Die Spielzeit 2012/13 ist für das Hamburg Ballett eine ganz besondere. Denn in diesem Sommer feiert die Compagnie ihr vierzigjähriges Jubiläum mit John Neumeier als Direktor. Anlass genug für mehr als nur einen Blick zurück. Allein vier Wiederaufnahmen werden in dieser Saison gezeigt.
Ziel sei eine Retrospektive, so Neumeier, die einen roten Faden durch die Geschichte des Balletts in Hamburg präsentiere und gleichzeitig zukunftsweisende Wege gehe. Da darf „Romeo und Julia“ natürlich nicht fehlen. Schließlich ist es Neumeiers ältestes abendfüllendes Handlungsballett. Seine Uraufführung fand 1971 in Frankfurt statt, 1974 wurde es mit nach Hamburg genommen. 1981 stellte Neumeier eine neue Fassung des Stückes vor, nun in Zusammenarbeit mit Jürgen Rose, der das Bühnenbild und die Kostüme entwarf. Diese Fassung ist in Hamburg längst ein Klassiker. Eigentlich alle Tänzer und Tänzerinnen, die dieses Ensemble mitgeprägt haben, waren in Shakespeares Liebesdrama zu erleben. Und trotz einer mitunter recht vollen Bühne und einem Zuviel an Personal funktioniert diese Inszenierung noch immer. Sie zieht den Zuschauer, besonders im zweiten und dritten Teil, in ihren Bann. Und begeistert nicht zuletzt durch eine klare Struktur und wunderbare choreographische Momente.
Neumeiers Werk ist geprägt durch eine klare Psychologisierung der Bewegungssprache. Die Familien der Capulets und der Montagues sind gefangen in ihren gesellschaftlichen Restriktionen, agieren in einem strengen Gestus. Einer übersteigerten Contenance vermögen sie nicht zu entweichen. Sie bleiben starr und distanziert, wirken wie eingefroren. Carolina Agüero und Dario Franconi als Gräfin und Graf Capulet zeigen diese Beherrschtheit aufs Genaueste. Nur nicht die Fassung verlieren – so mag ihr oberstes Ziel heißen. Ganz anders Romeo und Julia. Neben den kantigen Ritualen ihrer Verwandten sind ihre Bewegungen betont weich und fließend. Die beiden Solisten Alexandr Trusch und Florencia Chinellato stürzen sich mit viel Emotionalität und einer Flut der Gefühle in ihren Liebesrausch. Großartig zeigt diese neue Besetzung die jugendliche Verliebtheit. Harmonisch aufeinander eingehend, einfühlsam und, an den richtigen Stellen, angenehm zurückgenommen. Zum Schluss hin, vor allem im zentralen Pas de deux des dritten Aktes, fehlte ein wenig die Intensität. Aber das kann ja noch kommen.
Eine kluge Idee von Neumeiers Inszenierung ist die Einführung einer Schauspielgruppe, die in ihren Auftritten die primäre Handlung spiegelt und kommentiert. Mercutio mischt sich immer wieder unter das fahrende Volk. Alexandre Riabko verleiht dem Freund Romeos eine spannend dunkle Note. Seine Freude an Spiel und Klamauk hat immer auch etwas Unheimliches. Selbst seinen Tod inszeniert er als Komödie. Ganz anders Romeos Cousin Benvolio. Emanuel Amuchástegui zeigt die helle, leichte Seite der Freundschaft und des unbefangenen Herumalberns. Die Rolle des Tybalt tanzte erstmals Kiran West. Er präsentierte sich sprungstark und überzeugend zornig.
Nicht zuletzt trägt natürlich auch Prokofjews berühmte Komposition ihren Teil zum Gänsehautgefühl dieses Abends bei. Unter Leitung von Markus Lethinen interpretieren die Hamburger Philharmoniker einfühlsam und angemessen dramatisch. Jürgen Roses Bühnenbild entspricht in seiner architektonischen Klarheit der genauen Konzeption des Choreographen. Die an der Ästhetik der Frührenaissance orientierte Bühne ist dimensional so gegliedert, dass die Szenerie geradezu nahtlos wechseln kann. Übersichtlichkeit ist hier Prinzip, den Tänzern wird viel Raum gegeben. Sie wissen ihn zu nutzen!
Übrigens: es gibt noch mehr englische Poesie. Mit „Shakespeare-Dances – Die ganze Welt ist Bühne“, der nächsten und abschließenden Wiederaufnahme dieser Spielzeit, werden am 9. Juni die diesjährigen Hamburger Ballett-Tage eröffnet.
Hamburg Ballett: „Romeo und Julia“, Wiederaufnahme am 11. April 2013 in der Staatsoper Hamburg. Weitere Vorstellungen am 17., 18., 19. April und am 14.6. im Rahmen der Hamburger Ballett-Tage.