Das Ansinnen, im Gedenkjahr von Kaiser Franz Joseph I. (100. Todestag am 21. November 2016) auch noch auf seinen Namenstag am 4. Oktober einzugehen, scheint doch etwas übereifrig. Bedenkt man aber, dass das Ballettensemble der Hofoper meist an eben diesem Tag eine Premiere herauszubringen pflegte, ihm also mit dieser Aufführung ein besonderes Geschenk zu machen hoffte, so wird die Absicht, sich an diesen Kaiser zu erinnern und dies im Zusammenhang mit Ballett zu tun, schon verständlicher.
Was es für die Tanzhistorikerin an den Fakten des Kaiser-Namenstags verbunden mit einer Ballettpremiere in der Hofoper festzuhalten gilt, ist die Tatsache, dass der Kaiser, das heißt also ein Oberhaupt eines Staates, das als solches letztlich die finanziellen Aufwendungen für kulturelle Angelegenheiten zu verantworten hatte, sich tatsächlich für das, was er subventionierte auch interessierte. Neben vielem anderen ist dies heute nicht mehr der Fall.
Sieht man einmal von Heinz Fischer und seiner Frau ab, die wiederholt bei Aufführungen des Wiener Staatsballetts zu sehen waren, kann man heute bei Tanzaufführungen, gleich welchen Genres, anwesende Politiker – somit die Subventionsgeber, also diejenigen, die das Geld der Bürger verteilen – an einer Hand abzählen. Dies steht sicherlich mit der Überzeugung von Politikern in Zusammenhang, kulturell Engagierte im Allgemeinen und Tanzinteressierte im Besonderen als eine Minderheit der Wählerschaft und daher als eine Quantité négligeable anzusehen. Bedenkt man aber, dass allein in Wien täglich mehr als 10.000 Menschen – Zuschauer in Kleinbühnen oder bei Großveranstaltungen nicht mitgerechnet – Sprech- und Musiktheatervorstellungen sowie Konzerte besuchen, ist die Zahl doch nicht gar so klein. (Die einzige theatralische Sparte, die zu besuchen sich auch Politiker verpflichtet fühlen, ist das Kabarett. Offenbar ist man der Meinung, dass eine öffentlich zur Schau getragene „sportlich-faire“ Haltung, mit der man – vielbeobachtet – Kritik anzunehmen weiß, zu der Aura eines erfolgreichen Politikers gehört.) Die Abwesenheit von Politikern im Theater steht in krassem Gegensatz zu weitreichenden Entscheidungen, die diese treffen können. Denn weder Desinteresse noch Unkenntnis lassen – wenigstens in unserem kulturellen Raum, das heißt also in Mitteleuropa – Politiker davor zurückschrecken, etwa einen Ballettdirektor oder Leiter eines Tanzhauses zu bestellen! Wieso man meint, die Fähigkeit für Ernennungen (nicht nur) solcher Art auch zu haben, ist nicht ganz klar. Doch offenbar verleiht die Zugehörigkeit zu einer politischen Partei, das heißt also zu einer Gesinnungsgemeinschaft, derartigen Rückhalt, dass das Bewusstsein für die eigene Unzulänglichkeit vollkommen verloren geht. (Nachzutragen wäre in diesem Zusammenhang ein bemerkenswerter, sogar parteiübergreifender Konsens hierorts, wenn es darum geht – oft sehr laut und hämisch lachend, denn man weiß sich ja unter Gleichgesinnten – seine Unkenntnis den Tanz betreffend zu beteuern. Ein diesbezüglicher Standardsatz lautet sinngemäß: „Mir sagt die Hupferei gar nichts!“ Sieht man „Hupfen“ als spontane, ungeformte Bewegung, so wusste selbst der Kaiser – spätestens seit dem Ballettstudium seiner jüngsten Tochter Marie Valerie, dass es im Ballett nichts derartiges gibt. Zudem hatten wohl nur sehr wenige der Tanzenden – zumindest vor Pina Bausch – die Absicht, auf der Bühne tanzend auch etwas zu „sagen“.)
