Mit zahlreichen Rollendebüts hat Ballettchef Manuel Legris Sir Kenneth McMillans komplexes Ballett „Mayerling“ wieder auf den Spielplan gehoben. Roman Lazik tanzte Rudolf, den letzten Kronprinzen von Österreich-Ungarn zum ersten Mal. Wie schon 2008, bei der späten Wiener Premiere des für London erdachten Balletts, verkörperte Irina Tsymbal mit viel Gefühl und höchster Tanzkunst Mary Vetsera, die letzte Geliebte Rudolfs.
Die Stunde der Damen. Auch wenn Choreograf McMillan die Geschichte vom tragischen Ende Rudolfs – Sohn des österreichischen Kaiserpaares Franz Josef und Elisabeth – ganz auf diesen konzentriert hat, waren es doch vor allem die Rudolf umschwirrenden Damen, die den Abend zum Erlebnis werden ließen. Allen voran Irina Tsymbal als Mary Vetsera, die einzige wohl, die Rudolf vorbehaltlos und ohne Hintergedanken liebte und mit ihm (oder durch ihn) den Tod fand. Berührend auch Kyoka Hashimoto in ihrem Debüt als Kronprinzessin Sophie, Rudolfs Ehefrau. Nicht nur Ketevan Papava, bereits erfahren als intrigante und Rudolf nicht aus den Fängen lassende Gräfin Larisch, auch Dagmar Kronberger, eine elegante und eiskalte Kaiserin Elisabeth, Alice Firenze, die kokette Mätresse Mizzi Caspar oder die junge Nina Tonoli als liebliche Prinzessin Louise (drei Rollendebüts) – geben sie alle der Geschichte Profil und Kontur, hat doch McMillan seine Figuren differenziert charakterisiert, was sich in überaus schwierigen Variationen und Pas de deux (meisterhaft bewältigt) manifestiert.
Emotionen und Spannung schürte auch Dirigent Guillermo Garcia Calvo mit Franz Liszts Musik (orchestriert und teilweise arrangiert von John Lanchbery). Ob Walzer, Mazurka oder die recht stürmischen Konzertetüden – García Calvo kennt das tragische Ende Rudolfs (schließlich der Anfang vom Ende der Monarchie), lässt es immer mitklingen. Beim Hochzeitsball oder in der Taverne, wo das Corps de ballet die Beine wirft, als tanzten die Grisetten bei Maxime, immer balanciert die Lustbarkeit am Rande eines Vulkans.
Roman Lazik bemüht sich redlich, kann aber die Zerrissenheit und den Lebensüberdruss, die Sehnsucht nach einer verständnisvollen Mutter und der Anerkennung durch den Vater (würdig und ohne zu karikieren, Rollendebütant Thomas Mayerhofer), die Drogensucht und die politische Visionen (fesch und schneidig die ungarischen Offiziere: Marcin Dempc, Alexis Forabosco, Masayu Kimoto, Andrey Teterin) nicht klar machen, muss er sich doch ganz auf die komplizierten Schrittfolgen und Hebungen konzentrieren. Schon in der „Hochzeitsnacht“, eine nahe an eine Vergewaltigung rührende Szene, wird das klar: Dieser Rudolf ist bieder und fern jedem Wahnsinns.
Lazik, verlässlicher und eleganter Erster Solist, rührt damit an ein Problem des gesamten Wiener Ballettensembles: Es fehlt ein herausragender, profilierter Erster Solist, der nicht nur die klassische und neoklassische Technik perfekt beherrscht sondern auch die Essenz einer Rolle erfasst und dem Publikum zeigen kann. Keine Zweifel, das Wiener Staatsballett hat großartige Solisten, hart arbeitende Charaktertänzer und ein Corps de ballet, das keinen Wettbewerb scheuen muss. Unter den Damen (ambitionierte Corps-Tänzerinnen, Halbsolistinnen und Solistinnen) fällt die Wahl schwer und die Ersten Solistinnen haben alle ihre, höchst unterschiedlichen, Qualitäten und können sowohl in den Handlungsballetten wie auch in zeitgenössischen, abstrakten Stücken ihre hervorragenden Talente zeigen. Sie sind alle Stars. Ein solcher fehlt bei den Herren, wie sehr sie auch in ihren Rollen zu lieben und zu loben sind.
Dem frenetischsten Applaus am Ende der Vorstellung schließe ich mich dennoch mit hochachtungsvoller Anerkennung für das gesamte Ensemble trotz des Vorbehalts an.
„Mayerling“ Ballettdrama um Kronprinz Rudolf in drei Akten, Choreografie und Inszenierung von Kenneth McMillan, Musik von Franz Liszt. 1. Folge einer Serie von 5 Vorstellungen am 29. November 2014, Staatsoper.
Nächste Vorstellungen: 3., 4., 7. Dezember 2014. In alternierender Besetzung.