Mit der Produktion „House“ stellt sich die ehemalige Tänzerin der Batsheva Dance Company als Choreografin vor. In der österreichische Erstaufführung waren die sieben TänzerInnen der Company L-E-V und Eyal als Solistin im Linzer Posthof zu sehen. Das außergewöhnliche Stück wurde vom Publikum heftig akklamiert.
Im fahlgrünen Nebel wachsen acht Wesen aus dem Boden, verharren wie festgemauert, bewegen sich nur vorsichtig, abgehakt, dann wieder biegsam mit sich kräuselndem Rückgrat, wellendem Brustbein, elastischen Rippen, scheinbar knochenlos. Lemuren sind es, geschlechtslose Kreaturen in hautfarbenen Trikots, die ihre gespreizten Finger mit blutroten Nägeln wie Krallen peitschen lassen und nichts Menschliches an sich haben. Allmählich lösen sie sich vom Boden, bewegen sich synchron, schnell, exakt, driften auseinander, um sich wieder zu versammeln. Eine oder die andere Figur entfernt sich von der Gruppe, biegt und dreht sich alleine, zwei andere finden zusammen, dann scharen sich alle wieder zusammen, ballen sich zu einem Klumpen, der von hämmerndem Techno-Beat (Ori Lichtik) begleitet wird. In der Einheit von Licht, Musik und Bewegung wirkt das geheimnisvolle Geschehen geisterhaft beklemmend und faszinierend zugleich und versetzt in einen seltsamen Trancezustand. Ich weiß nicht, ob ich fliehen will oder tiefer eindringen in den ungewöhnlichen Tanz.
Die Introduktion jedoch tanzt Sharon Eyal allein. Gehüllt in einen glänzenden schwarzen Body – Leder?, Latex? – zeigt sie ihre phänomenale Tanzkunst. Weich und schmiegsam sind ihre Bewegungen, sie ist das menschliche Pendant zu ihren fahlen TänzerInnen drei Frauen, vier Männer), die von einem anderen Stern gefallen oder aus dem Boden gekrochen zu sein scheinen. Am Ende wird die Beklemmung aufgelöst, das Licht (Avia Yona Bueneo [Bambi]) wird hell und warm, die TänzerInnen sind wie die Solistin in glänzend schwarze Anzüge (Kostüme: Ma’ayan Goldman) gehüllt, wir sehen Menschen jeglichen Geschlechts tanzen. Wilder als im ersten Teil, doch ebenso präzise, klar und aufregend.
Sharon Eyal, geboren 1971 in Jerusalem, hat 18 Jahre, bis 2008, mit der Batsheva Dance Company getanzt, sich die „Gaga“-Technik Ohad Naharins zu eigen gemacht und weiter entwickelt. „New Mutations“ nennt sie ihre neuartige Technik und hat ihre erste Choreographie „House“ (eher mit der elektronischen Tanzmusik zu assoziieren als mit einem gemütlichen Heim) gemeinsam mit ihrem Mann Gail Behar entwickelt. Die L-e-v-Familie (Lev, hebräisch: Herz) rekrutiert sich zur Gänze aus Batsheva-TänzerInnen, die eine besondere Art des Körperbewußtseins erlernt haben und Knochengerüst und Muskulatur in ständig wechselnde Richtung bewegen können, als ob der Körper flüssig wäre. Was Eyal und Behar mit ihrem Team zeigen, ist etwas völlig Neues, noch nie Gesehenes – ein beachtliches Debüt.
Schade, dass weder das Tanzquartier noch ImPulsTanz diese überwältigende Choreografie nach Wien einladen konnten. Wollten?
Company L-E-V: „House“ von Sharon Eyal / Gai Beahr, 23. April 2014, Österreich-Premiere im Posthof, Linz.