Dem Kaiser gegenüber wagte wohl niemand sich solcherart zu äußern. Schon aus dem einfachen Grund, weil man wusste, dass er sich selbst als gottbegnadet ansah und sich daher im Zustand „höheren Seins“ befand. Der Kaiser war also überzeugt von der Kompetenz der von ihm für die K. K. Hofoper eingesetzten Behörden – die oberste Hoftheater-Direktion sowie die General-Intendanz der Hoftheater. An der Spitze, und damit (oft ersehnte) höchste Ansprechperson auch für das Ballettensemble der Hofoper, stand – wie dies wienerisch hieß – „ein Fürscht“. Der Verantwortungsbereich dieser Herren, es waren einige im Laufe der Regierungszeit des Kaisers – die bekanntesten waren wohl Prinz Konstantin, Fürst zu Hohenlohe-Schillingsfürst und Alfred Fürst von Montenuovo –, war dermaßen groß, dass sie über Beschwerdeführungen einzelner Tänzerinnen oder Tänzer kaum erfreut sein konnten. Wobei hinzugefügt werden muss, dass man ohne entsprechende Protektion kaum bis zum „Fürschten“ vordringen konnte. Womit man beim Thema männlicher „Beschützer“, „Bewunderer“, „Ausbildner von weiblichen Talenten“ angelangt wäre. Jede Frau wusste, dass sich mit der Bedeutung der beschützenden Herren der Abstand zwischen dem „Fürschten“ und dem jeweiligen Talent verkürzte, eine Tatsache, die nur dann nicht zum Tragen kam, wenn der Kaiser selbst der Bewunderer war. Da dies offenbar einige Male der Fall war, ist zu fragen: Was interessierte den Kaiser am Ballett? Interessierte er sich – als begabter Zeichner – für die damals vorherrschende Bildhaftigkeit dieser Kunst an sich oder/und für jene weibliche Körperlichkeit, die diese Bildhaftigkeit zu verwirklichen wusste? Interessierte er sich etwa für Fanny Elßler, die er als noch nicht 14-Jähriger erstmals gesehen hatte, als Frau oder/und war es die „Farbe“ ihrer Tänze, dazu ihre mit Virtuosität verbundene Aura, die ihn – wenn sie als umjubelter „Gast“ in Wien tanzte – immer wieder ins Theater lockte?
Ob der Kaiser – wie dies zuweilen kolportiert wird – in seinen Junggesellenjahren eine größere Nähe zu einer bestimmten Tänzerin hatte, kann kaum mehr geklärt werden. Der Kaiser, beziehungsweise sein Adjutant, habe, so wird berichtet, eine Tänzerin in den „Jagdgründen“ des Wurstelpraters gefunden. Hier gab es immer wieder ungarische Csárdás-Tänzerinnen, die Gönner fanden, die sie weiter ausbilden ließen. Solcherart handelte (angeblich) auch der Kaiser. Also Glück für die nach Wien zugezogene Margit Libényi, so der Name der (angeblichen) Geliebten, die in weiterer Folge unter einem deutschen Namen (Mizzi Langer) auch im Hofopernballett tätig gewesen sein soll. Pech nur für sie, dass ihr (angeblicher) Bruder János Libényi den Kaiser weniger schätzte und ihn mit einem riesigen Mordwerkzeug, das in der Literatur als „Küchenmesser“ bezeichnet wird, niederzustechen trachtete. Der Anschlag (am 18. Februar 1853) endete für den Kaiser glimpflich, dem Attentäter brachte er den Tod durch den Strang, der (angeblichen) Schwester – nachdem man sie entsprechend abgefunden hatte – das Ende der Beziehung zum Kaiser samt Landesverweis. Bemerkenswert an dieser Episode, bei der wahrscheinlich die Phantasie die Wirklichkeit an die Hand nahm, ist, dass man „allerhöchst“ der Meinung war, ein junger Herr habe „voreheliche“ Erfahrungen zu sammeln, eine Haltung, die, bedenkt man die katholische Ausrichtung des Hofes, überrascht. (Die Schilderung des fehlgeschlagenen Versuchs, die berühmte dänische Ballerina Lucile Grahn – sie trat tatsächlich Anfang der Fünfzigerjahre in der Hofoper auf – dem Kaiser zuzuführen, mag allein der dichterischen Phantasie einer Romanautorin entsprungen sein.)
