Das gleichermaßen faszinierende wie beängstigende Thema der künstlichen Intelligenz steht im Mittelpunkt des Osterfestival Tirol von 1. bis 17. April 2022: „Maschine. Mensch“ lautet das Motto, mit dem die künstlerische Leiterin Hannah Crepaz einen neuen Zyklus im Traditionsfestival einleitet. Ein dichtes musikalisches Programm und Highlights aus der Welt des Theaters, des Tanzes und der Performance zeigen vielfältigen Facetten der kreativen Auseinandersetzung mit dem Thema.
Eine direkte Bezugnahme auf Robotik und die mögliche Fusion von Mensch und Maschine gibt es zum Beispiel bei der Produktion „Uncanny Valley / Unheimliches Tal“ von Rimini Protokoll: Alles scheint ganz normal, der Autor Thomas Melle auf einer Lesereise: ein Stuhl, ein Tisch für den Laptop, ein Wasserglas. Darsteller ist jedoch sein bis ins Detail nachgebaute Double. Löst seine Mimik, Gestik, Sprache, das Gesagte Empathie aus und wenn ja, zu wem: zum fragilen Menschen oder zur Maschine? Melle gibt bewusst die Kontrolle an den Androiden ab. Über den Einsatz des Roboters hofft er den durch seine manisch-depressiven Schübe hervorgerufenen Kontrollverlust zurückzugewinnen.
Das renommierte deutsch-schweizerische das Künstlerkollektiv Rimini Protokoll, das 2000 von Helgard Haug, Stefan Kaegi und Daniel Wetzel gegründet wurde, bietet mit dieser Zusammenarbeit mit dem Schriftsteller wieder eine Erweiterung sowie eine neue Perspektive auf die Theaterwirklichkeit. (1. und 2. April im Salzlager Hall)
„Vis Motrix“ steht für „Seele“ und ist der Titel der neuen Produktion des Bonner Tanzensembles CocoonDance unter der künstlerischen Leitung der ehemaligen Forsythe-Tänzerin Rafaële Giovanola. Gemeinsam mit ihren Tänzerinnen denkt sie bekannte Körperbilder neu und erzeugt so uns unbekannte Kunstkörper. Die vier Tänzerinnen liegen anfangs rücklings am Boden. „Eine Position, die sie bis zum Schluss lediglich unterbrochen von tänzerischen Varianten des Aufbäumens und Sich-In-die-Senkrechte-Katapultierens beibehalten. Dann wölben sich energiegeladen Brustkörbe, Knie werden angewinkelt, Ellbogen aufgestützt. Dutt-Frisuren verlängern die schwarzgliedrigen Körper. Wie diese dann – vergleichbar elektronischen Teilchen oder hybriden Organismen – halb Mensch, halb Maschine – in unterschiedlicher Schnelligkeit, Dynamik und schritttechnischer Komplexität über eine weiße Fläche flutschen, ist sensationell.“ (Vesna Mlakar über „Vis Motrix“ auf tanz.at). Zu sehen am 9. April im Congress Innsbruck.
Erstmals kommt der wegweisende belgische Regisseur Jan Lauwers und seine Needcompany nach Innsbruck. In „All the good“ aus dem Jahr 2019 wird die autobiografische Geschichte einer Künstlerfamilie mit ihren alltäglichen Sorgen und Widersprüchen dargestellt. Dazu Jan Lauwers: „Für die am wenigsten Begüterten unter uns ist die Identität manchmal der einzige Lebensretter und die einzige Form der Selbstachtung. Aber sie ist ein falsches Bild. Es ist ein unehrliches Bild, und in den Händen nationalistischer Kräfte kann es zerstörerisch werden. Künstler müssen alles in ihrer Macht stehende tun, um sicherzustellen, dass ihre ‚Poetik‘ eine kraftvolle Antwort auf die alles verschlingende politische Erstickung ist, in der wir uns jetzt befinden.“ Der aufwühlende Abend ist am 15. April im Congress Innsbruck zu sehen und bietet Denkanstöße für die besinnliche Osterzeit.
Den Abschluss des Festivals bildet „Made of Space“ von GN | MC aus Barcelona am Ostersonntag (17. April) im Congress Innsbruck. Die Buchstaben stehen für die kreativen Köpfe und Gründer der Compagnie Guy Nader und Maria Campos. Nader studierte Schauspiel am National Institute of Fine Arts der Libanesischen Universität in Beirut. Campos absolvierte eine Tanzausbildung am SEAD und schloss ein Studium an der Amsterdam School of Arts (MTD) ab. In ihren Choreografien verbinden sie Akrobatik, zeitgenössischen Tanz, Rhythmus und Musik auf atemberaubende Weise. Jede Bewegung, jede Berührung, jede gemeinsame Drehung, ist anders, jede vermeintliche Wiederholung eine Variation.
„Made of Space“ ist der letzte Teil der Trilogie rund um Rhythmus, Zeit, Raum und Vergänglichkeit. Eine Reise in eine andere Dimension, von der Einsamkeit bis hin zur Verschmelzung der Körper, die in einem Uhrwerk gleich präzise ineinander greifen.
Wie in einer Partitur, bewegen sich die Körper in steter Variation aus hochdynamischen Schrittkombinationen, Sprüngen, Würfen und Drehungen, die den puren Tanz feiern und kaum zuvor gesehene Figuren erzeugen. Treibende Kraft ist die pulsierende Live-Musik von Miguel Marín und Daniel Munarriz. Eine Welle aus reinem Tanz und reinem Klang, ein Strudel aus Lebensenergie.
Auch diese 34. Ausgabe des Osterfestival Tirol spannt den musikalischen Bogen von alter zu neuer Musik, unter anderem mit La Divina Armonia, die mit ihrem Programm mit Stücken von Monteverdi, Cima und D’india ins Mailand der „Pest Anno 1630“ führen. Die Ensembles Phace oder WirkWerk legen den Fokus diesmal auf elektronische Musik.
Weitere Impulse kommen vom Film: Eine Neudeutung des „Fräulein Else“ in Paul Czinners Stummfilm nach Arthur Schnitzler liefern mit Musik und Text Franui und maschek (5. April), Karin Jurschick beschreibt die Entwicklung der Kriegsführung bis hin zu unbemannten Kriegsrobotern („Krieg & Spiele“, 4. April) und das Filmdebut von Rahul Jain („Machines“, 7. April) zeigt in atemberaubenden Bildern den zermürbenden Alltag von Arbeitern in indischen Textilfabriken – Mensch und Maschine scheinen zu verschmelzen. Alle Filme sind im Leokino zu sehen.
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Osterfestival Tirol, 1. bis 17. April