In der laufenden Diskussion und, in manchen europäischen Ländern, bereits getroffenen Maßnahmen zur Implementierung von Kunst ins Gesundheitswesen, spielt Tanz mit Parkinsonkranken eine spezielle Rolle ein. Während klinische Forschungen die positiven Wirkungen bestätigen, nähert sich Sara Houston dem Thema von einer tanzwissenschaftlichen Perspektive.
Im Report der Weltgesundheitsorganisation “What is the evidence on the role of the arts in improving health and well-being?“ wird Tanz für Parkinsonpatienten als Fallbeispeil für erfolgreiche Kunstinterventionen im Gesundheitsbereich vorgestellt. In der Auswertung der über 3000 Studien wurde wiederholt festgestellt, dass klinisch bedeutsame Verbesserungen der motorischen Werte in Bezug auf Gleichgewicht, Ganggeschwindigkeit, funktionelle Mobilität und, auf der psychischen Ebene, des Wohlbefindens durch eine Erhöhung der Serotoninkonzentration stattfindet. Tanzstudien, an denen Menschen mit Parkinson beteiligt waren, zeigten in der Regel auch hohe Compliance-Raten bzw. einen geringen Abbruch und anhaltende Aktivität über den Studienzeitraum hinaus.
Demgegenüber betont Sara Houston, dass es gilt, den Tanz selbst zu untersuchen und sich nicht nur auf medizinische Wirkungen zu konzentrieren. Sie sieht den Tanz nicht als Werkzeug, sondern setzt ihre Untersuchungen bei den ästhetischen Werten an. Sie schreibt:
„Mein eigener Standpunkt als Forscherin war es, dafür zu argumentieren, wie wichtig es ist, den Tanz selbst aus verschiedenen Blickwinkeln zu untersuchen. Das Buch reflektiert dies, indem es auf der Prämisse aufbaut, dass Tanz ein komplexes soziales und kulturelles Phänomen ist. Es kann als künstlerische und kreative Aktivität, als eine Form von Körpertraining und manchmal auch als Therapie verstanden werden. Als soziale Aktivität hat die Art und Weise, wie sie verwendet, präsentiert, überlegt und theoretisiert wird, politische Konsequenzen. Das Buch hebt Tanz für Parkinson als soziales und künstlerisches Phänomen hervor, das sich von den meisten Forschungsstudien auf dem Gebiet der Therapie unterscheidet.”
Das Ergebnis ist eine spannende und inspirierte Untersuchung über Tanz mit Menschen mit der chroninischen, unheilbaren Krankheit. Houstons Fallstudien stammen vor allem aus ihrer langjährigen Begleitung der Arbeit „Dancing with Parkinson’s“ des English National Ballet in London.
Im ersten Teil des Buches, „Positioning dance with Parkinson’s“ untersucht sie die Krankheit im sozialen Kontext sowie das Phänomen Tanz für Parkinsonkranke und fragt was so besonders am Tanzen ist. Im zweiten Teil, „The value of dancing with Parkinson’s” beschreibt die Autorin, wie man mit Parkinson gut leben kann und welche Eigenschaften des Tanzens den betroffenen Teilnehmerinnen besonders wichtig waren. Und die lauten: Schönheit, Grazie und Freiheit. Houston diskutiert diese in einem wissenschaftlichen Zusammenhang. Der Begriff der Eigenständigkeit (Agency) wird im abschließenden Kapitel in seiner Bedeutung im Alter und für chronisch Kranke sowie in Zusammenhang mit den sozialen, emotionalen, empathischen, kreativen und kommunikativen und ästhetischen Merkmale von Tanz verhandelt.
Sara Houstons Buch ist daher nicht nur für TänzerInnen, die auf diesem Gebiet arbeiten interessant. In der derzeitigen Diskussion und Forschung über die Benefits von Kunst auf die Gesundheit und das Wohlbefinden ist es ein Game-Changer. Houston fragt nicht nur nach dem Effekt, sondern nach den Grundlagen für die Wirkung, und die liegen im Tanz selbst, nicht als Therapie, sondern als Kunstform, die therapeutisch wirken kann. Mit „Dance with Parkinson’s“ bringt Houston auch die tanzwissenschaftliche Debatte wieder an ihren Ausgangspunkt zurück, der in den letzten Jahren so oft in weite Ferne gerückt ist: zur ästhetischen Analyse der bewegungsbasierten Kunstform.
Sara Houston. „Dancing with Parkinson“, Bristol: Intellect, 2019
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