Wie vielfach einsetzbar, wie hervorragend und zu Spitzenleistungen fähig die TänzerInnen des Wiener Staatsballetts sind, hat am Dienstag das gesamte Ensemble in der Aufführung der „Meisterwerke des 20. Jahrhunderts“ bewiesen. Allen voran Denys Cherevychko, der ohne zu zögern binnen 12 Stunden die Rolle des Frédéri in Roland Petits „L’Arlésienne“ studiert und das Publikum zu Begeisterungsstürmen hingerissen hat.
Ursprünglich sollte Eno Peci sein Debüt in der „Arlésienne“ feiern. Eine Bakterienattacke warf ihn ins Bett, also wollte Kirill Kourlaev, der die Rolle bereits in der Premiere beindruckend getanzt hatte, einspringen. Doch auch er landete im Krankenzimmer. Denys Cherevychko verzichtete kurz entschlossen auf das (bereits studierte) Debüt in Nils Christes „Before Nightfall“ (mit Maria Yakovleva) und sprang und drehte kraftvoll und fulminant als unglücklicher Frédéri in den Tod.
Cherevychko zeigte keinerlei Unsicherheiten („Die Kolleginnen und Kollegen im Ensemble haben mir sehr geholfen“) und tanzte mit Irina Tsymbal, die in der Rolle der Ivette Premiere hatte, die zu Tränen rührende Geschichte eines Liebeswahns. Cherevychko ist ein romantischer Frédéri, der ernsthaft versucht seine Braut zu lieben, auch wenn ihm immer noch die schöne Arlesierin im Kopf spukt. Anfangs blickt der Bräutigam wider Willen noch zärtlich auf die reizende Braut und versucht sich mit seinem Schicksal abfinden. Doch je weiter der Abend (das Hochzeitsfest) fortschreitet, desto mehr wird ihm bewusst, dass er nicht kann, was er sich vorgenommen hat. Die reale Vivette wird ihm immer widerlicher, während die irreale Arlesienne immer mehr Gestalt annimmt. Mit sicheren Drehungen und hohen Sprüngen rast er schließlich dem blutigen Ende entgegen.
Wäre Cherevychko nicht schon längst zum Solotänzer ernannt, mit dieser Bravourleistung hätte er das Avancement mehr als verdient.
Wenn auch das Konzept Manuel Legris’, möglichst viele unterschiedliche Tänzer und Tänzerinnen und nicht nur die umjubelten SolistInnen, in möglichst vielen Rollen auftreten zu lassen, durch das Wüten der Bakterien nicht ganz aufging und wohl die vielen Ausfälle auch die noch gesunden KollegInnen etwas irritierten, so konnten die vielen Rollendebüts in dieser Aufführung der „Meisterwerke des 20. Jahrhundert“ dennoch die Homogenität des vorzüglichen Ensembles zeigen. Besonders eindrucksvoll war das Debüt des lange Zeit verletzt gewesenen Halbsolisten Masayu Kimoto (mit Kiyoka Hashimoto) in „Before Nightfall“, wo auch Marie-Claire D’Lyse (mit Attila Bakó) gefallen konnte. Den Part, auf den Yakovleva und Cherevychko verzichten mussten, hat das Premierenpaar, Liudmila Konovalova / Michail Sosnovschi, nun deutlich geschmeidiger, übernommen.
Olga Esina, die bei der Premiere das Solo „La Cigarette“ in Lifars Choreografie getanzt hat, entzückt gemeinsam mit Shane A. Wuerthner als geschmeidiges Adagio-Paar. Konovalova verführt in „La Cigarette“ mit stupender Technik und unnachahmlicher Sicherheit.
Stellvertretend für sämtliche Debüts, seien noch die Corps-Tänzer im „Pas de Cinq“ der „Suite en Blanc“ genannt: Marat Davletshin, Marcin Dempc, Trevor Hayden und Greig Matthwes zeigen rund um Ioanna Avraams Rollendebüt durchaus gute Figur und harmonische Einigkeit.
Die Bedingungen an diesem Abend waren durch Ausfälle und Umbesetzungen nicht unbedingt ideal und dennoch konnte die Aufführung begeistern. Das ist nicht zuletzt der bezaubernden Irina Tsymbal und ihrem hinreißenden Überraschungspartner Cherevychko zu verdanken. Das Publikum wusste die Bravourleistungen ebenso zu würdigen wie der Vater der Compagnie, Manuel Legris.
„Meisterwerke des 20. Jahrhunderts“ am 19. Februar 2012 an der Wiener Staatsoper
Weitere Vorstellungen am 23. Februar und 3. März 2012