Der Kunstgattung Ballett kam nicht nur in diesen Jahren ein besonderer Stellenwert innerhalb der theatralischen Künste zu, befriedigte sie doch gleich mehrere Bedürfnisse der Zuschauer, wovon die Schaulust wohl an erster Stelle zu nennen ist. Dass es immer wieder Künstler gab, die diese Schaulust zu adeln wussten, macht weltstädtisches Theater aus. In Wien war dies der Clan der Taglioni. Schon in den Zwanziger- und Dreißigerjahren hatte das erste Vater-Tochter-Duo – Vater Filippo Taglioni und Tochter Marie, die Inkarnation der Sylphide – Wien in seinen Bann gezogen, in den Fünfzigerjahren tat dies das zweite Vater-Tochter-Duo – Vater Paul Taglioni (er war der Sohn Filippos und Bruder der großen Marie) und Tochter Marie, die Jüngere – ein Gleiches. In den Jahren 1853 bis 1856 gastierte nun von Berlin aus und auf „Allerhöchsten Wunsch“ Marie, die Jüngere, in Wien. Sie tat dies jeweils im Herbst, also rund um den Namenstag des Kaisers, meist in Balletten ihres Vaters. Sie verdrängte damit die Werke von August Bournonville, der in ebendieser Zeit Ballettmeister der Hofoper war. Marie, die Jüngere, zählte zu den Favoritinnen nicht nur des Kaisers, sondern auch der Kaiserin, findet sich doch eine Abbildung der Ballerina in ihrem „Schönheiten-Album“.
Von jungen Privilegierten und alten Brigaden
Je nach Ausführlichkeit und Ausrichtung einer Franz Joseph-Biographie wird, neben den allgemein bekannten „Lieben“ des Kaisers zuweilen auch der Name einer Tänzerin des Hofopernensembles genannt: Katharina Abel. Wenn hier auf diese Persönlichkeit näher eingegangen wird, dann weniger um zu diskutieren, ob Gerüchte einer etwaigen Nähe zum Kaiser schon oder doch nicht der Wahrheit entsprechen, als vielmehr um einen Tänzerinnentyp zu würdigen, der heute kaum mehr existiert. Die Rede ist vom Fach der Mimikerin, ein Fach, dem im Handlungsballett des 19. Jahrhunderts größte Bedeutung zukommt. Dieses Fach ist es nämlich, das die Handlung eines Balletts in einer „mimischen Aktion“ tatsächlich erzählt. Das Instrumentarium dafür ist eine eigene Körpergestik, die in bildhafter Weise und meist groß ausschreitend den Plot vermittelt. Die Angehörigen dieses Faches waren die eigentlichen Spielmacher eines Handlungsballetts. Erst durch sie fügten sich – und dies kann heute bei den durch Alexei Ratmansky so überzeugend auf die Bühne gebrachten Petipa-Balletten nachgeprüft werden – mimische Aktion und Tanz zu einem zusammengehörenden, ausgewogenen Ganzen. Die Wiener Tanzgeschichte kennt einige herausragende Beispiele für dieses Theaterfach, zu ihnen gehört Katharina Abel. Ihre glänzende Erscheinung, der großgewachsene, überschlanke Körper, ihre Schönheit, besonders aber ihr Haar, das als das „schönste, längste und vollste“ des ganzen Ensembles galt – dies alles Attribute, die an die Kaiserin erinnern –, machten sie zur idealen Interpretin für dekorative Aufgaben. Just zur Silbernen Hochzeit des Kaiserpaares (1879) trat sie in dem Festspiel „Aus der Heimat“ auf, ihre wichtigsten Rollen in der Folge waren Melusine in dem gleichnamigen Ballett 1882 (Ch.: Carl Telle), Göttin des Lichtes in „Excelsior“ 1885 (Ch.: José Mendez) und Sonne in „Sonne und Erde“ 1890 (Ch.: Josef Hassreiter). Abel genoss, so fällt auf, immer wieder besondere Privilegien. Sie bekam großzügig bemessene Gagenerhöhungen, gastierte in Ischl, dem Sommersitz des Kaisers, und erhielt sogar – entgegen den Regeln des Hofopernballetts – die Erlaubnis, nach ihrer Eheschließung mit Georg Graf Orssich de Slavetich, als Verheiratete im Ensemble zu verbleiben.
Nicht weit von Ischl entfernt hatte übrigens ein anderer Habsburger, Erzherzog Johann Salvator, Wohnsitz genommen. Die Distanz zu Wien verstand sich durchaus als Opposition zum Hof und zur Familie. Seine weiteren Handlungen waren dementsprechend. Er trat nicht nur aus dem Erzhaus aus und lebte fortan unter den Namen Johann Orth, er heiratete auch seine langjährige Geliebte, die an der Hofoper ausgebildete Tänzerin Milli Stubel. Unter den außergewöhnlichen Schönheiten des Hofopernballetts war auch Marie Schleinzer. Auch sie erregte die Aufmerksamkeit eines Mitglieds des Kaiserhauses: Erzherzog Otto. Er unterhielt mit Schleinzer ganz offiziell eine „Zweitfamilie“. Dass dieser berüchtigte Erzherzog auch Witz besaß, bezeugt ein von ihm mit Zeichnungen und Versen versehenes rotledernes Rollenbuch der Tänzerin, das diese auch als Requisit auf der Bühne verwendete.
