der Dresdner Semperoper die erste Tanzoper der Choreografin vorgesehen: „Iphigenie auf Tauris“ zu Musik von Christoph Willibald Gluck war 1974 mit Malou Airaudo in der Titelrolle uraufgeführt worden. Nun brachte dieses Urgestein einer Ex-Bausch-Interpretin eine neue Generation junger Balletttänzer dazu, in den archaischen Figuren die Sicherheit der in Jahrzehnten antrainierten Perfektion und die Suche nach formaler Schönheit hinter sich zu lassen.

Filmisch begleitet stellten sich die Interpreten der neuen Herausforderung, Rollen vor allem aus sich heraus und emotional persönlich eingefärbt zu kreieren. Das Kinopublikum kann dadurch auf sehr intime Weise mitverfolgen, wie sie künstlerisch mit der Aufgabe hadern, an ihr wachsen und sich letztlich stark mit ihr verändern. Auf die Premiere in Dresden Anfang Dezember 2019 folgte der Corona-Lockdown.

DancingPina2Im anderen Fall gab es noch weniger Glück mit dem Timing. Eine aus vielen Ländern Afrikas eigens zusammengestellte Truppe traditioneller, moderner und Streetdance-Tänzer erarbeitete – angeleitet unter anderem von der unglaublichen Bausch-Meisterin Josephine Ann Endikott – an der École des Sables im Sengeal Pinas legendäre Strawinsky-Fassung des „Sacre du Printemps“ für Aufführungen in Dakar und eine geplante Tournee im Anschluss. Geprobt wurde hier nicht minder hart und intensiv in offenen, luftigen Studios vor traumhafter senegalesischer Naturkulisse, teils umgeben von Sand und Meer. Ausgerechnet am Tag der erfolgreichen Durchlaufprobe holte die Pandemie das Team ein. Dem schwierigen Prozess, sich das martialische Opferritual ganz zu eigen zu machen, kam auf einen Schlag das Ziel, am Gipfelpunkt des Projekts Zuschauer damit zu überwältigen, abhanden. Schon 1975 hatte  Bauschs „Sacre“ für Aufsehen gesorgt, weil ungeschminkt und knöcheltief in Torf bis zur Erschöpfung getanzt wurde.

Weniger als zwei Jahre trennen die Kreation beider Choreografien nur. Trotz dieser zeitlichen Nähe könnten sie aber kaum unterschiedlicher sein. Mittels harter Kameraschnitte springt Heinzen-Ziob ständig zwischen persönlichen Einschätzungen der ehemaligen Bausch-Tänzer und deren Probenfortschritten an den beiden Drehorten hin und her. Was ihm damit – bereichert noch um Gedanken einzelner Teilnehmer – eindrucksvoll bildstark und auch für Tanzlaien unmittelbar fassbar gelingt, ist nichts weniger als ein tiefgründiger, vielschichtiger Einblick in den wuchtigen Kosmos von Pina Bausch.

„DANCING PINA“ von Florian Heinzen-Ziob (Deutschland 2022, 151 Min.) startet am 15. September deutschlandweit in den Kinos.

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