„And Then, One Thousand Years of Peace“, das von Angelin Preljocaj für das Bolschoi Ballett 2010 konzipierte Ballett, begeisterte, getanzt von seiner Compagnie, das Publikum im Festspielhaus St. Pölten. Inspirieren ließ sich Preljocaj vom Begriff „Apokalypse“, den der Choreograf mit „Aufdeckung, Offenbarung, Enthüllung“ übersetzt.
Ein monumentale Show rollt in 100 Minuten über die Bühne und lässt die Zuschauerinnen den Atem anhalten, in Trance versinken. In von Blitzen erleuchteter Dunkelheit bewegen sich zehn Tänzerinnen wie geometrische Formen. Später betreten die Männer die Bühne, bedienen sich der gleichen fesselnden Zeichensprache. Verstehen kann ich sie nicht, es ist ja auch erst der Beginn der Aufdeckung des Verborgenen.
Verschlüsselte Zeichensprache. Preljocaj hat für dieses Stück eine eigene Bewegungssprache entwickelt, die in ihren exakten schnell wechselnden und in frappierender Synchronität ausgeführten Positionen kaum noch Menschliches an sich hat, eher an bewegliche Piktogramme erinnert. Auch wenn er sich auf die biblische „Offenbarung Johannis“ beruft, so erzählt Preljocaj weder die Visionen des Evangelisten nach, noch versucht er die Bilder nachzustellen. Assoziativ arbeitet die Choreografie mit ganz eigenen Bildern und Fantasien, in denen man, so man unbedingt will, mitunter Textstellen aus dem literarischen Werk des Johannes erkennen kann. Die eher willkürlich aneinandergereihte Bilderflut überwältigt nicht nur durch die Ästhetik des Tanzes, die Versatzstücke und Skulpturen des bildenden Künstlers Subodh Gupta oder die fein abgestimmten Kostüme des russischen Designers Igor Chapurin, sondern auch durch die Musik von Laurent Garnier, die einen unwiderstehlichen Sog entwickelt, aufbraust und abschwillt, wie Ebbe und Flut.
Zwischen Ruhe und wirbelndem Treiben. Flutartig ergießen sich auch die 21 TänzerInnen über die gesamte Bühne, sprechen in Zeichen, rasend schnell in scheinbarem Chaos, oder ruhig und gelassen in exakter Ordnung. Zwei Engel, ganz in Weiß, zeigen ein zauberhafte Duett zu Beethovens „Mondscheinsonate“, man kann die blinden Unwissenden und auch den Teufel erkennen. Dem geschriebenen Wort wird in einem seltsamen Ritual mit Büchern zwischen den Zähnen und in den Händen gehuldigt. Doch es taugt nichts, die Bücher werden allesamt in die Ecke geworfen.
Ketten fallen wie Schwerter vom Himmel, sind Fesseln und Schmuck, KriegerInnen, deren Köpfe mit Nationalflaggen verhüllt sind, zeigen Gewalt und Grausamkeit, ein nahezu klassischer Pas de deux zweier Männer endet jedoch mit dem Liebeskuss, dann wieder fliegen die Tänzerinnen, in transparente Folien gehüllt, durch den Raum, am Ende sprühen Wasserfontänen über die Bühne, die Nationalflaggen werden gewaschen, Frieden kehrt ein.
Pathos im Überschwang. Manches, was Preljocaj da mit Pathos und Überschwang erzählt, mag ein wenig zu plakativ sein, hätte für die Version außerhalb Russlands gekürzt und gestrafft werden können, um ihm den Vorwurf der Beliebigkeit und Plattitüde zu ersparen. Doch sind seine TänzerInnen so brillant und perfekt, sowohl in der eigenen wie auch immer wieder aufblitzenden klassischen Tanzsprache – überstreckte Beine, stürzende Arabesken, Pliés, tief bis knapp vor dem Umfallen – , dass von diesem rauschhaften Abend vor allem die Dynamik der Mitwirkenden und die beeindruckende Bilderflut bleiben. Sofort würde ich diese „Offenbarung“ wieder sehen wollen, den Sekundenschlaf inbegriffen.
Weils so schön klingt, was Johannes gedichtet hat, eine Titelerklärung: „Dann sah ich einen Engel vom Himmel herabsteigen; auf seiner Hand trug er den Schlüssel zum Abgrund und eine schwere Kette. Er überwältigte den Drachen, die alte Schlange - das ist der Teufel oder der Satan -, und er fesselte ihn für tausend Jahre […], damit der Drache die Völker nicht mehr verführen konnte.“ Aus dieser Passage (Kapitel 20 der Offenbarung) hat Preljocaj seinen Titel gebastelt: „Und dann 1000 Jahre Frieden.“
Angelin Preljocaj / Ballet Preljocaj: „And Then, One Thousand Years of Peace“, 15. März 3014, Festspielhaus St. Pölten