Für das Wiener Staatsballett steht ein denkwürdiges Ereignis an: Der 22. August 2022 markiert die 400. Wiederkehr seines Geburtstags! Als Gründerpersönlichkeit kann Kaiserin Eleonora angesehen werden, die am 22. August 1622 eine Huldigung an ihren Gemahl Ferdinand II. organisierte und choreografierte. Mit Eleonora war die in Italien führende Mantuaner Musiktheaterkultur nach Wien gekommen, in Sachen Ballett erwies sich dieser Transfer als besonders nachhaltig. In Jahrhundertschritten soll in diesem und in vier folgenden Artikeln der Entwicklung des Wiener „Haus-, Hof- und Staatsballetts“ nachgegangen werden.
1622 – Ein Herrscherbild in Bewegung
Was für eine Galaxie von Ereignissen! Der Habsburger Ferdinand II. (Graz 1578 – Wien 1637), seit 1619 Kaiser des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation, heiratet nach dem Tod seiner ersten Gemahlin ein zweites Mal. Die Auserwählte ist Eleonora Gonzaga (Mantua 1598 – Wien 1655). Als Tochter von Herzog Vincenzo I. Gonzaga von Mantua und Eleonora de᾽ Medici entstammt sie einem der ersten Fürstenhäuser des (heutigen) Italiens, dessen kultureller Anspruch – nicht zuletzt des am dortigen Hof wirkenden Claudio Monteverdi wegen – als führend gilt. Monteverdis „L᾽Orfeo“ wurde unter der Schirmherrschaft von Eleonoras Bruder, dem Erbprinzen Francesco Gonzaga, am 24. Februar 1607 im Herzogspalast zu Mantua uraufgeführt. Man kann davon ausgehen, dass die damals achteinhalbjährige Eleonora an diesem Ereignis Anteil nahm und vielleicht das Ballett der Hirten in dieser Favola in musica es war, dem ihre besondere Aufmerksamkeit galt.
Eleonoras Heirat ist für 1622 geplant, schon am 21. November 1621 verbindet man sich in Mantua „per procurationem“ (der Bräutigam wurde durch seinen Berater, Hans Ulrich Fürst von Eggenburg, vertreten). Die zu diesem Anlass in Auftrag gegebenen Kompositionen Monteverdis sind nicht erhalten. Etwas mehr als zwei Monate später, am 2. Februar 1622, findet dann in Innsbruck die Hochzeit statt.
Der heiklen politischen Lage wegen – Kriege an mehreren Fronten sollten sich über 30 Jahre hinziehen, die finanziellen Mittel waren daher beschränkt – wurde es bei dieser Innsbrucker Heirat nicht für opportun befunden, größeren Prunk zu entfalten. Doch das tatsächlich Stattgefundene, das sich aus den verschiedensten Tanzgenres zusammensetzte, konnte sich sehen lassen. Dazu gehörten die bei Bällen getanzten noblen Gesellschaftstänze ebenso wie die daraus in Form und Schrittvokabular entwickelten „Geprängetänze“, die durch Kostüm, Requisiten sowie Festarchitektur gesteigerten Schaucharakter erhielten. Insgesamt diente der Tanz nicht „der reinen Unterhaltung oder prunkvollen Schaustellung“, vielmehr nahmen die Feste „in verschlüsselter Weise auf die politischen Implikationen der jeweiligen Verbindung und auf die Lage Europas Bezug …“ (Herbert Seifert, „Der Sig-prangende Hochzeit-Gott. Hochzeitsfeste am Wiener Hof der Habsburger und ihre Allegorik 1622–1699“)
Der nunmehr 44-jährige Kaiser war seiner 24-jährigen Braut entgegengereist. In seinem Tross befanden sich unter anderem 55 Musiker; Eleonora führte in ihrer Entourage über 100 Personen mit sich, darunter auch ein kleineres Ensemble von Musikern, dazu Tänzer beziehungsweise Tanzmeister. Das Ereignis sollte sich nicht nur für das Habsburger Kaiserhaus des 17. Jahrhunderts, sondern auch für die weitere Entwicklung des Wiener musik- und tanztheatralischen Geschehens als herausragendes Datum erweisen. War nämlich Tanz- und Musiktheaterpflege an sich Teil zeitgenössischen Hoflebens, so erwies sich das Interesse, das beide Majestäten dafür entwickelten, als zukunftsweisend. Denn auch über den direkten Wirkungskreis als Kaiserin hinaus (Ferdinand II. starb 1637) bewirkte Eleonora