So, nun ist er also fertig, der Endbericht der „Unabhängigen Sonderkommission Ballettakademie“ der Wiener Staatsoper. Und der Befund ist eindeutig: Die im Zwischenbericht aufgezeigten Defizite wurden bestätigt. Auch für die Veränderungen, die seither an der Ballettakademie vorgenommen wurden, gibt es keinen Applaus. Konsequenzen darauf sind nicht absehbar. Die Wiener Staatsoper beschwichtigt.
Der Bericht des Gremiums stellt ein vernichtendes Urteil aus. Es gibt gravierende Mängel in der Organisationsstruktur, in der Qualitätssicherung und, vor allen Dingen, in Hinblick auf den Kinderschutz. Die Kommission stellte in ihrem Bericht nämlich nicht das Ansehen der Ballettakademie, sondern das Kindeswohl in den Mittelpunkt. Denn: In Bezug auf die außergewöhnlichen Herausforderungen, die an Kinder während einer Ballettausbildung gestellt werden, „braucht es eine hohe Sensibilität in Bezug auf Kinderschutz und Kindeswohl. Ein entsprechendes Problembewusstsein fehlt in der Ballettakademie, insbesondere auf Führungsebene …“
Und gerade auf der Führungsebene gibt es Verbesserungsbedarf, denn die Kommission suchte vergebens nach klaren Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten. Es fehlt ein Qualitätsmanagement- bzw. sicherung, Entscheidungen sind intransparent. „Vielmehr scheint es so zu sein, dass die Direktorin mehr oder weniger eigenmächtig schwerwiegende Entscheidungen alleine trifft.“
Schwerwiegende Mankos dokumentiert der Bericht auf 34 Seiten außerdem in der medizinisch-therapeutischen Versorgung der BallettschülerInnen sowie in der Zusammenarbeit mit dem BG und BRG Wien III und dem anschließenden Internat.
Die Kommission betont in ihrem Bericht jedoch auch mehrfach, dass eine Ballettausbildung auf höchstem Niveau „an einem der besten Opernhäusern der Welt“ einen „hervorragender Bestandteil österreichischen Kulturgutes“ darstellt. Es ist auch begrüßenswert, dass die angehenden BalletttänzerInnen durch die Kooperation mit dem öffentlichen Schulwesen ein zweites Standbein haben. Man müsste nun diesen künstlerischen Ausbildungsweg ins 21. Jahrhundert überführen, und das wird auch Geld kosten.
Eingeleitete Maßnahmen sind ungenügend
In einer ersten Reaktion auf den Endbericht wies die Staatsoper darauf hin, dass ja bereits erste Schritte an der Ballettakademie eingeleitet wurden. Auch diese hat die Kommission unter die Lupe genommen. Und zwar gründlich.
So steht beispielsweise auf Seite 12 des Endberichts: „Seit Beginn der Tätigkeit der Sonderkommission wurden zwar seitens der Ballettakademie zahlreiche Änderungen vorgenommen. Doch erwecken sowohl die Vorgehensweise wie auch die Inhalte der getroffenen Maßnahmen bei der Sonderkommission den Eindruck, dass die Motivation dieser Änderungen nicht primär dem Wohle der Kinder und Jugendlichen gilt. Vielmehr scheint es der Ballettakademie ein Anliegen zu sein, im Blick der Öffentlichkeit möglichst aktiv zu wirken, weil ein Gesamtkonzept noch nicht ersichtlich erscheint.“ Auf Seite 25 betont die Kommission, dass sie die Bemühungen der Ballettakademie, eine Reihe von Maßnahmen zu setzen keineswegs verkennt. „Allerdings ist zum Einen befremdlich, dass diese Schritte – wie etwa die Erarbeitung eines Kinderschutzkonzepts – nicht schon wesentlich früher gesetzt wurden. Immerhin hat die Ballettakademie schon immer mit Kindern und Jugendlichen zu tun gehabt … Es wird aber auch […] eine innovative Leitung der Ballettakademie selbst brauchen“, die von sich aus Vorschläge zur Optimierung unterbreitet, sich auch vor unpopulären Beschlüssen wie Trainingsauschluss nicht scheut, wenn es für das Kindeswohl nötig ist, Lehrer bei Übergriffen zur Verantwortung zieht, und „die Anliegen und Interessen der Kinder und Jugendlichen nachhaltig gegenüber den übergeordneten Stellen“ vertritt. All dies passiert offenbar zur Zeit nicht.
Personelle Konsequenzen aus diesem Befund lassen auf sich warten, auf die neue Ballettdirektion (ab der Saison 2020/21)? Kann man das aber wirklich verantworten? Im Sinne des Kinderschutzes? Denn auch nach Einsetzung der Kommission wurden Übergriffe und seltsame Ratschläge (etwa mit dem Rauchen anzufangen um abzunehmen) gemeldet.
Vielleicht könnte man ja auch das Schicksal der Kommission als Role Model in Betracht ziehen. Die erste Vorsitzende, die ehemalige Präsidentin des Verfassungsgerichtshofes, Brigitte Bierlein, musste diese Aufgabe abgeben, nachdem sie mal kurz die Republik nach der Ibiza-Affäre retten und Bundeskanzlerin werden musste. Die Übergabe an ihre Nachfolgerin, die Rechtswissenschafterin Susanne Reindl-Krauskopf, die im Team mit der Pädgogin Martina Fasslabend und der Rektorin der Universität für Musik und Darstellende Kunst, Ulrike Sych die Untersuchungen führte, war reibungslos. Und ebenso unumstritten ist auch die Leistung der sogenannten „Übergangsregierung“ von Brigitte Bierlein.
Warum ziehrt man sich eigentlich an der Staatsoper so, die notwendigen Schritte (auch) auf personeller Ebene sofort zu setzten? Warum diese Vogel-Strauß-Politik?
Die internationale Aufmerksamkeit auf die Missstände der Ballettakademie sollten dafür eigentlich schon Grund genug sein, ist doch die Wiener Staatsoper als Flagschiff der österreichischen Kultur immer um ein gutes Image bemüht. Der Endbericht der Kommission ebenso wie die ersten Enthüllungen (tanz.at berichtete) findet jedenfalls nicht nur in Österreichs Medien Niederschlag. Auch diesmal berichteten wieder die BBC oder der Guardian, um nur einige zu nennen. „Aktiv zu wirken“ wird nicht reichen, um aus den Schlagzeilen zu kommen. Jetzt müsste man aktiv werden.
Der Endbericht der Unabhängigen Sonderkommission Ballettakademie ist hier zum Download verfügbar.