Mit drei eindrucksvollen Stücken aus William Forsythes Schaffen zeigte das Semperoper Ballett aus Dresden im Festspielhaus St. Pölten, wie intensiv sich die klassisch ausgebildete Compagnie mit seiner innovativen Tanzsprache auseinandergesetzt hat.
Seit Aaron Sean Watkin 2006 als Ballettdirektor der Semperoper Compagnie angetreten ist, pflegt das Ensemble eine besondere Beziehung zu den Werken und zur Person William Forsythes. War der klassisch ausgebildete Tänzer doch Erster Solist in Forsythes Ballett Frankfurt und später auch als dessen persönlicher Assistentg. Watkin hat Forsythe nach Dresden geholt und hat dessen Choreografien seit 2004 im Repertoire des Semperoper Balletts. Mit einem dreiteiligen Abend begeisterte die Compagnie auch das Publikum im Festspielhaus St. Pölten.
Mitreißend. Eröffnet wurde der Abend mit dem für die Pariser Oper kreierten Stück „In the Middle, Somewhat Elevated“ zur Musik von Thom Willems. Mit sich stetig steigernder Rasanz und Schwierigkeit wird ein Thema in Pas de deux und Gruppenvariationen immer wieder aufgegriffen und verändert. Mit einem virtuosen Pas de deux schließt das Stück abrupt. Alles, wofür Forsythe bekannt und berühmt ist, – Dehnungen, Drehungen, Spiegelungen, atemberaubende Sprünge – referiert auf das klassische Ballett und führt es, zerlegt und wieder zusammengesetzt, gleichzeitig ad absurdum. Man kann nicht genug bekommen von dieser Hochleistungs-Schau, die vom Semperoper Ballett in fabelhafter Perfektion ausgeführt wird. Abgesehen vom Schwärmen über dieses 1987 uraufgeführte Stück, das Forsythe ein Jahr später in die üppig ausgestattete vieraktige Ballett „Impressing the Czar“ eingebaut hat, gibt es auch Anekdotisches zu erzählen. Bei der Uraufführung in Paris hat neben Sylvie Guillem und Laurent Hilaire auch der derzeitige Direktor des Wiener Staatsopernballetts, Manuel Legris, mitgetanzt. Der Titel „In the Middle, Somewhat Elevated“ bezieht sich auf das vergoldete Kirschenpaar, das am Bühnenhimmel hängt. Forsythe, der nicht nur bei diesem Stück auch für Bühne und Kostüme verantwortlich ist, wollte damals eine barock ausgestattete Bühne haben, doch diese Ideen ließen sich nicht verwirklichen. Übrig blieben die beiden Kirschen und als die Techniker fragten, wo die nun hin sollten, antwortete der Choreograf sichtlich genervt: „In der Mitte, etwas weiter oben.“
So schön neu. Eigens für die Dresdener Compagnie von Forsythe geschaffen ist die fünfteilige „Neue Suite“ mit dem „Slingerland Pas de deux“ als Herzstück und neu kreierten oder arrangierten Pas de deux. Zu Georg Friedrich Händels „Concerti Grossi OP. 6“ zeigen drei Paare hintereinander dass Forsythe auch ganz romantisch choreografieren kann. Doch schon in der nächsten Folge der „Suite“ geht es weniger liebevoll zu. Zu Luciano Berios „Duetti für zwei Violinen“ werden die Beziehungen der Paare rauer, nach dem „Slingerland Pas de deux“ zur Musik von Gavin Bryars (Streichquartett Nr. 1) die Folge „New Sleep“ zur Musik von Forsythes Hauskomponisten Thom Williams und zum Abschluss die „Allemande" aus der Partita Nr. 1 von Johann Sebastian Bach (wie die beiden ersten Folgen ist auch diese letzte, nach den Komponisten benannt: „Händel“, “Berio“, „Bach“) runden die „Neue Suite“ zu einem facettenreichen Bild der Möglichkeiten des Paartanzes (auf der Bühne und im Leben) ab. Die unterschiedlichen Musikstücke steuern nicht nur die Bewegungen der einander umschlingenden oder abstoßenden Paare sondern bestimmen mit ihrer Klangfarbe auch die feinst abgestimmten Kostüme, die Forsythe selbst gemeinsam mit der Tänzerin und Kostümdesignerin Yumiko Takeshima entworfen hat.
Atemberaubend. Zum Abschluss zeigt das mit Ovationen überschüttete hinreißende Semperoper Ballett Forsythes 1989 entstandene Choreografie „Enemy in the Figure“ (später in das abendfüllende Ballett „Limb’s Theorem“ übernommen), in der ein von den TänzerInnen bewegter Scheinwerfer eine wichtige Rolle spielt. Dieser Scheinwerfer, die einzige Lichtquelle auf der durch eine gewellte Holzwand horizontal geteilte Bühne, wird geschoben und gedreht und beleuchtet meist nur einen Quadranten der Bühne, auf der gewellte Wand Möglichkeiten des Versteckens und Verschwindens bietet.
Irritierend sind nicht nur Licht und Schatten, Auftauchen und Verschwinden, sondern auch ein langes Seil, das wie eine Schlange sich mal vorne dann wieder hinten windet und hohe Wellen schlägt, über das die TänzerInnen nicht stolpern. Es wird im Licht getanzt und im Dunklen, die geteilte Bühne macht es unmöglich das gesamte Stück mit einem Blick zu erfassen. Doch den Augen kann man ohnehin nicht trauen, das schnelle Auftauchen und Verschwinden der Tänzerinnen, die hinter der Wand in unfassbarer Geschwindigkeit die Kostüme wechseln, wobei schwarze Hosen und Röcke in allen Längen mit flirrenden Fransen im Stil der 20er Jahre den Bewegungen einen unwirklichen Zauber verleihen. Bald weiß man nicht mehr, was man tatsächlich sieht und was das Gehirn selbständig an Bildern entwirft. Ein virtuoses Vexierbild zu den schneller als der Herzschlag hämmernden metallischen Rhythmen Thom Willems’. Mitunter umrunden zwei weiß gekleidete Spitzentänzerinnen die Bühne, tauchen aus dem Halbschatten auf, verschwinden hinter der hölzernen Riesenwelle und auch ein schwarzer Clown teufelt immer wieder durch Licht und Schatten. Die hart arbeitenden Tänzerinnen lassen sich nicht stören, ermüden nicht, sind exakt arbeitende Maschinen und werden erst mit dem tosenden Schlussapplaus wieder zu Tänzerinnen und Tänzern der Spitzenklasse. Ein beglückender Abend und eine perfekte Hommage an einen der wichtigsten Choreografen der Gegenwart.
Semperoper Ballett: „Ein William Forsythe Ballett Abend“, 19. Oktober 2014, einmaliges Gastspiel im Festspielhaus St. Pölten.
Für alle die nun Blut geleckt haben: Am 20. und 21. Februar 2015 stehen zwei weitere Werke William Forsythes auf dem Programm des Festspielhauses St. Pölten: Das Ballet de Lyon ist mit Sylvie Guillem zu Gast.