Die Premiere von „Le Concours“ in der Wiener Volksoper war nicht nur ein Fest für einen der bedeutendsten Choreografen des 20. Jahrhunderts, den Schöpfer des Balletts, Maurice Béjart, sondern auch ein Triumph für das Ensemble, die SolistInnen und das Publikum. Zum ersten Mal steht in Wien ein abendfüllendes Ballett des Meisters auf dem Spielplan.
Ein „Ballet Film“, einen Tanzabend wie einen Film, wollte Maurice Béjart auf die Bühne bringen und zugleich mit den Tanzwettbewerben, die ihm ein Gräuel waren, abrechnen, aber auch etwas über den Tanz und alle, die ihn mit Leidenschaft ausüben, erzählen. Die Geschichte ist als Kriminalkomödie angelegt, mit parodistischen Elementen, tänzerischen Bravoureinlagen, der Vermischung und auch absichtlichen Verwechslung der Tanzsprachen und einer Leiche im weißen Tütü mit einer Schusswunde im Herzen. Die Leiche ist Ada, die Favoritin des Wettbewerbs. Gleich eilt der Kommissar herbei und beginnt nach dem Mörder zu fahnden. Wie es sich für einen pflichtbewussten Kriminalisten gehört, wühlt der Kommissar in Adas früheren Leben, das in Rückblenden schlaglichtartig gezeigt wird. Daneben läuft der Wettbewerb einfach weiter.
Mit Blackouts und Stills (alle TänzerInnen erstarren zum Tableau) werden die kurzen Szenen voneinander getrennt und ein Moderator macht es dem Publikum leicht, dem rasanten Wechsel zwischen Vergangenheit (Adas bewegtes Leben) und Gegenwart (der Wettbewerb) zu folgen. Natürlich ist „Le Concours“ kein wirklich verzwickter Krimi, auch kein Film, selbst wenn manche Elemente daran erinnern, sondern eben ein Ballett, das etwas zu lang geraten ist. Eine kürzende Straffung hätte dem Ablauf nicht geschadet. Allerdings sorgt Béjart mit anderen Mitteln für Spannung, mischt er doch die Stile und Vokabular von Ballett und (modernem) Tanz und überrascht immer von Neuem mit dem Unerwarteten. Zu der von Hugues Le Bars aus verzerrten und verstärkten Alltagsgeräuschen (Stöhnen, Atmen, Schritte, Sirenen, Krachen, Knirschen) komponierten Musik und lässt er das klassische Bewegungsrepertoire tanzen und setzt im Gegenzug die Schrittfolgen des zeitgenössischen Tanzes zur Ballettmusik von Tschaikowsky oder Minkus ein. Leicht ist dieser Bruch mit dem Gewohnten weder für die Tanzenden noch für das Orchester. Unter der Leitung von Guido Mancusi müssen die Musiker von Adolphe Adam zu Johann Strauß, von Gioachino Rossini zu Paul Lincke wechseln und verheddern sich dennoch nicht.
Auch bei dieser Premiere konnte man sehen, was Ballettdirektor Manuel Legris (und im konkreten Fall auch Bertrand d’At, der die Einstudierung geleitet hat) aus dem Ensemble heraus geholt hat. 60 TänzerInnen sind mitunter auf der Bühne und mimen das Chaos im Ballettsaal. Doch dieses Chaos ist perfekt und der Wirbel synchron. Olga Esina zeigt als Ada, dass sie eine elegante Technikerin ist und erfüllt auch die verschiedenen Rollen (Schülerin, verliebtes Mädchen, Jüngling im TV-Ballett, Magier-Assistentin), die sie zu spielen hat, mit sprühendem Leben.
Das gilt auch für Eno Peci, der in der Staatsopernaufführung von „Don Quixote“ als ebenso beeindruckte wie in der Volksoper als TV-Choreograf, der keine Frauen in seiner Kompanie duldet. Sein schauspielerisches Talent hält dem tänzerischen ohne Anstrengung die Waage. Hervorzuheben sind auch die Mitglieder des Corps de Ballet, denen solistische Rollen anvertraut worden sind. Davide Dato lässt an einen rasenden Derwisch denken, wenn er seine ungezählten Pirouetten dreht; Tainá Ferreira Luiz besticht im ansonsten männlichen (neben Dato, Richard Szabó und András Lukács) Quartett der Freunde, durch stürmische Natürlichkeit. Ehre gebührt natürlich auch der ehemaligen Prima Ballerina an der Wiener Staatsoper, Susanne Kirnbauer, die als verdächtige Miss Maud unter all dem Jungvolk in ihrer Ballettschule hervorragende Figur macht. Blumen und Sonderapplaus stehen aber nicht nur ihr, sondern dem gesamten für diesen Wettbewerb aufgebotenen Ensemble zu.
Die wichtigste Person in diesem Tanz der KandidatInnen und Verdächtigen darf jedoch nicht vergessen werden. Einer muss das Rätsel des knallenden Schusses lösen. Es gibt einen Inspektor. Nach einem einfühlsam getanzten Pas de deux mit Ada, ist seine Aufgabe bald erledigt. Der Inspektor, gemimt und getanzt von Gregor Hatala, ist der stumme Sieger des mörderischen Wettkampfs.
Bei aller kritischen Einstellung zu Wettbewerben, bei aller Auseinandersetzung mit dem Ballett / Tanz, so wusste Béjart doch auch genau, was dem Publikum fraglos gefällt: So darf ein kleines Mädchen ( in der Premiere Nina Veech) mittanzen und der weiße Pudel sogar mitbellen. Somit sind alle Bedingungen für einen erfolgreichen Abend erfüllt.
Le Concours, 17. April 2011, Volksoper
Nächste Vorstellungen: 10., 15., 20., 22., 25. Mai.