Fusion der Künste im Museum. Wenn Literatur, bildende Kunst, Musik, Tanz und Schauspiel unter der Leitung von Jacqueline Kornmüller und Peter Wolf „aufspielen“, ist das Eingangsfoyer des Kunsthistorischen Museums Wien, zu Vorstellungsbeginn von „Ganymed goes Europe“, rammelvoll. Ungewöhnlich, denn abends um 19 Uhr ist sonst meist schon Stille eingekehrt in diesem ehrwürdigen Gebäude. Diesmal jedoch lockt ein Museumsbesuch die Gäste, der „alle Stückerln zu spielen“ verspricht.
Freunde der schönen Künste sitzen im Kreis auf kleinen Klappstühlen um einen Mann (Hans Dieter Knebl), der ein gefedertes Ballett-Tutu und Spitzenschuhe trägt und posiert. Er sieht aus wie ein in die Jahre gekommener Schwan aus einer Schwanensee-Ballett-Produktion. Schräg. Auf der Treppe, die zu den Ausstellungsräumen führt, sind noch weitere illustre Gestalten zugange. Sie tragen goldene Plateauschuhe und seltsame, aus der Zeit gefallene Kostüme und Überwürfe. Die Theatercodes kontrastieren und korrespondieren gleichermaßen das Erhabene des historischen Gebäudes. Die aus dem normalen Theaterumfeld gerissene, abgehobene Bühnen-Theatralik wirkt angenehm „menschenlnd“ in Anbetracht der edlen Größe der geschichtsträchtigen Mauern, die sonst so still und ehrfurchteinflößend erscheinen. Dieses Gefühl von Ehrfurcht mag wohl aus schulisch bedingten Besuchen in jüngeren Jahren herrühren, die angesichts des historischen Pomps auftauchten.
Zum Glück habe ich eine Begleitung dabei, die die Struktur des Aufführungsabends besser durchschaut als ich, Menschenmassen wirken desorientierend auf mich. Wir gehen also die Treppen nach oben und die Besucher und Besucherinnen teilen sich in vier Richtungen auf (nach farbig markierten Pfeilen!). Puh. Man hätte beinahe Klaustrophobie bekommen können. Gleich die erste Station erschließt sich nicht: Wir sind zu weit entfernt von dem Gemälde, um das sich diese Inszenierung dreht, um es betrachten zu können und jederzeit sinnerfassend hören zu können, was die aus Graz stammende Autorin Angelika Reitzer dem Schauspieler David Oberkogler in den Mund gelegt hat. Was bei uns ankommt, wirkt zusammenhanglos und lässt uns ratlos zurück. Ähnliches wird auch an anderen Stationen passieren, denn da die Performances alle von unterschiedlicher Dauer sind, kommt es vor, dass man mitten in etwas hineinplatzt. Alles andere als ideale Bedingungen. Das Aha-Erlebnis kommt erst dann, wenn die kurze Pause abgewartet wird, bis der Performer/die Performerin wieder von Neuem beginnt.
Highlights des Performance-Parcours-Abends sind: Katharina Stemberger, die das Gemälde „Judith mit dem Haupt des Holofernes“ von Carlo Saraceni bespielt, den Text dazu hat Doron Rabinovici verfasst. Es ist eines der wenigen Stücke, das textlich stärkeren Bezug zu dem Gemälde nimmt, und dieser Zusammenhang ist nötig, um nicht beliebig zu werden. In einem 30-Liter-Müllsack hat "Judith" das Haupt des Holofernes: „Wie galant die Frau Judith den Dickschädel trägt.“ Sie kann sich nicht entscheiden, ob sie Lust auf die Angst oder Angst vor der Lust haben soll und sie erzählt schneidig ihre Geschichten von einem Spiel mit dem Feuer. Hervorzuheben ist auch Peter Wolfs szenische Deutung des von Josef Winkler verfassten Gebets zu „Beweinung Christi“ von Andrea del Sarto. Vier Spielpartner nehmen dabei den Part von Flüchtlingen ein, das Objekt der Begierde ist ein EU-Reisepass. Es werden Fotos von für Einbürgerung zuständigen Ministern/Ministerinnen ins Spiel gebracht und politische Bezüge gefunden. Auch Maria Bill (Schauspiel) und Judith Aguilars (Tanz) Darstellung des Kopfes und des Körpers der Medusa kann hervorgehoben werden: „Ich, Medusa“ ist ein Text von Anna Kim zu dem Bild „Haupt der Medusa“ von Peter Paul Rubens. Ebenfalls gelungen ist die Deutung zu Albrecht Altdorfers „Lot und seine Töchter“ von Maja Haderlap, überzeugend gespielt von Frida Lovisa Hamann. Oder Sona Macdonalds Darstellung des Textes von Franz Schuh „Es ist die Hölle“.
Als man nach zwei Stunden erst die Hälfte der Inszenierungen gesehen hat, weiß man, man hätte kurzerhand manches „spritzen“ sollen. Der Abend scheint nicht dazu angelegt sein, dass man alles sehen kann. Auch bleibt der Titel „Ganymed goes Europe“ uneingelöst, ein Bezug zur griechischen Mythologie wird nicht hergestellt, zum von Zeus wegen seiner Schönheit auf den Olymp entführten Knaben Ganymed. Trotz mancher gelungener Passagen fehlt dem Abend ein einheitlicher Bogen. So wirkt manches ein wenig beliebig und in der Inszenierung zu kurz gekommen, um sich vollständig zu erschließen.
Ganymed goes Europe, Kunsthistorisches Museum Wien vom 19.3.2014, Weitere Vorstellungen: 2./9./23./30. April und 7./14./21./28.Mai 2014