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Schlaepfer Martin iconEs war wohl der gefragteste Termin der Saison im Festspielhaus St. Pölten: das Ballett am Rhein mit „Schwanensee“ seines Noch-Direktors Martin Schläpfer, der bekanntlich ab September dieses Jahres die Geschicke des Wiener Staatsballetts lenken wird. Doch dann kam Corona, und das Gastspiel musste abgesagt werden. Statt einer Kritik gibt es auf tanz.at nun ein Interview mit dem Wiener Neo-Chef.

Tanz.at: Leider konnten wir im Zeichen der Corona-Krise Ihre Version von „Schwanensee“ im März nicht sehen. Werden Sie das Stück an der Wiener Staatsoper zeigen?

Martin Schläpfer: In naher Zukunft nicht.

Wie haben Sie die choreographische Gestaltung angelegt?

Das sogenannte Original ist so sehr in den Köpfen der Menschen, sogar bei jenen, die gar nicht so oft ins Ballett gehen. Dabei kennen wir das richtige Original hundertprozentig gar nicht, und es hat sich über die Dekaden verändert, bis es zu dem wurde, wie wir es heute zu kennen glauben. Dieser Umstand hat mich gelockt, weil man sich da als kreativer Künstler auch einer gewissen Gefahr aussetzt. Ich wollte aber choreographisch bei mir bleiben und kein Amalgam aus Petipa/Iwanow und Schläpfer. Wichtig war mir, die mythologische Komponente stärker zu zeigen. Wenn Siegfried abends zur Jagd geht und es Nacht wird, verwandeln sich die Schwäne, denen er gefolgt ist, in Frauen. Deshalb sind sie bei mir barfuß. Im sogenannten „Original“ habe ich immer den Eindruck, er trifft auf Schwäne, aber er trifft auf Frauen. Andererseits trägt Odette bei mir Spitzenschuhe, weil sie ein Differenzmerkmal sind, was dramaturgisch aber – wenn auch bewusst - nicht ganz konsequent ist.

„Tanz ist immer auch ein Geheimnis“

Der Spitzenschuh hat bei Ihnen stets verschiedene Bedeutungen?

Zuerst einmal ist er für mich ein Schuh, und als solcher auch ein Werkzeug. Aber nicht so wie in der Zeit seines Entstehens, der Romantik, als er als Symbol für eine bessere, höhere Welt, gestanden ist, also ein romantisch-poetisches Mittel war zur Erhebung in die Vertikale. Er ist für mich einfach ein Instrument, das auf vielfältigste Weise eingesetzt werden kann. Das kann einmal ein Hammer sein, dann wieder ein Phallus. Durch den Widerstand des Abrollens seiner Trägerin kann man auch sehen, was sich zwischen den Personen abspielt. Er macht Frauen stark, und ich habe gern starke Frauen, mindestens ebenbürtig zu den Männern. Ich bin schlussendlich ein Frauenchoreograph, auch wenn ich viel für Männer mache.

Wie bewegen sich Ihre Tänzerinnen im Unterschied zu Tänzern?

Sie bewegen sich vorab als Menschen, wie es das Stück oder die Dramaturgie verlangt, so wie sie innerlich und äußerlich gemacht sind – all das kommt vor dem Frau-Sein. Man ist ja nicht primär Frau oder Mann, sondern man ist primär ein unvergleichlicher Mensch, der dann – das kann dazu kommen – auch noch „nebenbei“ Frau ist. Der Mensch als Frau, als Tänzerin ist so unglaublich vielschichtig und unergründbar…daraus ergibt sich die Bewegung der Frau als Tänzerin, und längst nicht nur aus dem Frau-Sein heraus. Mich interessiert das Starke, das Körperliche an Tänzerinnen deshalb, weil ihre Kraft für mich durchaus auch etwas „Politisches“ meint.

Es gibt da eine besondere Bewegung in ihren Stücken, die Frauen und Männer immer wieder machen, die sogenannte „Windmühle“. Was hat es damit auf sich?