auch als Witwe bis zu ihrem Tod mit dem ihr eigenen kulturellen Wissen sowie dem ständig wachsenden künstlerischen Hofensemble in verschiedenster Hinsicht einen bedeutenden und nachhaltigen Kulturtransfer. War man nördlich der Alpen an den Höfen Prag und Salzburg bereits mit Italienischem – also auch mit Ballett – bekannt, vermittelte Eleonora schon bei den Hochzeitsfestivitäten die aktuellen formalen, stilistischen und technischen Strömungen der neuen Kunstgattungen Oper und Ballett nach Innsbruck und in der Folge an den Wiener Hof. Sie mischte sich damit – und dies sehr erfolgreich – in den später immer wieder aufflammenden Wettstreit um die (Ballett-)Vorherrschaft der Länder Italien und Frankreich. Dieser Kampf wurde bis in das 20. Jahrhundert hinein zuweilen heftig geführt. Ihrer weiteren immer breiter wirkenden Wiener Aktivitäten wegen kann Eleonora schließlich als Initiatorin eines vom Hof und später vom Staat unterhaltenen Ballettensembles und somit auch als Urheberin des heutigen Staatsballetts gelten!
Als der Kaiser nach Innsbruck kam, merkte er sehr schnell, dass der Tanz, den seine Gemahlin darbot, neu war. Er war selbst seinem Stand gemäß den geforderten Weg männlicher Ausbildung gegangen, der Körperexerzitien wie Fechten, Reiten und Tanzen als verpflichtende Mannestugenden mit einschloss. Und Ferdinand war es sehr wohl bewusst, dass das Tanzen nicht nur Ausdruck einer hierarchischen Ordnung war, sondern dass er selbst – zunächst als Erzherzog, dann als Kaiser – an der Spitze dieser Ordnung stand, die wiederum die Macht des Herrscherhauses repräsentierte. Dem Tanzen auf Festen, dem repräsentierenden wie dem präsentierenden, kam in dieser frühen Zeit – es ist die Schwelle der Renaissance zum Barock – aber noch größere Bedeutung zu. Tanz war Teil jenes Bewegungs- und Körperkonzepts, das einem Hof an sich zu eigen war, mit und durch das sich jedes Mitglied des Hofes körperlich ausdrückte. Dieses Körperkonzept, gewachsen aus den jeweils tradierten geografischen und politischen Machtpositionen, war in der Hauptsache von Heirat geprägt, durch diese erhielt das Vorhandene immer wieder neue Impulse.
Als Erzherzog von Innerösterreich am Grazer Hof aufgewachsen, war Ferdinand, dazu seine Geschwister sowie seine Kinder, das heißt, auch der spätere Kaiser Ferdinand III., vom italienischen Tanzmeister Ambrosio Bontempo ausgebildet worden (siehe dazu Aufsätze von Gudrun Rottensteiner). Dass der Unterricht durch italienische Tanzmeister besondere Qualität besaß, bestätigt Cesare Negri, erster Tänzer, Choreograf, Lehrer, Chronist und Theoretiker des damaligen (italienischen) Tanzgeschehens, in seiner 1602 in Mailand erschienenen berühmten Abhandlung „Le Gratie d᾽Amore“. Ein Traktat, in dem Negri der Bontempo-Schülerin Margarete von Österreich, der Schwester Ferdinands und als Gemahlin Philipps III. Königin von Spanien und Portugal, einen Tanz für vier Kavaliere und vier Damen widmet. (Negri führt in dieser Schrift seinen Schüler Carlo Beccaria als einen am Hof Rudolfs II. in Habsburgs Diensten gestandenen Tanzmeister an; im Gegensatz zu diesem Genannten tatsächlich in den Hofakten belegt ist in dieser Position aber ein anderer italienischer Tanzmeister, Evangelista Papazzone. Von ihm stammt – wie Marko Motnik in seiner Untersuchung „Italienische Tanzkunst am Habsburger Hof“ darlegt – ein in den frühen 1570er-Jahren Rudolf II. gewidmetes Tanztraktat. Als frühesten „italienischen“ Edelknabenfecht- und -tanzmeister nennt Motnik den seit etwa 1551 am Hof Ferdinands I. wirkenden Luca Bonaldi. Und Riki Raab erwähnt in ihrem „Biographischen Index des Wiener Opernballetts von 1631 bis zur Gegenwart“ Hironimus Fontana, der 1557 „Edelknaben Welsch tantzen und auf der Lauten schlagen“ lehrte.)