Andere Mitglieder des Ensembles kamen wiederum anders zum Einsatz. Darüber berichtet anschaulich die berühmte Schriftstellerin Vicki Baum: „Innerhalb des Ballettkorps gab es das, was er – Josef Hassreiter – „Die alte Brigade“ nannte, Spezialistinnen in der Kunst, die unerfahrenen Söhne der Hocharistokratie anzuleiten oder den dünnblütigen übererfahrenen Mitgliedern des Jockei-Klubs die Illusion männlicher Kraft zu geben.“
Viele der Namenstags-Produktionen, die das Ballettensemble der Hofoper dem Kaiser als Geschenk darbrachten, konnten sich – nicht nur damals – sehen lassen, eine ganze Reihe von ihnen ging in die Geschichte des Ensembles ein. An dieser Reihe kann auch jene Entwicklung abgelesen werden, die die Kunstgattung in den Jahrzehnten der Regierungszeit des Kaisers durchlief. Das Paul Taglioni-Ballett „Flick und Flock“ etwa, 1865 erstmals in Wien gegeben, war mit seiner „Realismo-Brillanz“ noch ganz der Ästhetik der Jahrhundertmitte verpflichtet. Einem Gauner-Duo à la Nestroy samt der dazugehörigen Abenteurer-Personnage wird Gelegenheit geboten, sich vorteilhaft zu präsentieren. Anders „Coppélia“, das 1876 in Carl Telles Choreographie erstmals im Haus am Ring gegeben wurde. Baut der Plot zwar auf der düsteren Romantik des E.T.A. Hoffmann auf, ist die Anlage des Balletts dann doch weit mehr in die schwärmerische Eleganz der Musik von Léo Delibes eigebettet. Zwei Jahre später begab man sich mit einem weiteren Delibes (und Ludwig Minkus)-Ballett, „Naïla, die Quellenfee“, auf mythologische Pfade, die man zu dieser Zeit sinnlich-üppig anlegte. Mit „Melusine“ 1882, ein Ballett in Telles Choreographie, dem Moritz von Schwinds gleichnamiger Bilderzyklus zugrunde lag, ging man ähnliche Wege.
In der Werkkonzeption ganz anders angelegt war das 1888 uraufgeführte Pantomimische Ballett-Divertissement „Die Puppenfee“. Es markierte mit seinem Choreographen Josef Hassreiter nicht nur den Beginn einer neuen Ära, es griff auch die neue Dramaturgie der raschen Nummernfolge auf. Wieder anders die Namenstagsgeschenke für den Kaiser in den Jahren 1908 und 1910. Beide Stücke – Johann Strauß‘ Ballett „Aschenbrödel“, das nach einigen Querelen endlich in das Repertoire der Hofoper einging, sowie die Pantomime „Der Schneemann“ des „Wunderkindes“ Erich Wolfgang Korngold (Ch.: Carl Godlewski) galten als Reformwerke. Auffällig in diesem Zusammenhang ist, dass ein Ballett eines hochadeligen Dilettanten – viele der großen Adelshäuser hatten solche Dilettanten-Autoren – nicht am Namenstag des Kaisers herauskam: Mit dem Ballett „Die Assassinen“ zu einem Libretto von Erzherzog Johann Salvator, das 1883 in der Hofoper gegeben wurde, wollte man den Namenstag der Kaiserin festlich begehen. Das 1910 in Ischl aufgeführte Tanzspiel „Die Huldigung der Alpenblumen“, das Erzherzogin Marie Valerie zur Feier des 80. Geburtstags des Kaisers verfasst hatte, bereitete dem Jubilar sicherlich größte Freude, zumal es von neun seiner Enkelkinder dargeboten wurde.
P. S. Dass just am 4. Oktober und 21. November dieses Jahres Ballettaufführungen in der Wiener Staatsoper angesetzt sind, ist purer Zufall und steht keineswegs in Zusammenhang mit dem Kaiser Franz Joseph-Gedenkjahr.