Zum vierten Mal bot spleen graz ein siebentägiges, international besetztes Theaterfest für junges Publikum, das mit seinem Programmangebot von rund 60 Vorstellungen sowie Specials und Rahmenprogramm für (fast) jeden Interessantes und Außergewöhnliches bereit hält. Mit Fingerspitzengefühl integriert es Tanz, Tanztheater, Performance, überfordert oder überfährt dabei niemanden und setzt auf hohe Qualität.
Ein diesbezüglicher Paukenschlag war die Festival-Eröffnung (10.Februar) durch die französische Gruppe Compagnie Arcosm (Lyon) mit „Echoa“, einem Tanztheater in mehreren Strophen; einem szenischen Potpourri aus Klang, Bewegung und Farbe, getragen von technischer Brillanz, strukturiert von Humor und Poesie.
Der Ton macht die Bewegung, sehen wir zu Beginn und lernen später, dass dies wohl dem weiten Feld der zwischenmenschlichen Beziehungen entnommen ist, die sich in Variationen – als Contemporary-Pas de deux oder etwa als Tango – durch das Programm ziehen. Wer den Ton angibt, ob der sich bewegende Percussionist oder der Klang-Körper (dies ist wörtlich zu nehmen) der Tänzer, bleibt immer offen: Es ist ein schwungvoll leises wie explosives, präzise choreographiertes Miteinander der außergewöhnlichen Art, das Erwachsene begeistert und Kinder und Jugendliche prägend damit konfrontieren dürfte, dass zeitgenössischer Tanz äußerst cool sein kann.
„M2 – Meter zum Quadrat“ der Cie.Ea.Eo aus Belgien kommt scheinbar lockerer daher: Bei ihnen laufen die Alltagsspielchen der kleinen gegenseitigen Ärgereien einmal „spontan“, einmal mit System. Im Grunde aber ist es eine sehr feinsinnige Studie über Männerbeziehungen in ihrer manchmal fast klischeehaften, ein anderes Mal aber auch sehr individueller Ausformung. Konsequent aufgebaut auch äußerlich durch Abbau des Agitations-Raumes, des ausgelegten Bodens - da spürt wohl selbst der eine und andere Zuseher die bedrohliche Einengung, die gegenseitige Bedrängung, intensiviert durch ein dadurch bedingtes Miteinander-können-Müssens. Formal handelt es sich neben all grundsätzlich bewegungstechnischem Können und Zusammenspiel - wie etwa auch in Form von „Körperpercussion“ - primär um das Spitzenkönnen von vier Jongleuren: Dieses, ihre „fliegenden Choreographien“ der Keulen und Bälle, raubt den Atem – den Kindern, den Jugendlichen, den Erwachsenen.
Ein netter Spaß, ein wenig simpel gestrickt so manches Mal, zumeist aber doch mit Charme und Elan präsentiert, das ist die holländische Produktion „Santa Sangre“ von Plan D/Andreas Denk. Geeignet, wenn man Klamaukhaftes nicht scheut, aus einer unkonventionelleren Perspektive Kinder in den Zauber und vor allem auch in die Realität der Zirkuswelt einzuführen.
Einzureihen in den Bereich der Performance im weitesten Sinne: „Traum(a) in Rosa oder Real Girls go Pink“ der 2010 in Wien gegründeten Gruppe Rosidant. Die Künstlerinnen des Kollektives kommen aus unterschiedlichen Sparten: Theater, Tanz, Film/Video, Musik. Dass das Ergebnis ein Cross-Over ist, liegt nahe, dass der Fokus auf Körperausdruck liegt, ist Intention; dass das Ergebnis ein derart frisch-frech-kreatives ist, ist erfreulich. Besonders bemerkenswert, da das gewählte Thema - in etwa: „Was ist eine richtige Frau“ - eigentlich einen Bart hat. Diesem immer noch Neues abzuringen, abgegriffene Argumente immer noch als witzig, denkanregend erleben zu lassen – das ist eine künstlerische Leistung aller und in der überaus bühnenpräsenten Darstellung der beiden Protagonistinnen, Susanne Foisner, Angela Rottensteiner, eine darstellerische überdies. Ob Großmutter-Sager, Punschkrapfen, feministisches Gehabe: Sie alle erhalten hier einen rosarot angehauchten Rahmen, kommen so in schräg choreographierte Bewegung und damit in neues Licht und erhellenden Glanz.
In großem Gegensatz dazu: „Strings“ des Amsterdamer danstheater aya. Auch hier wird ein oft behandeltes Thema interpretiert: Die Abnabelung eines Sohnes von seine Mutter. Die Notwendigkeit des beiderseitigen Loslassen-Müssens zu zeigen, ist ein interessanter und seltener realisierter Faktor; dass die beiden Generationen auch formal in Form von zeitgenössischem Tanz und Hip-.Hop (ausgezeichnet Dietrich Pott) „aufeinanderprallen“ gibt der Vorführung ebenfalls etwas Spannung. Allein, die choreographische 1:1 Umsetzung der darzustellenden Problematik ist zu wenig, um von einem tragenden Bogen sprechen zu können, um sich mitgenommen oder gar mitgerissen zu fühlen und letztlich auch, um einzusteigen in eine überbordende Emotionalität. Dass die Aktionen des „Herrn im besten Alter“ vom jungen Publikum wohlwollend angenommen wurden, ist nett, aber erreicht wurde davon kaum einer.
Dass (auch) die Tanz- Performance Bilanz von spleen graz insgesamt aber eine überaus positive ist, steht außer Zweifel; und nicht nur, weil das Festival Kinder und Jugendliche in einer Anzahl zu Tanz-Vorstellungen bringt, wovon andere Veranstalter eher nur träumen; sondern auch, weil eine breite Palette dieses Genres kennenzulernen war – und zum Großteil hohe Qualität bot.
spleen graz Theater-Festival, Tanz- und Performanceschiene, 9.-15.Februar 2012