Turbotempo, sakraler Ernst und ein sexie Capriccio. In der letzten Repertoire-Vorstellung dieser Saison strahlten die „Juwelen der Neuen Welt II“. Der Titel des vierteiligen Abends trog nicht. Sind die Choreografien – von William Forsythe, John Neumeier, Twyla Tharp und George Balanchine – an sich schon Glanzstücke, so zeigte sich auch das Wiener Staatsballett als funkelnde Zimelie.
Nina Poláková, Irina Tsymbal, Natalie Kusch, Alexis Forabosco und Richard Szabó machten dem Titel den Forsyth für seine Choreografie zu Franz Schuberts C-Dur-Symphonie gewählt hat ( „The Vertiginous Thrill of Exactitude“ - Der schwindelerregenden Nervenkitzel der Genauigkeit), alle Ehre. Exaktheit und Genauigkeit in atemberaubender Geschwindigkeit auf der Bühne, erzeugten Thrill und Schwindel in meinem Kopf.
Ein grandioser Einstieg in einen großartigen Abend.
Neumeiers „Bach Suite III“ ist auch mehr als ein Vierteljahrhundert nach der Uraufführung noch ein Diamant unter den Choreografien des 20. Jahrhunderts. Seine phänomenale Musikalität wird sowohl vom Corps de Ballet als auch von den SolistInnen (Olga Esina mit Kirill Kourlaev; Kyoka Hashimoto mit Masayu Kimoto) aufs Eleganteste umgesetzt. Höhepunkt dieser nahezu überirdischen Choreografie war sowohl musikalisch als auch tänzerisch die berühmte „Air“ mit den lang gehaltenen Akkorden und dem Violinsolo. Simon Hewett leitete das Staatsopernorchester so behutsam, dass diese „Melodie“ gänzlich neu klang und gar nicht an all die vermurksten Bearbeitungen erinnert, die gemeinhin Wunschkonzerte dekorieren. Olga Esina und Kirill Kourlaev zelebrierten diesen langsamen Satz als wären sie nicht von dieser Welt. Schwebend, zärtlich, glasklar und die Grenzen zum Pathos nicht überschreitend. Zum Weinen schön. Die leichtfüßigen Tänze der letzten kurzen Sätze (Gavotte, Bourrée, Gigue) brachten mich dann wieder auf die Erde, was ein nicht minderer Genuss war. Purer Tanz, der so leicht und einfach nicht ist, wie er aussieht.
Nach der Pause hatten es die Tänzer und Tänzerinnen der „Variationen über ein Thema von Haydn“ von Twyla Tharp schwer. Aber möglicherweise bin ich voller Vorurteile, der Musik gegenüber. Diese Komposition von Johannes Brahms, die der Choreografie den Titel gibt, ist vermutlich in den USA weniger abgespielt, als in Österreich, wo Haydn Heimat- und Brahms Gastrecht genossen. Wie auch immer: Ich finde sie langweilig und so manche der Mittanzenden wohl auch. Das Fließende, Schleifende, das Tharp (zwischen classic und modern Dance changierend) in dieser Choreografie zu einem unendlichen Band webt, war irgendwo verloren gegangen. Einzig Prisca Zeisel und Shane A. Würthner scheinen verstanden zu haben, worum es der Choreografin geht und wie man ihre Intentionen umsetzt.
Schwamm drüber.
Das Ende glänzte und leuchtete wie gewohnt in glühendem Rot. Mit Ketevan Papava wurden Balanchines „Rubine“ zum Schmuck für the sexiest girls in town. Das Wippen der Hüften, das Werfen der Beine und Blicke aus glänzenden Augen schien dem gesamten Ensemble Riesenspaß zu machen. Davide Dato und Natalie Kusch brillierten als Solopaar und strahlten mit den glitzernden Damen und Herren (HalbsolistInnen und Corps) zur Musik Strawinskis („Capriccio für Klavier und Orchester“; am Klavier Laurene Lisovich) um die Wette. So ein Saisonschluss (die Nurejew-Gala am 23. Juni fällt aus dem Repertoire, ist mehr Fest als alltägliche Arbeit), berechtigt zu den allerschönsten Hoffnungen für die kommende Saison. Mit Bravorufen und heftigem Applaus hat das Publikum meine Meinung wohl bestätigt.
„Juwelen der Neuen Welt II“, Staatsoper, 17. Juni 2012.