Wenn man eine Windmühle ganz dicht und nicht hoch über dem Kopf macht, kann das eine Geste der Introvertiertheit bedeuten. Wenn der Kopf dabei gesenkt ist, dann ist der Mensch bei sich. Wenn der Kopf dabei nach oben gerichtet ist, kann es ein Fragezeichen bedeuten, etwa so wie: „Gott bist du da?“, oder es kann auch ein Wegwischen bedeuten. Es ist eine Bewegung mit einer weiten Range, so wie ein Wort mit mehreren Bedeutungen. Ich finde es immer schön, wenn Dinge in der Schwebe bleiben. Tanz ist immer auch ein Geheimnis, weil er energetisch arbeitet und mit den Sinnen gelesen werden müsste. Man spürt es einfach, was es bedeutet, wenn das Stück gut ist.

Was müssen denn Schläpfer-TänzerInnen mitbringen?

Für mich sind Tänzer inspirierend, die den Mut haben, ihre eigenen Grenzen zu erweitern, die Mut zur Unsicherheit haben, die psychisch offen sind, die sich vergessen beim kreieren. Ich bin ähnlich, ich vergesse mich auch, und das braucht gegenseitiges Vertrauen. Das ist doch der Auftrag eines Künstlers. Man kann ja außerhalb der Kunst durchaus bürgerlich leben, aber nicht in der Kunst. Und dann wünsche ich mir TänzerInnen, die Freude und Interesse daran haben, klassisch-akademisch ebenso zu trainieren wie Contemporary Dance. Man sollte nicht so zwischen den Formen trennen, so wie auch Orchestermusiker nicht trennen. Natürlich gibt es auch Musiker, die sich für ein zeitgenössisches Orchester entscheiden, weil das ihrem Wesen besser entspricht. Aber sie würden sich nie gegen Bach oder Brahms aussprechen. Leider ist aber genau dieser Diskurs in der Tanzwelt immer noch eine unsägliche Debatte, die uns schwächt. Was das Staatsballett betrifft, so gibt es für mich einen klaren Auftrag: mit einer Welt-Company den besten Tanz in seinem gesamten Spektrum zu zeigen.

Welt-Company: „… man kann auch dabei zeitgenössisch denken“

Welches Repertoire muss denn eine solche Welt-Company heute haben?

Uraufführungen sind wichtig. Glücklicherweise haben wir da mehr Möglichkeiten im Tanz, weil sie billiger sind als in der Oper. Und wenn man sich entscheidet, auch die Kultur des klassischen Balletts zu erhalten, hat das ebenso Konsequenzen auf das Repertoire. Und so gibt es natürlich auch beliebte klassische Stücke zu sehen wie „Giselle“. Aber man kann auch dabei zeitgenössisch denken. Mein Beispiel ist da immer Pina Bauschs „Le Sacre du Printemps“ an der Pariser Oper und den Widerstand, den es entfacht hatte. Und heute ist es ein sogenanntes Aushängeschild. Auch Balanchine wird es geben, und warum nicht auch Merce Cunningham? Dann würde diese Besetzung auch Cunninhgham-Technique trainieren, das ist doch bereichernd.

Aber Sie wollen die Company nicht trennen in eine Gruppe für klassischen und eine für modernen Tanz?

Auf keinen Fall. Ich will ja eben keine Trennung, und außerdem hätten dann beide Gruppen stets zu wenig zu tanzen. Das wäre frustrierend für die TänzerInnen. Und Wien wäre auch bestimmt nicht der richtige Ort für so etwas. Und eins möchte ich auch klar sagen: Natürlich bin ich der Chefchoreograph und möchte das Staatsballett auch gestalten und die künstlerische Richtung vorgeben, aber es geht mir nicht darum, nur Schläpfer zu zeigen, im Gegenteil. Ich möchte das Repertoire gern in eine Balance bekommen, auch ohne permanente Angst vor den Auslastungszahlen. Das wird Arbeit und auch Kommunikation brauchen. Es wird ein Prozess. Aber ich werde nicht alles ändern in Wien, das wäre ja unsinnig und ist auch gar nicht mein Auftrag.

