Es wurde gefeiert und auch gemeckert, gelobt und getadelt. Doch nun ist es eröffnet und täglich ausverkauft, das neue Musiktheater Volksgarten in Linz. Nach der Open-Air-Aufführung der katalanischen Künstlergruppe La Fura dels Baus, hob sich der Vorhang im Großen Saal zu einer Uraufführung: „Spuren der Verirrten“, eine Oper von Philip Glass nach einem Stück von Peter Handke, begeistert das Publikum mehr als die Kritiker.
Das Großaufgebot an Fest- und Ehrengästen samt bühnengerechter Bigotterie bei der Premiere am 12. April kann schnell wieder vergessen werden, findet doch das eigentliche Großaufgebot allabendlich auf der Bühne statt. „Spuren der Verirrten“, eine Oper nach dem Theaterstück von Peter Handke (Libretto: Rainer Mennicken, Intendant des Landestheaters), von Philipp Glass komponiert, von David Pountney inszeniert, von Amir Hosseinpur choreografiert und von Dennis Russel Davies dirigiert, wird auch in den Folgevorstellungen vom Publikum mit nahezu frenetischem Applaus bedankt. Das Quartett der renommierten und preisgekrönten Künstler bringt auch ein Großaufgebot an TänzerInnen, Sängerinnen, SchauspielerInnen inklusive Chor und Extrachor des Linzer Landestheaters, Kinder- und Jugendchöre, und Brucknerorchester und natürlich die gesamte Statisterie des Landestheaters (das neue Musiktheater ist zählt zu seinen Spielstätten) auf die Bühne.
Aug und Ohr, Herz und Hirn, was wollt ihr mehr!
Nichts ist die Antwort des erschöpften aber zufriedenen Publikums, die Bühne, geöffnet bis in den hintersten Winkel, drehte sich immerhin nahezu zweieinhalb Stunden und bietet ein Gesamtkunstwerk voll angenehmer Musik, verstörender Worte und sinnenanregender Bilder. Was Peter Handke zu sagen hat, kann in den zahlreichen Kritiken und im Original nachgelesen werden. Auch im Programmheft steht ein Aufsatz. Ganz großstädtisch wendet sich der Dramaturg Wolfgang Haendeler, nicht an das neugierige und möglicherweise durch mangelnde Handlung, aber viele bunte Figuren und beachtenswerte, auch irritierende, (oft jedoch unverständliche) Sätze etwas verwirrte Publikum, sondern zeigt, was er alles gelesen hat. Den Leitfaden zum Verständnis des Rätselspiels müssen die Zuschauer selbst finden. Und das tun sie, wenn dem freudigen Applaus am Ende geglaubt werden darf.
Wer sich nicht mit Handke befassen mag (obwohl dies überaus zu empfehlen ist), erfreut sich an Zitaten und Anspielungen aus der Weltliteratur, ergötzt sich an den vier Alphornisten und dem Zeitraffer-Hasen aus „Alice im Wunderland“, sieht Dirndln und Buam beim älplerischen Tanz zu und bekommt beim Ballett der Krankenschwestern im Lazarett eine Gänsehaut oder bewundert Salomes Solo, die ihre alltägliche Unterwäsche lasziv fallen lässt. Es wird überhaupt viel getanzt in dieser Oper und es wird virtuos getanzt.
Choreograf Hosseinpur (im Iran geboren, in London lebend) und Regisseur Pountney (seit zehn Jahren Intendant der Bregenzer Festspiele) sind mit nahezu allen großen Bühnen Europas vertraut, haben gemeinsam schon die Bühne im Bodensee bespielt, sie wissen Größe und technische Mittel der neuen Musiktheater-Bühne virtuos zu nützen. Dass Handkes Dichtung in diesem Spektakel eine von der Musik überlagerte Rolle spielt und die von Glass gelieferten Noten den gesungenen Klage- und Fragesätzen und ausgedrückten Gefühlen keineswegs entsprechen, mag als theatrale Ironie durchgehen. Schließlich ist am Ende die Verirrung ohnehin total: Die MusikerInnen haben lustige Hüte auf und sitzen auf der Bühne, das Bühnenvolk sitzt auf deren Sesseln und spielt die Instrumente pantomimisch und wir wissen keine Antwort auf Handkes Frage: „Wo sind wir?“
Doch wir wissen, was es noch zu sehen geben wird im neuen Musiktheater (geplant von Terry Pawsons Architetects) während des bis in den Mai währenden Eröffnungsfestes. Etwa „Campo Amor“, das erfolgreiche Ballett des im vergangenen Jahr verstorbenen Linzer Ballettchefs Jochen Ulrich, neu eingerichtet für die große Bühne (8., 12. Mai) und auch Ulrichs 1991 für Köln entstandenes Ballett „Romeo und Julia“, keineswegs eine süßliche Liebesgeschichte, steht auf dem Programm. (25., 30., 31. Mai). Ganz im Zeichen des Tanzes und Tanzens steht der 5. Mai: Mitglieder des Ballett- und des Musicalensembles, Tanzstudenten der Anton Bruckner Privatuniversität, Ballett- und Tanzschulen sowie Solokünstler aus Linz und ganz Oberösterreich präsentieren von 11 bis 18 Uhr in Performances, offenen Proben und Trainings, Führungen, Workshops zum Mitmachen und Zuschauen Kostproben ihrer Arbeit. Zum Abschluss treten in der „Österreichischen Tanzgala“ zeigen die Ballettensembles aus Graz, Salzburg, Innsbruck und auch die hauseigene Compagnie Auszüge aus ihrem Repertoire. Eno Peçi und Dagmar Kronberger, SolistInnen des Balletts der Wiener Staatsoper zeigen einen Pas de deux aus dem Ballett „Anna Karenina“ von Boris Eifmann. Am 11. Mai wird das Hauptfoyer Tanzsalon. Es wird Tango getanzt, Tango gezeigt und über Tango gesprochen.
„Spuren der Verirrten“, Oper für Sänger, Schauspieler, Tänzer, Chor und Orchester von Philip Glass. Libretto nach dem gleichnamigen Stück von Peter Handke, eingerichtet von Rainer Mennicken. Gesehen am 19. April, Musiktheater Volksgarten, Linz.
Das Programm des Musiktheaters als pdf.