Seit 16. Mai ist die Ausstellung „Die Spitze tanzt. 150 Jahre Ballett an der Wiener Staatsoper“ im Theatermuseum zu sehen. Mit Bildern, Videos und Tonaufnahmen aus dem ORF-Archiv wird die Geschichte von den Anfängen bis heute verfolgt. Eine Brücke zwischen dieser Schau und der Ausstellung „Alles tanzt. Kosmos Wiener Tanzmoderne“ bildete die Performance „Spitze“ von Doris Uhlich.
„Spitze“ drängt sich als Rahmenprogramm zu einer Ausstellung über das Wiener Staatsopernballett nicht unbedingt auf und wird sicher auch nicht von (allen) klassischen Puristen goutiert. Doch die Kuratorin der beiden Tanzausstellungen im Theatermuseum, Andrea Amort, versucht immer wieder, Verbindungen der Geschichte zum heute aufzuzeigen.
Die Spitze tanzt: Acht Positionen
Die Ausstellung, die in Kooperation mit der Wiener Staatsoper entstand, ist chronologisch aufgebaut, doch in der Zeitenfolge lassen sich auch thematische Schwerpunkte abhandeln. „Acht Positionen“ umfasst die Show, von den höfischen Anfängen mit Ballettmeistern wie August Bournonville, Paul Taglioni bzw. Carl Telle über die weit über Wien hinaus strahlende Tänzerin Fanny Elßler und den erfolgreichsten Choreografen Josef Hassreiter, dessen Ballett „Puppenfee“ auch an anderen Häusern getanzt wurde und sogar zum Vorbild für eine Produktion der Ballets Russes wurde, bis zum Wiener Staatsballett und der jetzigen Direktion von Manuel Legris.
Das Kapitel „Secessionistisches Ballett und Moderne“ zeichnet die Umbrüche der Jahrhundertwende nach, als die Schwestern Wiesenthal mit ihrem spezifischen Walzerstil auch zu einer Wiener Tanzidentität beitrugen, der in der Ausstellung ebenfalls vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis ins heute nachgegangen wird.
Noch lange nicht abgeschlossen ist die Erforschung über die politische bzw. rassistische Verfolgung der NS-Diktatur im Wiener Staatsballett. An die zwanzig Opfer, die von Bedrohung, Verfolgung und Ermordung betroffen waren, wurden bisher ermittelt.
Für die Kuratorin lässt sich in der Amtszeit von Gerhard Brunner von 1976 bis 1990 eine „Wiener Dramaturgie“ ableiten, die die künstlerisch vielfältigste und neuen Strömungen aufgeschlossenste Zeit im Haus am Ring repräsentiert. Damals gab es auch eine intensive Zusammenarbeit des Staatsopernballetts mit Rudolf Nurejew. Als dieser Direktor des Balletts an der Pariser Oper wurde, war auch der Austausch zwischen Wien und Paris intensiv.
Auch wenn sich die tänzerischen Spuren zwischen den beiden Städten bis ins 18. Jahrhundert zurück verfolgen lassen, so steht in unter dem Titel „Paris und Wien“ natürlich das mittlerweile umbenannte, seit 2010 von Manuel Legris geleitete Wiener Staatsballett im Mittelpunkt. Seine Ära ist bestimmt von einer traditionellen Repertoirepolitik, während die tänzerische Performance des Ensembles Weltniveau erreicht hat.
Andrea Amort hat in zwei Räumen des Theatermuseums enorm viele Informationen über die 150-jährige Ballettgeschichte untergebracht. Highlights sind die Vitrinen mit Kostümen etwa von Fanny Elßler, von der auch ein Spitzenschuh vis à vis der modernen Version von Olga Esina ausgestellt ist.
Rebecca Horner erhält Fanny-Elßler-Ring
Zu sehen ist auch ein Kostüm des letzten Neujahrskonzerts, das von Andrey Kaydanovskiy choreografiert worden war. Anlässlich der Verleihung des Fanny-Elßler-Rings an seine Lebensgefährtin Rebecca Horner, widmete er ihr das Solo „Seit ich ihn gesehen“ zu dem gleichnamigen Schumann-Lied, das eine sehnsüchtige Gefühlspalette in Bewegung setzt. Die ausdrucksstarke Solistin des Wiener Staatsballetts ist eine exzellente Wahl als Trägerin des Ringes, der 1960 von der Tänzerin, Tanzhistorikerin und Autorin Riki Raab gestiftet wurde. Er wird an eine herausragende österreichische Tänzerin vergeben, die, wenn sie ihre aktive Laufbahn beendet, ihre Nachfolgerin wählt. Bisherige Trägerinnen waren Edeltraud Brexner, Jolantha Seyfried und Dagmar Kronberger, die am 19. Mai den Fanny-Elßler-Ring mit sehr persönlichen Worten an ihre Nachfolgerin Rebecca Horner übergab.
