Ko Murobushi, als Butoh Tänzer gern gesehener Gast des ImPulsTanz Festivals, mischt eine alte und eine brandneue Choreografie zu einer Wien-Premiere. Tief schwarz sind sie beide, wie schon die Titel ankündigen: „Enthusiastic Dance on the Grave“ und „DEAD1“, sind Totentänze, die Trauer, Qual und, wie Choreograf Murobushi sagt, „den Kern des Butoh“ thematisieren: Finsternis und Leere.
Tanz im Jammertal. Butoh, nach dem Bombenabwurf über Hiroshima in Japan entwickelt, auch um der strengen japanischen Bühnentradition etwas entgegenzusetzen, ist weniger Tanz oder Performance als Meditation oder Gebet. Hier geht es nicht um Ästhetik oder Perfektion, nicht um neue Formen des Tanzes oder der Performance und schon gar nicht um Genuss, Vergnügen oder Unterhaltung. Das langsame Spiel der Muskulatur, die immer wieder angedeutete Nähe zum Tod, das Ausdrücken von Schmerz und Leiden passen eher in die Kirche oder den Tempel. Im 2005 uraufgeführten Stück „DEAD1“ arbeiten sich drei nackte Männer aus dem Schulterstand allmählich auf die Beine. Doch der aufrechte Gang gelingt nicht, immer wieder fallen sie um, rappeln sich wieder hoch und müssen schließlich aufgeben. Lange Zeit arbeiten die drei Schüler Morobushis nur mit den Extremitäten und der Rückenmuskulatur, der Kopf ist unsichtbar. Der Mensch ist nur noch ein Klumpen Fleisch. Nur der süße Gesang des „Baílèro“ aus den „Chants D’Auvergne“ (vom Komponisten Joseph Canteloube arrangierte Volkslieder) rettet mich vor dem totalen Absturz in die Finsternis.
Requiem für die Toten von Hiroshima. Eigens für Wien hat der 67jährige Tänzer den „enthusiastischen Tanz über dem Grab“ (Premiere 2013 in Yokohama) adaptiert – eine Uraufführung also. Zwei Tänzer und drei Tänzerinnen in weißen Gewändern versuchen zu überleben. Synchrone Bewegungen des Quintetts wechseln mit eindringlichen Solos ab, der Grundton: traurig, quälend, beeindruckend und bedrückend. Als Untote bewegen sich die Männer und Frauen eckig und unbeholfen über das Bühnenfeld, um am Ende zu fallen, liegen zu bleiben. Laut brummen die anfliegenden Bomber. Hiroshima wirft seine Schatten auch noch 70 Jahre nach dem Desaster. So will es der Butoh-Tänzer.
Ist so viel Leid auszuhalten?
Das Publikum sagt „Ja“, kichert im ersten Teil, wenn das eiskalte Händchen winkt, den Torso kratzt; quietscht und schreit, kaum ist die letzte Lampe erloschen. Vielleicht war es doch nur eine Demonstration höchster Körperkunst.
Ko Murobushi: „Enthusiastic Dance on the Grave / DEAD1“, 28. Juli 2014, Akademietheater im Rahmen von ImPulsTanz.
Die Vorstellung wird am 30. Juli wiederholt.
Am 15. und 17. August zeigt Ko Murobushi im Odeon die Uraufführung seines Solos „Faux Pas“.