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eno peciDass Ballett keine in Tradition erstarrte Kunst ist, will Direktor Manuel Legris mit dem Wiener Staatsballett zeigen und mischt in „Kreation und Tradition“ Ausschnitte aus Ballettklassikern mit neuen Choreografien. Die ehemalige Solotänzerin Susanne Kirnbauer erinnert sich an Grete Wiesenthal, Vesna Orlic ließ sich einen neuen Tango komponieren. Auch András Lukács, Andrey Kaydanovskiy und Eno Peçi wechseln die Seite und zeigen als Choreografen, was ihnen am tänzerischen Herzen liegt.

Gemischter Satz. Das betrogene Mädchen wird zur Wilis und wirbelt im weißen Tütü durch den Wald, die Bayadèren schweben aus dem Schattenreich, Grete Wiesenthal dreht sich im Dreivierteltakt – Balletttradition. Heute erzählen Choreografen keine Märchen mehr, lassen lieber über das Verschwenden von Zeit, über Verlust und Trauer oder über den Tango hinaus tanzen. Vier Beispiele neuer Kreationen von Mitgliedern des Staatsballetts geschaffen, sind am Abend „Kreation und Tradition“ zu sehen. Die Brücke bildet die ehemalige Wiener Solotänzerin Susanne Kirnbauer. Sie erinnert sich an die Tänzerin und Choreografin Grete Wiesenthal (1885–1970), die den Wiener Walzer ballettreif gemacht hat. Ohne direkte Anbindung an die Tradition arbeitet Solotänzer Eno Peçi, wenn er choreografiert.

Peçi, als „Spartacus“ (Renato Zanella) oder „Onegin“ (John Cranko) ebenso herausragend wie als „Blaubart“ (Stephan Thoss) oder Espada in „Don Quixote“ (Rudolf Nurejew) und Tybalt in „Romeo und Julia“ (John Cranko), hat das Kreieren von Rollen im Blut. Schon unter Ballettdirektor Renato Zanella schuf er in dessen Choreografien zahlreiche Partien und brillierte vor allem als „Petruschka“ in Zanellas Version des bekannten Strawinsky-Balletts. Jetzt verwirklicht Peçi seine Ideen nicht nur mit seinem Körper sondern hat sechs KollegInnen ausgesucht, die seine Gedanken auf der Ballettbühne visualisieren. Was Peçi so durch den Kopf geht, liegt ihm auch am Herzen, denn so gerne er den Kasperl spielt und vergnügt voll Mordlust mit dem Dolch in der Hand hinter seiner (Bühnen-)Gattin herschleicht (Jerome Robbins: „The Concert“), so ist der Wiener Tänzer aus Albanien im Grunde ein nachdenklicher, zur Melancholie neigender Mensch. So hat ihn das Elend vieler Mütter beschäftigt, die sich von ihren Kindern trennen müssen. „In so vielen Ländern, müssen Eltern ihre Kinder weggeben, weil sie sonst keine Überlebenschance haben. Sie wissen, dass sie einander nie wieder sehen werden.“ Dass auch er in jungen Jahren sein Elternhaus verlassen hat, um in Österreich sein Ballettausbildung zu vollenden und an der Staatsoper Karriere zu machen, hat jedoch keinen Einfluss auf seine choreografischen Ideen. „Ich bin ja freiwillig gekommen und bin so gerne hier.“

Keine Geschichte, aber viel Gefühl. Längst ist Eno Peçi ein echter Wiener, verheiratet mit der Tänzerin Dagmar Kronberger und Vater ihrer Tochter Lea. Die Tage der Diktatur in seiner Heimat bleiben jedoch immer präsent: „Damals war es wirklich schlimm. Das Land war isoliert, die Eltern konnten ihre Kinder nicht ernähren und mussten sie weggeben, wussten dass sie nie wieder sehen werden. Dieser Schmerz hat mich inspiriert, den will ich ausdrücken. Aber ich möchte jetzt keine Geschichte erzählen. Ich hab so Ideen, die Geschichte kann man sich selber ausdenken.“ Am Anfang gibt es jedenfalls eine „bisschen eine Demo“: Mischa Sosnovschi ist das Kind, das von der Mutter gerissen wird, verstört und desorientiert. Eine letzte zärtliche Umarmung der Mutter (Dagmar Kronberger) lässt die spastischen Bewegungen weich und fließend werden. Eine genaue Rollenzuschreibung gibt es in diesem mal eckig und verkrampft, dann wieder weit ausholend schwingenden Pas de Six nicht. Es geht um Gefühle, die auch in den Zuschauern geweckt werden sollen, um Trost und Gemeinsamkeit, um Trauer und Einsamkeit. Und das Weiterleben – trotz allem. „Herzblume“ heißt die Kreation, der Name der Zierpflanze dient als Metapher.