Nun ist Kaiser Ferdinand II. also in Innsbruck eingelangt. Neben einer ganzen Reihe von offiziellen tänzerischen Aktivitäten ist ein mehr intimer Teil des Festes aus heutiger Sicht von einem eher kuriosen Zwischenfall gekennzeichnet. Als sich nämlich das getraute Paar mit kleiner Entourage in seine privaten Gemächer zurückzog, bot die Kaiserin mit Verwandten dem Kaiser einen Tanz dar, der für ihn neu war. Doch die Bitte des Kaisers, diesen zu wiederholen, scheiterte überraschenderweise an den Musikern! Der dementsprechende Bericht lautet:
„Nachdem das Abendessen vorbei war, traten Ihre Majestäten, mit Ihrer Hoheit und Seiner Exzellenz in einen Raum, wohin sie bald einige Cembalo- und Violenspieler riefen ließen. Und zur Musik der genannten Instrumente, und ohne dass jemand anderes den Raum betrat als die Musiker und der Tanzmeister, tanzten die Kaiserin und die Herzogin einen gratioso balletto, der schon von ihnen einstudiert war. Der Tanz war nach des Kaisers Geschmack, denn er war es nicht gewohnt, solche Tänze zu sehen. Daher wollte er, dass er wiederholt würde, und bekundete den Wunsch, dass noch ein anderer getanzt würde. Das wäre auch so geschehen, wenn die Musiker die Melodie und das Tempo des Tanzes quasi all᾽improviso lernen hätten können: aber nachdem einige Zeit vergangen war, traten Ihre Majestäten ungefähr um 21 Uhr aus dem Raum und gingen in den großen Saal, wo ein Baldachin über einer Estrade von nur einer Stufe für das aufgeschobene Fest von Donnerstagabend errichtet war.“ (Zitiert nach Gerrit Berenike Heiter, „Italienische Tanzformen am kaiserlichen Hof. Die Rolle von Eleonora I. di Gonzaga (1598–1655) im choreographischen Kulturtransfer“.)
Tanz war auch Teil des nächsten dynastietragenden und daher gut dokumentierten Ereignisses: die Krönung Eleonoras zur Königin von Ungarn, die am 26. Juli 1622 in Ödenburg stattfand. Aus diesem Anlass gab man eine „Commedia, che doveva rappresentarsi in musica“, die selbstverständlich auch Tanz beinhaltete. Weniger als einen Monat später teilt die Kaiserin am 20. August ihrem Bruder Ferdinando, dem Herzog von Mantua, mit: „In drei Tagen kommt Ihre Majestät mein Herr zum Abendessen an denselben Ort mit allen seinen Kindern, und nach dem Essen lasse ich eine kleine inventione mit Musik und einem balletto, den meine Damen tanzen, aufführen.“ Der „Ort“ ist die neue Favorita auf der Wieden (das heutige Theresianum; die „alte“ Favorita befand sich im Augarten), der Kaiser hatte das neue Anwesen seiner Frau im Hochzeitsjahr geschenkt. Am 22. August 1622 ist es dann so weit. In einem Brief berichtet ein Verwandter der Kaiserin nach Mantua von dem Ereignis. Als Teil dieser „Invencione in Musicha con un balletto“ ließ die Kaiserin im Garten „einen balletto mit acht Damen d. h. mit drei der unseren und mit anderen Deutschen tanzen“. Und der Berichterstatter setzt fort: „In diesem wurden alle Buchstaben des Namens Ferdinando geformt.“ Die Kaiserin hatte diese Huldigung nicht nur initiiert und organisiert, sie hatte sie offenbar auch selbst „gestellt“ und dafür bereits Ausführende herangebildet. Sie setzte ihr aus Hofdamen bestehendes Tanzensemble ein, das sogar „Deutsche“, das heißt Einheimische, vielleicht sogar Wienerinnen, beschäftigte! Damit hat die Geburtsstunde des Wiener Balletts geschlagen.