Doris Uhlichs „Spitze“
Wenn man eine Ausstellung über klassisches Ballett macht, kommt man um den kürzlich aufgedeckten Skandal an der Ballettakademie der Wiener Staatsoper nicht herum. Auch Andrea Amort, Kuratorin der Ausstellung „Die Spitze tanzt“ sowie die bei der Pressekonferenz anwesenden Künstlerinnen Susanne Kirnbauer und Rebecca Horner, musste sich den Journalistenfragen dazu stellen und bestätigten erneut ihre bereits bekannten Einstellungen zu dem Thema. (In der Ausstellung kommt die Ballettschule lediglich am Rande vor.)
Hingegen ist Doris Uhlich mit „Spitze“ ein künstlerisches Statement gelungen, das eine andere Perspektive auf das Ballett bietet. Elf Jahre nach seiner Uraufführung (und insgesamt über 50 Aufführungen) ist das Stück aktueller denn je und wurde glücklicherweise anlässlich der Opern(ballett-)Jubiläums noch einmal aufgenommen.
Susanne Kirnbauer, ehemalige Erste Solotänzerin der Wiener Staatsoper, und Harald Baluch, unter anderem Solotänzer an der Wiener Volksoper, erinnern sich an Schritte, Variationen, an Musik und an Anweisungen, die sie laut und militärisch durch den Raum brüllen. Sie erinnern sich mit einem Körper, der über die Zeit der Höchstleistungen hinausgewachsen, in dem aber die Eleganz und die Maske der Leichtigkeit noch immer eingraviert ist. Die dritte im Bunde ist Doris Uhlich, zeitgenössische Choreografin und Tänzerin, die sich mit 30 erstmals auf Spitzenschuhe stellte und mit Harald Baluch einen gewichtigen Pas de deux tanzt. Uhlichs Versuche sind ernst gemeint. Was leicht parodistisch werden könnte, wird hier zu einem berührenden Kommentar über eine streng disziplinierte Kunstform, in der Virtuosität ein zentrales Element ist und die Karriere aufgrund der körperlichen Anforderungen extrem kurz ist. Die Verschmelzung von zeitgenössischer Recherche mit der traditionellen Ballettwelt legt Wunden offen und ist gleichzeitig versöhnlich. Nachdem für den zeitgenössischen und klassischen Tanz verschiedene Maßstäbe und vor allem eine völlig andere Ästhetik gelten, herrscht zwischen den VertreterInnen der beiden Richtungen bis heute ein (mehr oder minder tiefes) Misstrauen. „Spitze“ wirft einen frischen Blick auf eine Tradition, die von den „Modernen“ weitgehend ignoriert, belächelt oder sogar verächtlich eingeschätzt wird. Susanne Kirnbauer, Harald Baluch und Doris Uhlich laden dazu ein, aus heutiger gesellschaftlicher Sicht noch einmal darüber nachzudenken, indem sie die Kehrseite des Strebens nach Perfektion, und gleichzeitig deren Notwendigkeit zeigen.
„Die Spitze tanzt. 150 Jahre Ballett an der Wiener Staatsoper“ ist bis 13. Jänner 2020 zu sehen. Zu der Ausstellung ist eine Broschüre mit den Texten zu den acht Positionen und eine umfangreiche Chronologie für einen Unkostenbeitrag erhältlich.
Für Ballettomanen, aber auch Interessierte an der tänzerischen Moderne, die zeitgleich in der Ausstellung „Alles tanzt“ dokumentiert ist, wird ein Besuch wohl nicht genug sein. Außerdem bietet das Rahmenprogramm eine Reihe von Events: Ab Juni werden zum Beispiel um die Mittagszeit halbstündige Führungen durch die Ausstellung des Staatsopernballetts angeboten. Im Rahmen von „Alles tanzt. Kosmos Wiener Tanzmoderne“ haben StudentInnen des MUK Kurzchoreografien zum Thema Exil entworfen, die sie jeweils mittwochs und donnerstags zeigen.
Im November stehen die Puppenspiele von Richard Teschner, die seit vielen Jahren zum Programm des Theatermuseums gehören, ganz im Zeichen des Tanzes, unter anderem mit den Aufführungen von „Die grüne Tänzerin“ und „Der Sonnentänzer“.
Details und Infos: www.theatermuseum.at