Großes Theater (fast) ohne Worte. Männerspiele am Bahnhof in der Hitze der Mittagsstunde. Nikolaus Adler, nicht nur Tänzer und Choreograf sondern auch Cineast, hat sich wieder einmal Fred Zinnemanns Western „High Noon – Zwölf Uhr Mittags“ angesehen und zeigt, was die Banditen so treiben, während sie auf den Mittagszug warten.
Die Handlung des 1952 in Schwarzweiß gedrehten Filmklassikers (mit Gary Cooper und Grace Kelley) ist schnell erzählt: Noch einen Tag ist Sheriff Kane im Dienst, da erfährt er dass der Bandit Miller aus dem Gefängnis entlassen wird und mit dem Mittagszug in der Stadt eintreffen wird, um sich an Kane zu rächen. Seine Bande wartet bereits am Bahnhof. Kane hat eben geheiratet und seine junge Frau, Amy, bittet ihn, die Stadt zu verlassen, doch „ein Mann tut, was ein Mann tun muss“. Kane wird allein gegen Miller und seine Bande antreten. Ein wahrer Held.
Doch nicht der Sheriff interessiert den Choreografen, sondern die Banditen, die eine Stunde zu warten haben, bis der Boss eintrifft und der Showdown beginnen kann. Adler hat gar nicht die Absicht, die Filmhandlung nachzuerzählen, deutet sie nur marginal in einer köstlichen Szene zwischen Kane und Amy (Luke Baio und Simon Mayer schlüpfen kurz aus ihrer Rolle als schießwütige Bösewichte) an, weil es für seine Choreografie „Do not forsake me oh my Darling – The Ballad of High Noon“ nicht wirklich wichtig ist, sie zu kennen.
Schon wenn die vier Kerle auf ihren imaginären Pferden einreiten, ist klar, wer sie sind. und in welchem Ambiente sie sich bewegen. Vier richtige Männer, Helden der Prärie, denen der Colt locker sitzt. Wenn sie nicht schießen dürfen, ihre Fäuste in der Hosentasche bleiben müssen, wissen sie mit sich und miteinander wenig anzufangen. Manchmal greift einer zur Gitarre, ein anderer singt eine Liebesballade voll italienischem Schmalz und jeder will dem anderen beweisen, dass er der Größte ist.
Die Stunde bis der Zug kommt (zugleich das Ende des Stücks) vergeht im Flug, ist doch das gockelnde, tänzelnde, aggressive und auch gelangweilte Gehabe der Vier überaus amüsant (und perfekt dargebracht), selbst wenn es bald einen Toten gib. Der steht zur Wonne des begeisterten Publikums ohnehin immer wieder auf.
Das Um und Auf dieser gelungenen Performance über den Mann an sich oder auch die Männer unter sich ist das exakte Timing und das perfekte Ineinandergreifen von live (und vom Sampler) gespielter Musik, der Hintergrundfotografie und den Bewegungen der vier Tänzer. Wie nahe männliches Bewegungsvokabular dem Tanz sein kann, haben schon Emio Greco | PC in „Rocco“ (Impulstanz 2011) gezeigt und auch Adler gelingt es mit seinen Tänzern (neben den bereits genannten Salvatore La Ferla und Manuel Wagner) zu zeigen, dass alle Bewegung Tanz ist. Ob die vier feschen Helden raufen, gelangweilt auf der Bank sitzen, den Revolver aufeinander richten, als eitle Pfauen ein Rad schlagen oder von der Liebe träumen – sie bieten bestes Tanztheater, sind Tänzer, die ihre Bewegungen exakt setzen und einer stringenten Choreografie gehorchen.
Wenn sie gegen Ende als Quartett an Backgrounddancer von Madonna erinnern, schwappt die Begeisterung des Publikums über als wär die Performance ein Pop-Konzert. Dass sich alle vier Tänzer komponierend, spielend und singend auch am Soundtrack beteiligt haben fügt der feinen Einheit des Ortes, der Zeit und des Raumes eine vierte Dimension hinzu. Musikdramaturg Pascal Holper hat auch die Einheit des Klanges geschaffen. Diese Männerspiele sind nicht nur wegen ihres Unterhaltungswertes überaus sehenswert.
„Do not forsake me oh my Darling. The Ballad of High Noon“ Tanzstück von Nikolaus Adler, WuK, 3. November 2011.