Haben sich gerade in den letzten Jahrzehnten Dokumente von vereinzelten Ballettunternehmungen am Kaiserhof gefunden, die vor 1622 stattfanden, demgemäß auch nicht von Eleonora, sondern von anderer adeliger Seite „produziert“ wurden – dazu gehören eine Wiener Karnevalsveranstaltung von 1615 und ein musikdramatisches Werk in Prag 1617 –, so bleibt der gelebte Wille der Kaiserin, ein dem Wiener Hof attachiertes, auch bleibendes Ballettensemble zu etablieren, doch jenes Movens, das ein solches entstehen ließ. Bei den erwähnten Aufführungen handelt es sich um das in der Regierungszeit Kaiser Matthias᾽ am Wiener Hof dargebotene „Balletto detto l᾽Ardito gracioso“ mit der Musik von Pietro Paolo Melli sowie um das am Prager Hof getanzte Ballett im Rahmen des „Phasma Dionysiacum Pragense“. Letzteres brachte Graf Giovanni d᾽Arco heraus, der mit einem Mitglied der Familie Gonzaga verheiratet war.
Bestimmende Regelhaftigkeit bei möglicher Variabilität
Den Berichten von Zeitzeugen, die sehr oft zugleich als Protagonisten in Erscheinung traten, soll der Versuch folgen, das Geschehen in gebotener Kürze nicht nur in seiner tanzrelevanten Gesamtheit darzustellen, sondern dieses auch im Hinblick auf das Werden des eigenen Wiener Ballettensembles zu überprüfen. Der Fokus liegt dabei auf den Tanzgeschehnissen am Hof, daher bleiben die vielen tänzerischen Erscheinungsformen anderer gesellschaftlicher Schichten – Volks- und bürgerliche Gesellschaftstänze – unerwähnt. Dies geschieht deswegen, weil sie, wie in weiterer Folge zu sehen sein wird, zwar für die Herausbildung einer akademischen Tanzsprache mitverantwortlich waren, sich aber letztlich in die grundlegende Ordnung des Balletts einzufügen hatten. Teil dieser Ordnung waren Technik, Raumverständnis, hierarchische Struktur, Körper- und Werkverständnis. Erst einige Jahrzehnte später und erst in Frankreich (1661) wurde diese Ordnung zur akademischen Disziplin erhoben.
Die folgenden Ausführungen müssen mit Begriffsbestimmungen beginnen, denn der bislang reichlich unbekümmerte Gebrauch der Bezeichnungen „Oper“ und „Ballett“ muss deswegen korrigiert werden, weil beide Gattungen weder in ihren Formen noch in der heute verwendeten Begrifflichkeit zu Beginn des 17. Jahrhunderts existierten. Ebenfalls nicht vorhanden waren Oper und Ballett als voneinander getrennt gepflegte eigenständige Genres, das Musiktheater der Zeit ist vielmehr als symbiotisches Ineinander der verschiedensten Facetten von Rezitativen, Arien, Ensembles, Chören, Instrumentalsätzen und Balletten zu sehen, das die Bezeichnungen „Favola“, „Commedia“ oder „Pastorale“ trug, wobei immer „in musica“ zu ergänzen ist. Diese Gattung ist das Ergebnis jener – vermeintlichen – Wiederbelebung, die man aus der Reflexion über die griechische und römische Antike herausgefiltert hatte. Vielfältig in ihrer Werkanlage ist Oper also als ein höchst komplexes mehrteiliges und ineinandergreifendes, in seiner Abfolge keineswegs fixiertes Gefüge zu verstehen. Symbiotisch war auch das Ineinandergreifen von Musik und Bewegungs- beziehungsweise Tanzvokabular. Musikalisch auf Tanzsätzen, das heißt auf Tanzsuiten aufbauend, hielt man sich in der Choreografie nicht nur an das Schrittvokabular des jeweiligen (Gesellschafts-)Tanzes, sondern auch an seine Charakterfarbe. Einer Begriffserklärung bedarf auch das Wort „Choreografie“, das nicht, wie heute, im Sinne von „komponieren“ oder „kreieren“ verstanden wurde, sondern zunächst in seinem buchstäblichen Sinne, als „Aufschreiben chorischer Bewegung“.
