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mesitersigenoDas Erwartete trifft nicht immer ein und auch ein Mythos hat seine schwachen Seiten. Im neu zusammengestellten Programm mit „Meistersignaturen“ enttäuschte die Wiener Erstaufführung von George Balanchines „Allegro Brillante“. Ein kleiner Schmerz, der durch „Le Souffle de L’esprit“ von Jiri Bubenicek und Rudi van Dantzigs Choreografie der „Vier letzten Lieder“ von Richard Strauss schnell vergessen ist. John Neumeiers „Vaslaw“ hat an Kanten aber nicht an Ausdrucksstärke verloren.

Einer muss der Letzte sein. Auch wenn der vierteilige Abend „Meistersignaturen“, dramaturgisch bestens zusammengestellt, als gelungener Abend ins Repertoire eingehen wird, erhält ausgerechnet die Premiere, eben jenes, offenbar nicht ohne Grund in Wien noch nie gezeigte kleine Stückerl „Allegro Brillante“ zu Tschaikowskys unvollendetem Klavierkonzert op. 75 (am Klavier von Sino Takizawa) nicht den ersten sondern den letzten Preis. Natürlich beeindruckten Olga Esina und Vladimir Shishov als Solopaar, natürlich tanzten auch die acht Damen und Herren des Wiener Staatsballetts – darunter die nach einer Verletzung genesene und eben mit dem Förderpreis des Ballettclubs ausgezeichnete junge Tänzerin Natascha Mair, in ihren langweiligen Flatterkleidchen liebreizend (aber für meinen Geschmack etwas zu langsam), doch brillant war dieses 1956 uraufgeführte Allegro nicht. Olga Esina im Glitzerkleid und straff zurück gebundenem Haar erinnerte an die junge Grace Kelley, die formelhaften klassischen Bewegungen, die eher eine Fitnessübung gleichen, erfüllen nicht das vom Choreografen gegebene Versprechen, in 13 Minuten, alles zu sagen „was ich über das klassische Ballett weiß“. Da sind andere Werke symptomatischer. Schwamm drüber, 13 Minuten, auch wenn sie 17 oder 18 dauern, sind eine angenehme Erholungspause, von dem was war und für das was kommt. Denn Bubenicek, Neumeier und van Dantzig fordern ganze Aufmerksamkeit, quetschen uns das Herz dass es hüpft und blutet zugleich.

Es ist ein Abend der Herren, solcher die ihren Part schon getanzt haben, wie der phänomenale Masayu Kimoto (Solist im Eröffnungsstück „Le Souffle de L’Esprit“ und ebenso in „Vaslaw“) oder Eno Peçi (sowohl in „Le Souffle“ als auch in „Vier letzte Lieder“), Denys Cherevychko als „Vaslaw“, Roman Lazik und Alexandru Tcacenco in „Vier letzte Lieder“ und der neuen, die ihr Debüt feierten. Etwa Robert Gabdullin, der mit Ketevan Papava das letzte Paar in „Vier letzte Lieder“ tanzte.

Harmonie und Stille. Die Bilder von Leonardo da Vinci haben Bubenicek zu seiner Choreografie inspiriert und das bedingt ja die „edle Einfalt und stille Größe“ (Johann Joachim Winckelmann), Harmonie und Schönheit von Geist und Körper. All dies haben die fliegenden weißen Engel gehalten. Neben Kimoto und Peçi auch Taran als Solist; Marcin Dempc, András Lukacs und, debütierend, Richard Szabó sowie der junge Corpstänzer Jakob Feyferlik. Dazu Bach und Pachelbel, ein Andante cantabile aus einem Streichquartett von Roman Hofstetter und die Geräusche der Ankunft und des Abflugs der Engel von Jiris Bruder Otto, der auch für Bühne, Kostüme und die Videos mit Leonardos Bildern verantwortlich zeichnet. Licht und auch Schatten, wichtige Faktoren in diesem duftenden „Hauch des Geistes“, hat Martin Gebhardt perfekt gesetzt.

Denys Cherevychko hat sich an „Vaslaw“ gewöhnt, ist nicht mehr so ekstatisch (der junge Neumeier erzählt vom jungen Nijinsky); die Nebenfiguren (neu eingestiegen: Eszter Ledán, Richard Szabó; Robert Gabdullin im Pas de trois mit Papava und Cherevychko) erscheinen besser akzentuiert und wie Igor Zapravdin am wohltemperierten Klavier (richtig: wieder Johann Sebastian) die Tasten perlen lässt, gereicht jedem Tänzer zur Ehre.

Fließend, schwebend. Höhepunkt, traurig und tröstlich zugleich, Rudi van Dantzigs Choreografie zu Richard Strauss’ musikalischer Auseinandersetzung mit Abschied und Tod zu Gedichten von Hermann Hesse und Joseph von Eichendorff. Hesse träumt noch vom „Frühling“ und da passt es wunderbar, dass die Corpstänzerin Nina Tonoli, anmutig wie immer, bei ihrem Debüt den erfahrenen Tcacenco zur Seite hat. Noch ist alles lieblich und „selige Gegenwart“. Auch Liudmila Konovalova tanzt ihre Rolle im zweiten Pas de deux mit Greig Matthews zum ersten Mal. Weich und gelassen. „der Garten trauert“: „September“. Danach ein Höhepunkt im Höhepunkte reichen Programm: Nina Poláková und Roman Lazik: „Beim Schlafengehen“. Man ahnt es, der Schlaf ist der kleine Bruder des Todes. Der erscheint auch immer wieder, behutsam und leise zum instrumentalen Nachspiel jeden Liedes. Wie Eno Peçi diesen Freund der Menschen tanzt, so möchte ich sterben, beschützt und getröstet. Zum Abschluss mit großem Orchesterrauschen (dirigiert von Vello Pähn) Ketevan Papava und Robert Gabdullin im „Abendrot“. Ohne den Text zu kennen sehen wir, dass sie „wandermüde“ sind. „Bald ist Schlafenszeit“. Der Tod kommt als Engel, nicht in strahlendem Weiß wie zu Beginn des Abends, jedoch sanft und mitfühlend, sacht nimmt er sie alle  in die Arme.

meistersigninaDamit kein Irrtum entsteht, die Gedichtfragmente werden nur zitiert, weil die Worte so schön sind. Van Dantzig hat nicht den Text choreografiert, sondern seine eigenen Gedanken, über Vergänglichkeit und Glückseligkeit. Geschmeidige Bewegungen, ausgeprägte Hebefiguren, das Verschmelzen der stetig fließenden Choreografie mit der Musik lassen die TänzerInnen schweben. Schwebend auch der Gesang von Olga Beszmertna und die alles umhüllende romantische Musik Strauss’. Pure Schönheit. Stille Größe in jedem Fall. Der Applaus beweist, dass auch das noch gefragt ist.

„Meistersignaturen“ mit Werken von Jiri Bubenicek, John Neumeier, George Balanchine, Rudi van Dantzig. 27. Mai 2014 in der  Staatsoper.

Nächste Vorstellungen in wechselnder Besetzung: 6., 12., 16. Juni, 1. Oktober 2014.

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