Gestern war sie komplett, die zweite Besetzung nach der Wiederaufnahme von „Schwanensee“ an der Wiener Staatsoper. An der Seite der hinreißenden Liudmila Konovalova als Odette/Odile bemühte sich nun Denys Cherevychko um die Rolle des Prinzen. Als Solist technisch (fast) unanfechtbar, fehlt es ihm bei der Partnerarbeit jedoch an Kraft. Was gewagt aussehen soll, gerät zur sicher-bedächtigen Nummer.
Rudolf Nurejew revolutionierte das klassische Ballett, und befreite den Tänzer von seinem Los nur „Hebekran“ für die Ballerina zu sein (wie er es einmal launig ausdrücktee). So weit, so bekannt. Dass er mit seinen Variationen auch ein für seine Nachfolger teuflisches Erbe hinterlassen hat, ist aber immer wieder ein Thema. Im „Schwanensee“ zum Beispiel beim Adagio am Ende des ersten Aktes, das Nurejew seinerzeit für sich choreografiert hat. Damit ist selbst Denys Cherevychko, der sonst die schwierigsten Sprünge und verwegensten Drehungen sauber auf die Bühne bringt, überfordert und muss so manche Wackellandung in Kauf nehmen. In den weiteren solistischen Einlagen, die er in diesem Ballett noch zu absolvieren hat, ist er aber wieder in seiner bekannten Topform.
Abgesehen von dieser melancholischen Schlussszene ist Cherevychko im ersten Akt ein äußerst fröhlicher Jüngling, der mit Schwung die Bühne erstürmt um seinen Geburtstag zu feiern. Über das (bei näherer Betrachtung doch sonderbare) Geschenk seiner Mutter, eine Armbrust, ist er vor Freude schier aus dem Häuschen. Bei seiner Geburtstagsparty im dritten Akt wird der Konflikt mit seiner Mutter deutlich spürbar. Siegfried ringt mit sich, ob er zu seiner Schwänin stehen oder eine der von Mama eingeladenen Brautkandidatinnen akzeptieren soll (bevor ihm das Auftreten des schwarzen Schwans diese Entscheidung quasi abnimmt).
Die Partnerarbeit in „Schwanensee“ ist jedoch eine Herausforderung an die – um bei Nurejews Diktion zu bleiben – „Kran“-Fähigkeiten des Tänzers. Das verlangt Kraft und einen kräftigen Körperbau. Beides hat Cherevychko nicht, um die schwierigen Hebungen zu bewältigen. Selbst wenn seine Partnerin wie Liudmila Konovalova ein Fliegengewicht ist, hat er Probleme sie über seinen Kopf zu heben. Und sie muss auf ihren Partner Rücksicht nehmen. Wenn sie sich etwa im dritten Akt über die halbe Bühne hinweg in seine Arme schmeißen sollte, dann wird daraus ein zahmer Hupfer, wenn der Absprung wie hier erst kurz vor ihrem Partner erfolgt. Der Verzicht auf das Risiko nimmt dem Ballett jedoch die Bravour, die auch dazugehört.
Es ist bekannt, dass viele Tänzer (und Tänzerinnen) zur Zeit durch Verletzungen und Erkrankungen ausgefallen sind, doch schaut man in die zweite Reihe der Solisten, so könnte ich mir doch die eine oder andere Persönlichkeit als Prinzen vorstellen. Ballettchef Manuel Legris, der sonst durchaus mutig in seiner Besetzungspolitik ist und immer wieder Corps-TänzerInnen für Hauptrollen einsetzt, könnte auch für die Prinzenrollen ruhig einmal in die zweite (oder dritte) Reihe schauen.
Über die bestechende Rolleninterpretation von Odette/Odile durch Liudmila Konovalova hat meine Kollegin Ditta Rudle ja bereits ausführlich berichtet. Es ist wirklich erstaunlich, wie diese Tänzerin sich nach ihrer Verletzung wieder erholt und an ihrem Ausdruck gearbeitet hat. Vorbei sind die Zeiten der Manierismen und der Verkrampfungen – Konoavalova ist eine großartige, facettenreiche Tänzerin geworden, die einerseits unerschütterlich ihre Fouettés dreht und andererseits lyrische Poesie verbreitet.
Bei den Charaktertänzen glänzten an diesem Abend Ioanna Avraam und Richard Szabó in den neapolitanischen und Emilia Baranowicz und Mihail Sosnovschi in den ungarischen Tänzen besonders. Begeisternd auch wieder das Corps de ballet, das ebenso wie die SolistInnen zahlreiche Zwischenapplause hervorrief.
Andrey Teterin gab sein Rollendebut als Zauberer Rotbart. (In dieser Version verkörpert er zwar das Böse, aber die Rolle bietet wenig Möglichkeit für eine Charakterentwicklung.) Der See, in dem Siegfried am Ende ertrinken soll, ist nach wie vor ein harmloses Bacherl.
Wiener Staatsballett: „Schwanensee“ am 21. März 2014 an der Wiener Staatsoper. Weitere Termine in dieser Saison gibt es am 28. März, 6., 13. und 26. April