Das Pensionsalter war (fast) erreicht, und das war für einige Frauen ein Grund sich einen alten Traum zu verwirklichen, nämlich eine Tanzcompagnie zu gründen. Freilich nicht irgendeine, sondern eine ihrem Alter entsprechende. Ihr Konzept erwies sich als sehr nachhaltig, denn am 21. November 2013 präsentiert die Age Company ihre fünfte Produktion im Wiener Palais Kabelwerk.
Vor der Premiere. Ich komme zum Ende des Aufwärmtrainings ins Studio. Die Atmosphäre ist ruhig, fast feierlich. Die Trainingsleiterin Nicole Berndt-Caccivio führt die Gruppe durch eine Tai-Chi-ähnliche Übungsfolge. Atmen, beugen, strecken, drehen – die TänzerInnen sind ganz in die Bewegung vertieft. Danach gibt es für ein paar Minuten freien Tanz zu Musik. Den Frauen und Männern scheinen Flügel zu wachsen. Sie schweben, trippeln und drehen sich durch den Saal, leicht, fast schwerelos, andere vermessen das Studio mit großen, raumgreifenden Schritten und Gesten, erdig und wuchtig.
Die Musik ist aus, Nicole Berndt-Caccivio, von der Gruppe liebevoll Nica genannt, lässt sie zu einem Abschluss kommen, bevor sie sanft, aber bestimmt wieder das Kommando übernimmt. Es sind nur noch wenige Tage bis zur Premiere und es gibt noch viel zu tun – 21 Tage hat man für die Kreation, das ist nicht viel, wenn man mit Profis arbeitet und schon gar nicht mit Laien. Heute bei der Probe gibt es den ersten Durchlauf, und es gilt auch, sich mit der Situation des Kostümwechsels vertraut zu machen.
„Fight Lookism“ heißt das Stück und handelt von dem Image, das man/frau sich für andere überstülpt. Dabei haben die Frauen bei der Kostümierung (alles self made) ihrer Fantasie jedenfalls keine Grenzen gesetzt und ihren Look extrem überzeichnet. Wenn sie in der Diagonale die „Bühne“ überqueren, sieht es aus wie ein Aufmarsch von Außerirdischen oder eine Parade von wüsten Underground-Typen. Den Gegenpol dazu bilden die in edle Filzröcke gekleideten Männer. Nica zeigt ihnen Bilder, etwa die Posen von Alexander Sacharoff, die sie nachstellen sollen, um sich der Welt von ihrer besten Seite zu präsentieren.
Wenn sie mit den seltsam verkleideten Frauen-Gestalten in einen behutsamen und zärtlichen tänzerischen Dialog treten, leiten sie eine Verwandlung ein. Vielleicht befreien sie dadurch die Frauen von ihrem Image-Wahn. Jedenfalls treten diese für den zweiten Teil der Choreografie einheitlich in Jeans und Shirts auf. Der „hysterische Teil“ (O-Ton Nicole Berndt-Caccivio), mit dem „Fight Lookism“ beginnt, ist damit abgeschlossen. Und Nica lobt – es sei noch einiges zu Feilen, aber lang nicht so viel, wie sie befürchtet hatte. Erleichterung auf den Gesichtern der Age Company…
Tanzwütige, ältere Menschen. 2008 hatten die (Ö1-)Journalistin Nora Aschacher und die Tanzpädagogin und Kulturmanagerin Ilse Stadler-Epp – „zwei tanzwütige, ältere Menschen“ – die Idee, nach dem Vorbild ähnlicher Initiativen etwa in Deutschland, in der Schweiz oder in Großbritannien eine SeniorInnen-Compagnie zu gründen.
Nach mehreren Anfragen und ablehnenden Bescheiden von Wiener ChoreografInnen fanden sie in der in Berlin lebenden Nicole Berndt-Caccivio eine ideale künstlerische Leiterung für die Age Company, mit der sie seit der ersten Produktion „Richtungswechsel“ (2009) kontinuierlich zusammenarbeiten.
Über ihre Wahl sagt Nora Aschacher: „Ilse kannte Nica bereits von diversen Workshops und meinte, sie wäre ideal für unser Projekt. Wir haben auch ein paar Profis in Wien gefragt, weil Nica ja in Berlin lebt, aber nach dem ersten Workshop und nach der ersten Performance war uns klar: wir geben sie nicht mehr her – vorausgesetzt sie will mit uns zusammenarbeiten.“ Der Vorteil wäre, dass Nica nun die Stärken und Schwächen von allen Mitgliedern kennt, dass „sie weiß, wie man/frau mit älteren Menschen arbeitet, die zwar keine Profis aber sehr, sehr lernwillig sind. Wir vertrauen ihr total, bewundern ihre Kreativität und sind seit der Gründung inzwischen ‚zusammengewachsen’".
Nica versteht sich eher als „Begleitung“ und sieht in der Age Company „auch ein Sozialprojekt“. Dennoch: „Wir wollen Kunst machen, nicht irgendein Kasperltheater, sondern ernsthaft. Und wir wollen versuchen, stark zu sein“, sagt sie, und zeigt sich von der professionellen Haltung der Mitglieder der Age Company beeindruckt. Diese Disziplin war ihre Bedingung für eine kontinuierliche Zusammenarbeit: „Ihr geht auch die Verpflichtung ein, regelmäßig zum Training zu kommen, unabhängig davon, ob ihr Streit mit dem Partner hattet, das Knie schmerzt, ihr in einer depressiven Stimmung seid, euch über die Kinder geärgert habt. Wichtig ist, dass ihr da seid, auch wenn es euch nicht gut geht“ so lauteten ihre anfänglichen Anweisungen.
Dieser Verpflichtung kommen die Frauen ab 50 (und manche von ihnen über 70) pflichtbewusst nach, denn nach dem Training – ein Wochenende im Monat und viel intensiver vor den Premieren – schaut die Welt auch meist wieder viel freundlicher aus. Tanz ist schließlich nicht nur ein wunderbares Körpertraining für jedes Alter, sondern auch Psychohygiene.
Die Nachhaltigkeit spricht jedenfalls für das Team, denn zehn der dreizehn Tänzerinnen sind von Anfang an dabei, zwei kamen 2009 dazu, eine 2011. Nächstes Jahr wird ein weiteres Mitglied aufgenommen, aber prinzipiell gibt es einen Aufnahmestopp. Denn statt die Gruppe zu vergrößern, arbeitet die Age Company lieber projektbezogen mit Gästen. Bei der Produktion „Achtung Deadline“ (2012) wirkten Studentinnen des Konservatorium Wien mit. Bei „Fight Lookism“ sind es, wie gesagt, vier Männer.
„Wir hatten viele, viele Anfragen von Frauen, von Männern eher weniger“, sagt Nora. „Ich habe den Eindruck, dass unsere Performances wirklich Mut machen, das sagen uns zumindest die Frauen aus dem Publikum immer wieder … einige werden angeregt, auch selbst etwas zu unternehmen, eine Gruppe ins Leben zu rufen, es muss ja nicht eine weitere Age Company sein. Ich denke, es geht unter anderem darum, dass wir zeigen, traut euch, erfüllt euch eure Wünsche, älter werden bedeutet nicht automatisch Abstieg, Stillstand und Resignation.“
Neue Inspiration können sich – nicht nur – ältere Zuschauer ab 21. November wieder im Palais Kabelwerk holen.
Age Company „Fight Lookism“, 21. bis 24. November 2013, Palais Kabelwerk