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tanzgalagrazDer Funke von der Bühne ins Publikum bei der 2. Internationalen Tanzgala im Grazer Opernhaus - er war von Anfang an da. Darrel Toulon, seit 2001/2002 Balletdirektor und Chefchoreograf des Hauses, führte nicht nur launig moderierend und bar üblicher Experten-Künstlichkeit durch den langen Abend, sondern packte auch aus, was er von seinen Reisen durch die Tanz-Metropolen Europas an wohlsortierten Köstlichkeiten mitbringen konnte.

Auf der Bühne packte er aus – wo sonst? Mitten unter den vielen anderen dort schon Suchenden, Staunenden; mitten unter den anderen Wandernden und Wartenden, also den Künstlerinnen seiner Compagnie: mitten drin in der Anfangsszene seiner Produktion „Nomaden“, mit der er diesen Abend eröffnen ließ. Übergangslos wurde also aus Bühnenfiktion Theaterrealität respektive die Realität eines Programmverantwortlichen: die eines Neugierigen; die des Mannes mit dem größten Koffer, der selbst kaum zu glauben scheint, dass er derartige Schätze bei sich trägt. Und dass es solche tatsächlich waren, die an diesem dreistündigen Abend mit elf Programmpunkten gezeigt wurden, das war innerhalb kürzester Zeit auch im dichtgedrängt in den Reihen sitzenden Publikum spürbar.

Die Tanzcompagnie Stadttheater Gießen war der erste Gast: mit der Choreografie „FOUR“ von Tarek Assam, einer von verdeckter Emotionalität getragenen, kraftvoll- beharrlichen Auseinandersetzung mit dem unausweichlich Notwendigen – im gegebenen Fall mit einem Sessel. Packend vor allem durch die in sich ruhende Eindringlichkeit des tänzerischen Agierens – alternativ zur immer wieder durchbrechenden Aggression.

Das Abschiedsduett von Königin und König aus dem 2006 von Darrel Toulon choreografierte Handlungsballett „Dornröschen“ war gleichzeitig ein Dernier: für die langjährigen Ensemblemitglieder Shaohui Yi und Matthias Strahm. Ob diese Tatsache mit einfloss in die gezeigte Interpretation kann nicht beurteilt werden, sehr wohl aber die sensible Intensität, mit der hier getanzte Trauer verbildlicht wurde, „greifbar“ wurde. Für so manchen wohl zweifellos unvergesslich.

Eine der großen klassischen Begebenheiten, die Balkonszene aus „Romeo und Julia“, tanzten Nadège Cotta und Brian McNeal aus dem Ballett von Kevin O’Day nach William Shakespeare, Musik Serge Prokofjew: ein gediegene Augenweide.

Ein Ereignis für sich ist die Choreografie „The Shortest Day“ von James Wilton, ist ihre tänzerische Umsetzung durch ihn und Kynam Moore, Victoria Hoyland und Sarah Jane Taylor; sie erhielt auch den ersten Preis bei der Global Dance Competition von Sadler’s Wells. Thema ist das kompromisslose Ankämpfen gegen das, was ist und wie es ist - da es doch besser sein müsste. Vom akrobatischen Können jedes einzelnen Künstlers abgesehen – hat jemand tatsächlich schon einmal vergleichbare Drehsprünge gesehen? – derart geballte, atemlose Energie kann man nur erleben, nicht beschreiben; oder ist, wie ein Versuch lauten könnte, „ aus den Fugen geratene, fließende Ruppigkeit“ vorstellbar? Und dass das Opernhaus Publikum vor Begeisterung zu trampeln beginnt, ist bei einer zeitgenössischen Tanzpräsentation eben dort auch nicht wirklich vorstellbar.

Apropos: Dem im allgemeinen nicht Vorstellbaren, Vorgestellten widmet sich Edward Clug - seit 2003 Ballettdirektor an Nationaltheater in Marburg - gerne in seinen im Tanz realisierten „Parallelrealitäten“. So auch in „Sketches“, aus dem eine dieser, seiner faszinierenden Anderen-Welt-Szenen vorgeführt wurde; mit viel einfühlsamem Können interpretiert von den Grazer TänzerInnen. In dieser stimmigen Kooperation ist es daher auch wenig überraschend, dass das Stück zum Belgrader Dance Festival eingeladen wurde.

Mit nicht unberechtigtem Stolz verweist Darrel Toulon auf die Tatsache, dass unter all diesen Großen des Tanzes auch ein junger Tänzer seiner Compagnie, György Baán, sein choreografisches Können zeigen kann, anhand eines Ausschnitts aus „Bad Devil“. Das besonders Bemerkenswerte daran: Da öffnet sich ein neues Fenster. Das ist andere, auf der Bühne so noch kaum umgesetzte Bewegung. Das ist in der Tat junge, frische choreografische Komposition, die aus dem Heute schöpft.

Ein in seiner Beschaffenheit in keiner Weise vergleichbarer Höhepunkt folgte unmittelbar danach: „Amor und Psyche“, eine Choreografie von Sébastien Ramirez, vorgeführt von ihm und Hyun-Jung Honji Wang. Ein Pas de deux, der in seiner brutal-feinfühligen Sinnlichkeit atemberaubend und in seiner Bewegungs-Technik umwerfend ist; ergänzt durch eine gefühlte Vertrautheit im faszinierend-beängstigenden Fremden. Grandios.

Im Grunde selbsterklärend und beschreibend „The Vertiginous Thrill of Exactitude“, übersetzbar in etwa als „der schwindelerregende Schauer von Exaktheit“; eine Szene aus einer William Forsythe Choreografie.

Kaum einer, der nicht Piazzollas luftiges Spiel mit dem kennt, was Tango-Noten so gemeinhin kennzeichnet. An spielerische Leichtigkeit vergleichbarer Art kann gedacht werden, wenn Roberto Scafati Tango „umtanzt, umtänzelt“. Freilich, ohne seine großartigen Interpreten Simone Damberg Würtz, Yuka Kawazu, James Muller und Damien Nazabal, wäre diese „Transformation“ nicht möglich: eine Ent-Spannung dessen, was diese Tanzform so sehr charakterisiert, aber ohne ihr auch nur ein Quäntchen von dem zu nehmen, was ihre zwischenmenschliche (Anziehungs-)Kraft ausmacht.

Der von Darrel Toulon vor Jahren erfolgreich choreografierter „Bolero“ setzte an diesem starken Abend den kraftvollen Schlusspunkt.


2.Internationalen TANZGALA am 21.Mai 2011 im Grazer Opernhaus