Schwerarbeit im Probensaal. Der sensible Tänzer ist ein strenger Choreograf. Schon bei den ersten Proben lässt er keine verwischten, verschwommenen Bewegungen durchgehen. „Präziser bitte“. Mit aufmerksamen Blick, verfolgt er aus der Distanz den ersten Durchlauf. Erst am Ende versucht er im persönlichen Gespräch seine Vorstellungen deutlich zu machen. Alle kommen sie dran: Alice Firenze und Erika Kovacová, Suzanne Kertész, vom Volksopernballett, der frisch gebackene Solotänzer Masayu Kimoto und der bejubelte „Puck“ (Jorma Elo, „Sommernachtstraum“) Mihail Sosnovschi, auch die jungen Talente Davide Dato und Greig Matthews müssen sich mit Korrekturen auseinandersetzen. Auch Dagmar Kronberger soll noch an ihrem Ausdruck feilen. Nach anderthalb Stunden intensiven und konzentrierten Probierens, steht allen der Schweiß im blassen Gesicht. Hat das Sextett zu Beginn noch fröhlich plaudernd mit den Gliedern geschlenkert, so packen sie jetzt alle stumm ihre Sachen und trotten unter die Dusche.

Den Introitus hat Peçi selbst komponiert, warmer Celloklang, begleitet von dumpfen Trommeltönen: „Das ist auch das Cello, da schwingen die Saiten und ich klopfe mit dem Finger auf den Corpus.“ Das allgemeine Leid der Mütter wird durch ein albanisches Lied ausgedrückt, außerdem sind Philip Glass und Ernesto Cortazar als Komponisten beteiligt. Zusammengefügt und arrangiert hat die musikalischen Konglomerate Jirí Novák, Dirigent und Staatsopernkorrepetitor. Die Kostüme sind nach den Wünschen des Choreografen vom Theaterservice Art for Art geschaffen, doch für Licht und Bühne zeichnet Eno Peçi selbst verantwortlich.

Tänzer sind keine Maschinen. Was mehr Freude macht, das Choreografieren oder das Tanzen, kann Peçi nicht entscheiden: „Das sind zwei völlig verschiedene Sachen. Aber natürlich ist es gut wenn ein Choreograf auch Tanzerfahrung hat, er muss ja wissen, was dem Körper möglich und ihm zuzumuten ist.“ Doch auf den Körper allein kommt es nicht an: „Dann wären Maschinen auf der Bühne. Die Tänzer müssen auch wissen, warum sie diesen Schritt und diese Bewegung machen, warum sie einander jetzt umarmen oder sich der Umarmung entziehen. Springen oder Pirouetten zu drehen, weil man es kann, das ist Zirkus oder Sport. Was vom Körper verlangt wird, ist oft das Gleiche, aber ein Artist oder ein Sportler muss nicht wissen oder fühlen, nur das Ziel erreichen.“ Dass die TänzerInnen auch des Choreografen Intentionen verstehen, ist für Peçi eine wichtige Arbeit. So hat er ihnen noch bevor der erste Schritt getan war, erzählt wovon er ausgeht und was er ausdrücken möchte, danach hat er mit ihnen den Bewegungsablauf erarbeitet. Dass der Stil des Choreografen Peçi dem Stil des Solotänzers Peçi gleicht, darf nicht verwundern. Ausgewählt hat er sein Ensemble jedoch keineswegs nach dem eigenen Körperbild: „Ich habe Persönlichkeiten gesucht und Tänzer, die sich gut bewegen können. Jeder auf seine Art.“ Können sich nicht alle Tänzer gut bewegen? Eno Peçi zögert und nickt dann: „Schon. Aber es gibt Tänzer, die nicht verstehen, was der Choreograf will, dann gibst du irgendwann auf.“ Wichtig ist dem Choreografen Peçi „die Zusammenarbeit. Die Tänzer müssen mitarbeiten. Es genügt nicht, dass ich sage ‚Streck die Füße’. Ich gebe die Idee, aber von ihnen muss auch etwas kommen. Es gibt immer einen Grund wieso sich die Tänzer so oder so bewegen sollen. Sie müssen verstehen worum es geht. Sie dürfen nicht nur als Maschinen machen, was ich vorschreiben. Etwas zu machen ist etwas anderes als zu tanzen.“

„Kreation und Tradition“ mit Uraufführungen von Andrey Kaydanovskiy, András Lukács, Vesna Orlic und Eno Peçi. Premiere am 27. April 2013, Volksoper. Weitere Termine: 3., 7., 28. Mai 2013.

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