Mit der Produktion „New Work“ überholt der Gründer und Chef der kanadischen Ensembles La La La Human Steps, Édouard Lock, sich selbst, frappiert manche Zuschauer im Linzer Posthof, lässt aber andere weit hinter sich. Geschwindigkeit und Akrobatik allein reichen nicht für einen ganzen Abend. Auch wenn wirbelnde Arme und Beine beeindrucken.
Stimmt schon, wer die muskulösen, extrem akrobatischen Tänzerinnen von La La La Human Steps zum ersten Mal sieht, ist hingerissen. Obwohl nur ein Bruchteil von dem zu erkennen ist, was die Turnerinnen in Spitzenschuhen leisten – sie sind so schnell, dass das Auge ihnen oft nicht folgen kann.
Aber was sonst?
„New Work“ (Lock mag nicht nur keine Erzählungen in seinen Stücken sondern offenbar auch keine sprechenden Titel) ist zur Musik von Henry Purcell („Dido und Aeneas“) und Willibald Gluck ("Orpheus und Eurydike“) kreiert. Zwei mit dem Tod endende Liebesgeschichten sollen verschmolzen werden. Das funktioniert deshalb gar nicht, weil Lock keine Geschichten erzählt. Aber hat die Musik und die Komponisten Gavin Bryars und Blake Hargreaves, die die barocken Noten allerliebst ins Heute übertragen, die Singstimme durch herrliche Saxophon-kantilenen (Ida Toninato) ersetzen und von einer Bratsche (Jennifer Thiessen), einem Cello (Jean-Christophe Lizotte) und einem herrlich tremolierenden Klavier (Njo Kong Kie, zugleich musikalischer Leiter des Ensembles) begleiten lassen.
Tröstlich in all dem Gewirbel und Gezappel ist auch die Lichtregie von Lock selbst. Die Figuren erscheinen aus dem (mythischen) Dunkel und treten (oder rucken und zucken) auch wieder dorthin zurück. Die zu Herzen gehenden bekannten Geschichten (man denke nur an „Didos Klage“ über Aeneas Untreue oder die Wunschkonzert kompatible Arie des Orpheus, wenn er seiner Eurydike nachtrauert) sind jedoch nicht zu sehen. Was über die Rampe kommt sind stahlharte Tanzmaschinen, die ewig auf der Spitze stehen können, 0hne einen Krampf zu bekommen, die Beine 360 Grad spreizen und ihre Partner (die, in Straßenanzügen, haben wenig zu tun außer die Ballerinen zu halten und zu drehen wie einen Kreisel) umschlingen, als wären sie alle die Schlange, die Eurydike den Todesbiss versetzt hat. Zudem kann man die Figuren (die Damen tragen viel Bein unter knappen, schwarzen Bodys) kaum unterscheiden, aber vermutlich ist es wie so oft: Alle sind Eurydike und alle sind Dido und Aeneas und Orpheus gleich dazu.
Irgendwann muss dem Choreografen Lock aufgefallen sein, dass Augen und Gehirn die Hochgeschwindigkeitsakrobatik nicht mehr erfassen können, daher legt er mit ganz ruhigen, elegischen Videosequenzen drei Pausen ein. Man sieht auf der geteilten Leinwand jeweils das nahezu statische Gesicht einer Tänzerin. Einen Augenblick lang sieht die eine zur anderen, die andere streicht sich über Hals und Wange, richtet das Haar. Dann wieder der verschleierte Blick in die Ferne. Zurück wahrscheinlich, zum Mythos und ins Dunkel, aus dem gleich wieder die Paare in gewohnter Hektik mit den Armen rudernd herbeidüsen werden.
Der Abend besteht vor allem aus Pas de deux und einigen Pas de trois. Hie und da liegt einer der Nymphen dekorativ auf dem Boden, doch gleich werden wieder die Arme geworfen und die Beine geschlungen. Ein frappierend artistischer, auf die Dauer recht eintöniger, emotionsloser, und auch nicht wirklich ästhetischer Tanz. Irgendwann fiel mir der chinesische Zirkus ein. Perfekte Apparate ohne Individualität auch dort. Dem Geschwindigkeitsrausch ergeben sich die Zirkusleute nicht.
Die Uraufführung von „New Work“ fand nicht ohne Grund in Europa (Jänner 2011, Amsterdam) statt. Seit dem tourt das Ensemble quer durch die EU, war im Sommer 2011 bereits im ImPulsTanz zu Gast und hat nun auch Linz entdeckt. Endlich wird es hell und die elf Tänzerinnen stehen vereint an der Rampe um den fälligen Applaus entgegenzunehmen. La La La Human Steps sind schließlich seit 30 Jahren eine renommierte, nahezu unantastbare Compagnie.
La La La Human Steps: „New Work“, 7.Mai 2012, Posthof Linz.