Ist Wien eine Tanzstadt?

Wien ist für mich eine Tanzstadt und hat das Potenzial dazu. Es ist auf jeden Fall eine Kunststadt mit diesem spezifisch Wienerischen, diesem gewissen Taumel, und da war der Tanz immer mit dabei. Heute mit dem Festival ImpulsTanz sowieso, aber auch unter der Direktion von Manuel Legris konnte das Wiener Staatsballett seine Position erneut stärken. Jetzt wäre es gut, wenn alle Tanzschaffenden noch mehr zusammenrücken würden, ohne ihre spezifischen Eigenheiten aufzugeben. Für mich als Ballettdirektor des Wiener Staatballetts bedeutet schon die Überwindung der Trennung zwischen dem Ballett der Volksoper und Staatsoper, mit ihren teils unterschiedlichen Aufgabenstellungen, eine große Herausforderung. Meine erste Staatsopernpremiere wird jedenfalls eine für das gesamte Wiener Staatsballett werden.

Choreografieren: „Ein bisschen mehr Demut, Zweifel und Unsicherheit würden … nicht schaden“

Wer oder was hat Sie eigentlich geprägt?

Ich hatte das Glück, immer schon als Ballettdirektor Choreographen als Gäste einladen zu können. So konnte ich durch Beobachtung ständig lernen. Das Zuschauen hat mich mehr geprägt als das Tanzen.

Was macht einen guten Choreographen aus?

Es wäre verfänglich zu glauben, dass man schon ein Choreograph sei, nur weil es einen vielleicht interessiert. Viele sind da sehr selbstsicher und möchten dem Publikum zeigen, was sie können. Ich selbst habe mindestens zehn Jahre lang gezweifelt, ob ich das kann. Denn es ist in Wirklichkeit ein völlig anderer Beruf, als Tänzer zu sein. Man muss auch Leute führen können, und sie inspirieren und emotional ansprechen. Nur diese Fähigkeiten bringen dann ein Stück zum Glühen. Choreograph sein heißt auch, ein Magier zu sein. Ein bisschen mehr Demut, Zweifel und Unsicherheit würden den vielen, die heute choreographieren, nicht schaden. Es dauert, bis ein junger Choreograph sich entwickeln kann. Das braucht auch Intendanten, die ihre schützende Hand darüber legen, und das ist in der heutigen Zeit mit dem Auslastungsdruck gar nicht mehr so einfach möglich.

Ausbilden: „… da gibt es nichts zu beschönigen“

Wie muss denn eine zeitgemäße Tanzausbildung in den Akademien aussehen?

Natürlich soll das Hauptaugenmerk einer Ballettakademie auf dem Balletttanz sein, aber es müssen genauso andere Techniken in einem ernsthaften Ausmaß inkludiert werden. Sonst kann man ja kein Künstler oder Darsteller werden, der auch die heutige Zeit repräsentieren kann. Gerade jetzt, wo wir diese Krise in der Ballettakademie der Wiener Staatsoper und auch anderen Akademien haben, müssen wir uns die Lehrpläne genau anschauen. Man muss auch genau untersuchen, was dort passiert ist, da gibt es nichts zu beschönigen. Ändern muss sich auch die Art der Evaluierung, denn als Prüfer muss man den Schüler als gesamten Menschen wahrnehmen, nicht nur seine körperliche Entwicklung. Das ist jetzt eine große Herausforderung auch für die Unterrichtenden, denn sie sollen all das berücksichtigen, dürfen dabei aber nicht angstbesetzt und „verhemmt“ unterrichten. Leider hat all das dazu beigetragen, ein immer negativer besetztes Bild des Balletttänzers in der Öffentlichkeit zu vermitteln, vor allem bei Menschen, die gar nicht viel über diese grandiose Kunst wissen. Wir müssen gegensteuern, denn Balletttänzer ist ein grandioser Beruf.

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