Ich mag den Stehplatz. Nur vier Euro kostet die teuerste Variante in der Volksoper zu Wien. Zusätzlich bietet die Vertikale einen ausgezeichneten Überblick. Jüngst gelang es mir, eine Karte für die Abschiedsvorstellung von „Promethean Fire“ zu ergattern, und einen etwas überfordernden Mix verschiedenster Contemporary-Kreationen zu genießen. Aber darüber ist ohnehin schon zigmal rauf- und runtergeschrieben worden.
Neben den durchwegs faszinierenden Darbietungen bühnenseitig bekam ich Einblick in die Seelen- und Gedankenwelt vor mir Sitzender.
In Atemnähe, also direkt „unter“ mir, ein Herr, der noch vorm ersten Hinsetzen mit seinem Telefon die leere Bühne und die teils noch leeren Zuschauerränge fotografierte. Bequem für mich, dass er jeweils seine schon abgelichteten Tableaus gründlich inspizierte. Daraus ging nämlich hervor, dass er vorher minuziös das Programmheft fotografiert hatte. Für einen wie mich, der kein Programm gekauft hatte, höchst informativ. Der Mann hatte zwar keine asiatischen Züge, aber dennoch keimte in mir der Verdacht, es handle sich um einen Abgesandten einer fernöstlichen Macht, die neben dem erfolgreichen Hallstatt-Nachbau nun auch die Volksoper samt Ballett zu kopieren beabsichtige.
Dringend geht die Bitte um Kontaktnahme aber an jene zwei Reihen vor mir sitzende Dame, die bis weit in das Schläpfersche Oeuvre hinein an einem Rezept auf ihrem Smartphone arbeitete. Wunderbare Bilder köstlicher Zutaten und zum Schluss der Hinweis „Auf kleiner Stufe im Rohr, zehn Minuten …“ ließen mir das Wasser im Maule zusammenfließen: Bitte, liebe Dame, melden Sie sich so bald wie nur möglich – ich glaube, Ihr ausgezeichnetes Quiche-Rezept nur lückenhaft mitgeschrieben zu haben!
Die nächste Stehplatzkarte habe ich schon in der Tasche – bin voll gespannt, welch fesselndes Nebenprogramm die Staatsoper zu bieten haben wird.
Wenn Sie mir schreiben möchten, bitte, sehr gerne:
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