Ein Performancestar, eingeladen zu einem Festival in Kopenhagen, muss die letzten Tabus brechen, um sein Publikum zu fesseln. „Fest“ heißt die neue Performance, in der sich Ivo Dimchev mit den Rollen auseinander setzt, die alle Beteiligten an einem Festival spielen. Dass der Performer dabei zum Entsetzen eines Teils des Publikums und zum Gaudium des anderen schamlos übertreibt, gehört zur Marke Dimchev.
Eines muss klar sein, der Performer Ivo Dimchev – 1976 in Sofia geboren und in Brüssel zu Hause, wenn er zu Hause ist – ist nicht Ivo Dimchev. Dieser Künstler, von der Festivalorganisatorin in Kopenhagen einmal barsch Dimchev genannt, dann wieder zärtlich mit Ivo angeredet, ist nicht der leibhaftige Ivo Dimchev, sondern seine Schöpfung. So ist Dimchev 2 ein verkrümmtes Männchen, das anfangs bedächtig seine knappen, gedehnten Sätze aus der Mundhöhle holt, vor Nervosität zittert und später, wenn der Auftritt endlich zustande gekommen ist, nur noch kaum verständlich lallen und kindisch singen kann. Oder spielt auch dieser Dimchev, dass er retardiert ist, kindisch und wenig blöde?
Wenn die Show in der Show abrollt, haben die jungen japanischen Zuschauerinnen den Zuschauerraum im Kasino am Schwarzenbergplatz bereits fluchtartig verlassen, denn Ivo (welcher auch immer) drückt den Preis für sein Engagement indem er die Intendantin zum Sexobjekt degradiert und das so eindeutig und schmatzend, dass sich jeder Pornodarsteller eine fette Scheibe abschneiden kann.
Alles, aber kein Porno. Doch Dimchev (der reale) ist kein Pornodarsteller, nur einer der wissen will, was er dem Publikum zumuten kann. Wenn Dimchev (der dargestellte) später ohne große Lust einen Blow Job ausüben muss, dann weiß man ganz genau, dass alles nur Theater ist, fingiert, gefälscht. Die bekömmliche Würze an Ironie nimmt diesen genüsslich in die Länge gezogenen „pornografischen Szenen“ (Jugendlichen unter 18 war der Zutritt zur Performance per Aushang untersagt) jegliche Peinlichkeit. Schockierend ist da gar nichts, weil Dimchev mit seinem „Fest“ die unangenehme Frage stellt, was die Beteiligten an dem Spiel, das Festival heißt, opfern müssen, wie sehr sie sich erniedrigen lassen müssen, um ihr Ziel zu erreichen. Ist es zuerst die Intendantin, die vom Künstler gedemütigt wird, so ist es später der Künstler selbst, der am Boden kriecht, um seinen Auftritt vollführen zu können. Der ist so jämmerlich, dass das Publikum nur „Scheiße“ rufen kann. Dieses Publikum ist eine junge, autoritäre Maid, die weiß, wie man es richtig macht. Sagt sie. Jetzt knien alle, der Techniker, die Intendantin, der Performer. Irgendwie wird aber daraus nichts. Das Publikum outet sich als Kritikerin und erlaubt, allen zu tun was ihnen einfällt. Sex im Dreieck, das ist bereits klassische Kunst. Die Kritikerin wird neidisch, gesellt sich dazu, es schleckt und schmatzt im Quartett.
Perfides Spiel. Dimchev, der richtige, lebendige, der nicht Dimchev in Kopenhagen ist, spielt ein perfides Spiel mit seinem Publikum. Wenn Empörung über Tabubrüche und Grenzüberschreitungen aufwallt, Scham, Abscheu oder Begierde die Saaltemperatur um einige Grade erhöht, dann trifft ihn keine Schuld. Er und seine Mitspielerinnen (Nicola Schössler, Annina Machaz, Mirko Feliziani) machen Theater, was in den Köpfen der Zuschauerinnen vorgeht, verantworten diese selbst. Dimchev weiß das, kokettiert damit, setzt deshalb die Ironie sparsam ein und überdehnt die überdeutlichen Sexszenen bis zur Langeweile. Dennoch sind die diversen gezeigten „Jobs“ schnell vergessen. Was bleibt ist die Frage, ob sich Künstler/innen und Veranstalter/innen tatsächlich zur Hure machen müssen, um vice versa und vom Publikum geliebt zu werden.
Cie. Ivo Dimchev: „Fest“, Uraufführung im Rahmen von ImPulsTanz, 27. Juli 2013, Kasino am Schwarzenbergplatz.