Der besondere Bewegungsduktus des Hofs hatte sich sowohl aus gesellschaftlichen Traditionen mit den entsprechenden Tänzen entwickelt als auch aus dem dazugehörigen Habitus, der die Körperlichkeit weitgehend abstrahierend formte. Da dieser Bewegungsduktus zeit- und ortsgebunden war – Bewegung am spanischen Hof war anders als am französischen oder am Wiener Hof –, unterschied er sich von Machtzentrum zu Machtzentrum, war in jedem Fall aber grundlegender Teil des höfischen Lebens wie des tänzerischen Agierens. Und er war auch Teil eines Werkkonzepts, das anlassbezogen kleiner oder größer, staatstragend oder intimer konzipiert sein konnte. Werkidee und Werkanlage für einen offiziellen Anlass wurden bald von einem Librettisten festgeschrieben, sie transportierten, oft in mythologische oder allegorische Erzählungen eingebettet, die Verherrlichung des Herrscherhauses. Der Librettist sandte dabei seine Protagonisten gleichsam ins Weltenall, wo sie auf vorgegebenen Bahnen strahlend ihre Wege zogen. Sie umrundeten dabei keineswegs wie Puck (seit 1600) in „viermal zehn Minuten“ den Erdenkreis, sondern taten dies dem Herrscherhaus entsprechend, zentrumsorientiert und daher symmetrisch. Ihrer Würde angemessen, waren die Bodenwege, die die Tanzenden dabei beschrieben, geometrischer Natur: „Ringe, Kränze, Triangel, Vier- und Sechseck“ (Michael Praetorius, 1617). Nicht nur dies ermöglichte es im buchstäblichen Sinn, Namen von kaiserlichen Adressaten in den Tanzraum einzuschreiben. Das herrschende Gesellschaftsbild mit der daraus entstandenen Bewegungswelt hatte auch – schon vor 1600 – die grundlegenden Ordnungen des Balletts entstehen lassen, wobei die französische Terminologie heute als allgemein verbindlich angesehen wird. Es sind dies: Das „En dehors“, das Auswärtsdrehen der Körperextremitäten nach den Körperseiten hin, das ein Hinausgehen in den Raum ermöglicht, das „Plié/Relevé“, die Hoch/tief-Bewegung, die das Hinauswachsen über sich selbst sowie die Miteinbeziehung des Bodens erlaubt, sowie das „En face“, das Zeigen der Körperfront.
Da die Machtdemonstrationen immer auch bühnentänzerischen Schaucharakter hatten, zudem immer wieder Hofstaatfremde für die Aufführungen herangezogen wurden, mischte sich sehr bald auch weiteres Publikum in die Zuschauerschaft. Aufführungsorte in Wien blieben bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts Säle und Höfe von Schlössern, dazu Gärten, in die oft Festdekorationen, sogar Flug- und Himmelsmaschinerien gestellt wurden. Aufführungs- und Publikumsebene waren zu dieser Zeit noch ein und dieselbe, die Unterschiede zwischen dem höfischen Gesellschaftstanz und dem Bühnentanz waren zwar noch aufrecht, wurden aber strikter und ließen schließlich andere Aufführungsorte – Theater – entstehen.
