Steine, Mineralien, Staub, Nebel, Knochen, nackte Frauen, Dunkelheit und Licht, den Klang des Universums, die Zeit und das Publikum verbannt Claudia Bosse in eine begehbare Bühnen-Reagenz unterhalb der Erdgleiche und lässt sie mit- und aufeinander wirken. Der Performance „Bones and Stones“ gelingt die Synthese zur erfahrbaren Ein-Heit des Allen. Immersion at its best!
Dumpf klingt im Nebel der Nachhall der Supernovae, deren Feuer Atome erschufen. Drei aus Ziegelsteinen geschichtete Schlote, einer raucht in den Deckenspot, werden zu Spendern der Bausteine des Universums. Moleküle und Kristalle, entstanden in den Tiefen unseres Planeten, schichten sie zu Grundbausteinen der Materie, verteilen sie im Universum der Halle G. Als sie hinten liegen, alle sechs Körper parallel, versetzt, dicht beieinander, uns ihre Rückseiten zugekehrt, und als aus der langen Stille langsam Bewegung wird, scheint es, als hätte die Vorsehung, hier die der Regisseurin und Choreografin Claudia Bosse, organische Molekülketten zusammengefügt, um erstmals Leben entstehen zu lassen, das dann als Haufen menschlicher Körper durch das Habitat rollt.
Zwischen 24 und 78 Jahren alt sind die sechs Frauen, die die Erstaufführung performen, wie gebärende Göttinnen sind sie, Schützerinnen und Bewahrerinnen gleich und somit das weibliche Prinzip repräsentierend. Und eben nicht die in Ermangelung ihrer Gebärfähigkeit häufig sich destruktiv transzendierende toxische Maskulinität.
Sie hämmern den Stein, dass Körnchen fliegen und Staub entsteht. Der Arbeit der Erde bei der Formung von Mineralien und Kruste, der Gewalt der dabei wirkenden Kräfte ein Bild zu geben ist doch möglich. „Realität besteht aus Prozessen.“ Wie die Evolution, die in ihrer unendlichen Kreativität wundervolle Wesen hat entstehen lassen, arbeiten die Frauen mit ihren Stirnlampen hier wie Höhlenforscherinnen an - und gleichzeitig als Schöpferinnen von - Botschaften der Erdgeschichte an die Nachwelt. Sie legen aus kleinen Knochen Fantasie-Skelette, die, Steine irgendwie mit einbeziehend, die enge Verwandtschaft beider zeigen. Bones and Stones. Schaut nur hin. Es ist so offensichtlich.
Die Dramaturgie nimmt die ZuschauerInnen mit auf eine Reise durch die Entstehungsgeschichte von Materie und Leben und zwingt uns in die Wahrnehmung von deren Manifestationen im Jetzt und in uns. Und vielleicht begrüßt manch einer in diesem Raum bislang unbekannte Verwandte. Claudia Bosse schafft mit dieser Arbeit ein Habitat, das anorganische und organische, nach menschlicher Definition „unbelebte“ und „belebte“ Materie gemeinsam bewohnen. Und wir. Die Steine, Mineralien und Knochen sind Leihgaben des Naturhistorischen Museums Wien. Die Sorgsamkeit, mit der die Performerinnen sie behandeln, selbst das Publikum ist angehalten, mit schützenden Überziehern den Schmutz der Straße fernzuhalten, ist wie ein eingeflochtener Appell zur Achtsamkeit im Umgang mit den Schätzen, die uns umgeben. Und zu Achtung und Respekt vor allem, was uns umgibt, in das hinein geboren zu werden wir die Ehre haben, dessen wir uns bewusst werden können und sollen (!) und für das wir von der Schöpfung Verantwortung übertragen bekommen haben.
Der Sound von Günter Auer gibt Geräuschkulissen (Explosionen von Sternen, die Gewitter der frühen Erde, das Knistern und Kreischen von Druck und Tektonik) und rhythmisch-dynamische Musik, die wie das Lichtdesign von Paul Grilj, das Stück zu einem auch akustisch-visuellen Erlebnis machen. Text, Sprache und Stimme, Körper, Performance und Tanz, rituelle Handlungen und Installation ergeben, darin eingebettet, ein Gesamt-Kunstwerk.
Das blendende Licht neben der Stiege scheint wie die Sonne, aus und mit deren Energie und den Ingredienzien der im Erdkörper versammelten Strernenstäube Leben entsteht. Die gläsernen Zylinder, die die Performerinnen wie in einer feierlichen Prozession in die Halle tragen, enthalten die Ursuppe, aus der in einem einmal in Gang gekommenen Kreislauf immer wieder Sauerstoff und Leben entsteht. Steine, Wasser, Blätter, Holz. Das Grün des Mooses oben auf leuchtet im Licht der aufgelegten Stirnlampen.
„Bones and Stones“ ist ein Spiel mit Assoziationen, eine multidimensionale Utopie. Die Erweiterung des menschlichen Innenskelettes durch ein partiell außen Liegendes, am Anfang enterten die Performerinnen klappernd damit die Szenerie, ist Metapher für das Eins-Sein mit aller sich in unseren, in jedem Knochen manifestierenden universellen Schöpfung und gleichzeitig Aufforderung, das Gefühl des Getrennt-Seins von ihr zu hinterfragen und zu überwinden. Mündend in ein respektvolles Zusammen-Leben von Materie aller Arten. Das Spirituelle dieser Arbeit entsteht aus der Verbindung von 13,7 Milliarden Jahren Geschichte unseres Universums, 300 Millionen Jahren auf die Bühne gebrachter Erdgeschichte und einigen Jahren menschlichen Lebens, das mit dem Ziel entstand, dass sich das Universum seiner selbst bewusst wird. Wohlan denn! Bewusstmachung ist die Leistung dieser großartigen Arbeit. Ein ökologisch-feministischer Appell zum grundlegenden Wandel unserer Sicht auf uns selbst und die Welt. Die Poesie der Bilder, neben den visuellen ist die Zeit des Erlebens der zweieinhalbstündigen Performance eine von vielen Metaphern, ist nachhaltig beeindruckend.
Der große, 20.000 Jahre alte Oberschenkel-Knochen eines Mammuts erhebt sich an zwei Seilen für das Schlussbild in die Höhe. Gleichzeitig klettert die Jüngste am Knotenseil auf eine über dem Rand der Szenerie hängende Plattform und legt sich. Aphrodite, die Göttin der Schönheit, Liebe, Fruchtbarkeit und Sinnlichkeit. Ihr gütiger, wachsamer, mahnender Blick ruht auf der Gemeinschaft von Steinen, Knochen, Fleisch und Zeit. Auf uns allen.
Claudia Bosse mit „BONES and STONES“ am 23.02.2023 im Tanzquartier Wien. Als Teil des Vierjahreszyklus ORGAN/ismus – poetik der relationen wird sich die Arbeit im Sommer 2023 vom Bühnenraum in die Landschaft hinausbewegen.