Als Koproduktion mit dem Festival Heidelberger Frühling hat das in Hamburg beheimatete Bundesjugendballett einen großartigen Tanzabend zum Thema Volkslied auf die Bühne gebracht. Acht Choreographen haben für den Abend „Simple Gifts: Lieder und Tänze inspiriert von Folk Songs“ mit den acht jungen Tänzern zusammengearbeitet.
Das Konzept dieses Ballettabends stammt von Kevin Haigen, dem Künstlerischen Leiter des Bundesjugendballetts. Er realisierte die „Folk Songs“ (so der Titel bei der Premiere) in Zusammenarbeit mit John Neumeier und Thorsten Schmidt, dem Intendanten des Internationalen Musikfestivals in Heidelberg. Die erste Generation des Bundesjugendballetts verabschiedet sich mit dieser Inszenierung. Denn die zwischen 18 und 23 Jahre alten Tänzer können, so sieht es die Idee der in der Spielzeit 2011/12 gegründeten Compagnie vor, nur für zwei Jahre bleiben, danach erfolgt ein Wechsel. Unter der Intendanz von John Neumeier hat die Gruppe ihren Probenort im Hamburger Ballett-Zentrum, doch eine feste Spielstätte gibt es nicht. Ziel des Bundesjugendballetts ist es, den Tanz an Orte zu bringen, an denen man ihn nicht wirklich vermuten würde. So wurden schon die Kuppel des Berliner Reichtags und der Hamburger Rathausmarkt zur Bühne. Nicht nur auf Festivals und in Theatern ist das engagierte Ensemble aufgetreten, sondern auch in Gefängnissen, Seniorenheimen, Musikclubs, im Schwimmbad und im Luxushotel. Außerdem wurden in Schulen und Flüchtlingsunterkünften die verschiedensten Workshops veranstaltet.
Für den neuen, achtteiligen Ballettabend haben sich die beteiligten Choreographen mit internationalen Volksliedbearbeitungen und von Volksmusik beeinflussten Werken des 19. und 20. Jahrhunderts auseinandergesetzt. Den Folk als einen wesentlichen Ursprung des Tanzes verstehend, waren sie bestrebt, künstlerische Formen für die traditionellen Vorgaben zu finden und diese in eine eigene choreographische Sprache zu übersetzen.
Mit britischen Liedern beginnt der musikalische und tänzerische Reigen. Es folgen deutsche, argentinische, brasilianische, französische, russische und amerikanische Quellen. Kenneth Tindall wählte für den Auftakt drei Arrangements von Benjamin Britten aus. Die Japanerin Yukino Takaura und der Deutsche Patrick Eberts, beide Tänzer des Bundesjugendballetts und Absolventen der Hamburger Ballettschule, haben sich an klassischen Grundlagen orientiert. Takaura hat ihren Part mit Liedern von Brahms und Schumann unterlegt. Eberts suchte sich für die russischen Lieder eine Komposition Tschaikowskys aus. Die kroatische Choreographin Maša Kolar hat die leidenschaftlichen Lieder der argentinischen Tango-Ikone Carlos Gardel in ihr eigenes, einfallsreiches Bewegungsvokabular umgesetzt. Schwungvoll schiebt sich bei ihr ein Frauentrio, mit Knieschonern versehen, über den Boden. Thiago Bordin, Erster Solist im Hamburg Ballett, choreographierte die ihm aus seiner Heimat Brasilien bestens vertrauten Lieder von Heitor Villa-Lobos. Paul Boyd verwendete für die französischen Lieder Musik von Joseph Canteloube. Ausgangspunkt für den erst später hinzugekommenen Beitrag von Kristofer Weinstein Storey sind frühe Gospels, und für die amerikanischen Lieder hat John Neumeier einige der „Old American Songs“ von Aaron Copland ausgesucht. Darunter auch das Stück „Simple Gifts“, das dem Abend seinen Titel verleiht.
Begleitet von Musikern und Sängern des Heidelberger Frühlings präsentiert das achtköpfige Ensemble auf der Bühne der Hamburger Kampnagelfabrik sein ganzes tänzerisches wie auch darstellerisches Können. In Kostümen von Sonja Kraft, unaufgeregt und farblich stimmig, zeigen die Tänzer einen souverän neoklassischen Stil, oft auf Spitze. Aber auch Elemente aus dem Modern Dance sind zu finden. Insgesamt bietet dieser als Collage angelegte Tanzabend ein erstaunlich harmonisches Gesamtbild.
Bemerkenswert ist dabei auch, wie sich Winnie Dias, Patrick Eberts, Gabriela Finardi, Graeme Fuhrman, Maurus Gauthier, Madoka Sugai, Yukino Takaura und Daan van den Akker in „Simple Gifts“ als eine Gruppe im besten Sinne präsentieren. Im Ensemble nehmen sich alle zurück. Doch sie nutzen auch ihre Solopartien und Pas de deux-Szenen, um Konturen zu setzen und Besonderheiten hervorzuheben. Dem zuzuschauen, macht große Freude.
Bundesjugendballett: „Simple Gifts. Lieder und Tänze inspiriert von Folk Songs“, Hamburger Kampnagel, 25. Mai 2013
Weitere Aufführung: 1. August, 20 Uhr im Konzerthaus am Gendarmenmarkt.