Eleonora bleibt treibende Kraft
Dass das Tanzgeschehen am Hof von Ferdinand II. in Bewegung war, bezeugen Äußerungen von Eleonora. Denn kaum in Wien etabliert, beklagt sie sich über das Fehlen eines kompetenten Tanzmeisters, somit eines Haus- und Hofchoreografen. Schon vier Jahre nach ihrer Ankunft, 1626, wird in der Person von Santo Ventura ein „Tanzmeister“ aus Venedig geholt. Die Venturas, Santo und sein Sohn Domenico, bestimmten fast 70 Jahre lang das Wiener choreografische Geschehen, sie bildeten auch die erste jener Tanzdynastien, die bis ins 20. Jahrhundert das Ballettensemble der Wiener Hof- und Staatsoper durchzogen. Neben ihren Aufgaben als ausführende Tänzer arrangierten die Tanzmeister Ballette für Hoffeste, Namens- und Geburtstage, Hochzeiten, Geburten, insgesamt Festveranstaltungen, insbesondere auch für den Fasching, die meist nur eine einzige Aufführung erlebten. Während die Botschaft des Werks – die Verherrlichung des Herrscherhauses – bleibt, strebt das Musiktheater, auch weil es schon mit teils am Hof angestellten professionellen Künstlern arbeitet, entschiedenen Schritts in Richtung Theater. Ballett weist dabei eine unterschiedliche – eine italienische beziehungsweise französische – Entwicklung auf: Die Positionierung des Balletts innerhalb des Werkgefüges ist nicht ein und dieselbe. Unabhängig vom Libretto der Oper zwischen die Akte oder an den Schluss eines Werks gestellt, fällt es dem Ballett in Italien – im 18. Jahrhundert – leichter, aus dem Verband der Oper herauszutreten und Eigenständigkeit zu finden, als in Frankreich, wo der Tanz dramaturgisch oft mehr in den Handlungsstrang eingebaut war.
Eine distinkte Trennungslinie zwischen den Tanzenden des Adels und Berufstänzern ist wohl bis zum Ende des 17. Jahrhunderts nicht zu ziehen, doch weitet sich allmählich jenes Reservoir, aus dem professionelle Tänzer – Berufstänzerinnen waren das ganze 17. Jahrhundert am Wiener Hof noch nicht zugelassen – rekrutiert werden konnten. Dazu gehörten, neben den Kindern des Tanzmeisters, Mitglieder vazierender Truppen. Darüber hinaus hatte die ursprünglich nur für den Adel geforderte männliche Körperertüchtigung im aufstrebenden Bürgertum und im Lehrbetrieb der Universitäten Fuß gefasst, sodass sich auch hier professionelles Tanzen entwickeln konnte. Dazu kam die Pflege des Balletts im Jesuitentheater. Zu besonderen Anlässen tanzten, wie bildlich festgehalten, die von den Tanzmeistern ausgebildeten Kinder der Herrscher sowie die ebenso vom höfischen Tanzmeister herangezogenen Edelknaben. Dass die höchsten Herrschaften weiterhin tänzerisch in Erscheinung traten, ist bekannt.
Es kann davon ausgegangen werden, dass Eleonora darauf bestand, etwaige Neuzugänge von Tänzern zu begutachten. Dass sich allmählich, und dies nicht nur beim Tanzen, das ursprünglich Italienische schon mit französisch Gefiltertem durchmischte, wird ihr dabei wohl nicht entgangen sein. Der von Eleonora ursprünglich eingeschlagene italienische Weg behielt jedoch die Oberhand, sie selbst blieb auch des Weiteren treibende Kraft der Ballettaktivitäten am Hof. Augenzeugenberichte geben über Details von Großereignissen Kenntnis, die entweder „zu Hause“ in Wien oder „unterwegs“ stattfanden. Ein Fest im Juli 1625 ist insofern hervorzuheben weil von dem Ballett, das eine Verskomödie beschloss, eine Beschreibung der Kostüme und Requisiten überliefert ist. Zwölf adlige Tänzerinnen traten auf „in weißem Taffet mit leibfarbenen Schnüren verbrämt“. Sie waren begleitet von ebenso vielen „Cavalieren auch weiß gekleidet, und weiß taffetne Hüdte mit leibfarbenen Federn auf, und in Händen weiße Windlichter habend“. Im Fasching 1626 erschienen die Tänzer in einem lustigen Ballett, im Juni desselben Jahres tanzten achtzehn als Amazonen kostümierte Hofdamen mit Degen und Lanzen.
Sehr ausführlich beschrieben sind die Hochzeitsfeierlichkeiten von Eleonoras Stiefsohn, dem späteren Ferdinand III., mit Maria von Spanien im Jahr 1631. Obersthofmeister Franz Christoph von Khevenhüller berichtet in seinen „Annales Ferdinandei“ von den tagelangen Feierlichkeiten. Darunter auch ein „ansehnliches Ballet“, das von den höchsten Damen des Hofs getanzt wurde. Insgesamt zwölf Damen boten da den Namen – „Maria“ – „auf unterschiedliche Weise in Figur“ dar. Darauf sei, wiederum durch zwölf Damen, der Name „Ferdinando“ „gar deutlich repraesentiert“ worden. Es kann davon ausgegangen werden, dass für die Bewegungsfolgen dieser Choreografie zwar ein Tanzmeister verantwortlich war, Eleonora aber die Oberhoheit darüber hatte. Es kann ebenfalls davon ausgegangen werden, dass an den Festlichkeiten dieser Hochzeit nicht nur adelige Tänzer, sondern bereits Berufstänzer beteiligt waren, ein Wiener Ballettensemble begann sich also bereits zu etablieren. Schauplatz für derartige tanztheatralische Veranstaltungen war fortan ein an der Stelle der heutigen Redoutensäle gelegener Saal. Schon 1629 hatte die Kaiserin den Befehl erteilt zur Errichtung dieses „newen Saal oder Danz-Plaz zu Hoff“.
Die Kontakte zu Monteverdi rissen indes nicht ab. 1640/41 widmete der Komponist der Kaiserin seine „Selva morale e spirituale“, eine Reihe geistlicher Werke, die er in seiner Eigenschaft als Kapellmeister am Markusdom in Venedig geschaffen hatte. Eleonora, die auch als Gründerin von Karmeliterinnenklöstern in Graz und Wien hervorgetreten ist und die Herzgruft in der Augustinerkirche gestiftet hat, verstarb 1655. Ihre letzte Ruhestätte fand sie zuerst im Karmeliterinnenkloster, 1782 wurde sie in die Herzogsgruft unter dem Wiener Stephansdom überführt.
300 Jahre später …
Im Zusammenhang mit der am Anfang des 17. Jahrhunderts stattgefundenen Epochenwende soll nun noch auf eine ähnliche Situation 300 Jahre später verwiesen werden. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nämlich wandte sich eine ganze Reihe aufstrebender Komponisten dem einstigen Aufbruch nach 1600 zu. Gemäß dem hohen Stellenwert des Balletts in dieser Zeit näherten sie sich, gestärkt durch die Tanzmoderne, dieser Kunstgattung. Und sie taten dies in völlig unterschiedlicher Weise.
Carl Orff setzte sich zusammen mit seinen Mitstreiterinnen Gunild Keetman und Dorothee Günther mit Monteverdi auseinander. Bernhard Paumgartner erstellte für Erika Hanka und das Wiener Staatsopernballett „Florentiner Intermedien“. Bei dem im Redoutensaal zur Aufführung gelangten Werk fanden Motive von Cristofano Malvezzi und seinem Schüler Jacopo Peri, Luca Marenzio, Francesco Corteccia und Orazio Vecchi Verwendung. (Letzterer hatte Ferdinand II., als dieser noch Erzherzog von Innerösterreich war, eine Madrigalsammlung gewidmet.) Egon Wellesz schrieb über die in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts am Wiener Hof wirkenden Ballettkomponisten Johann Heinrich und Anton Andreas Schmelzer. Wieder anders Igor Strawinski. Ihn hatte für sein Ballett „Agon“ das 1623 in London erschienene Tanztraktat „Apologie de la danse“ des französischen Tanzmeisters François de Lauze beeinflusst, eine Schrift, die sich auch mit den Tänzen Branle, Gaillarde und Sarabande auseinandersetzt. Wiewohl Strawinski wie auch sein Choreograf George Balanchine diese Tänze gleichsam ins Unterbewusstsein drängten, sind sie zuweilen und unvermutet als witzige kleine Anspielungen zu hören und zu sehen. Das 1957 in New York uraufgeführte Ballett fand zweieinhalb Jahre später in einer Choreografie von Yvonne Georgi Eingang in das Wiener Repertoire.