Moderne Passionsspiele. Wenn die Wiener Sängerknaben und der Chorus Viennensis singen, die Camerata Schulz und das Austrian Baroque Company musizieren und dazu etwa 80 LaientänzerInnen auf der Bühne tanzen, dann wird aus Bachs „Johannespassion“ ein monumentales Plädoyer für Toleranz und Vielfalt.
Die Tradition der christlichen Passionsspiele, wie sie zum Beispiel in Erl in Tirol, in St. Margarethen im Burgenland oder in Oberammergau in Bayern noch heute gepflegt wird, erhält mit dieser Produktion der „Johannespassion“ im MuTh eine urbane und heutige Dimension. In der Choreografie von Monica Delgadillo Aguilar wird natürlich nicht der Leidensweg Christi von der Verurteilung bis zum Tod Jesus’, wie sie im Text der „Johannespassion“ erzählt wird, szenisch dargestellt. Vielmehr filtert sie die Emotionen, die der Messias-Geschichte zugrunde liegen, heraus.
In dieser riesigen Tänzerschar haben alle Platz: jung und alt, Männer und Frauen, Behinderte und Nicht-Behinderte und sie alle sind empathisch miteinander verbunden – ob sie nun einander in Zweierbegegnungen oder in der Gruppe Halt geben, mit einfachen Gesten tänzerisch kommunizieren oder sich immer wieder zu Linien, Kreisen oder Clustern formieren. Gleichzeitig ist diese Choreografie aber fern von sentimentalem Pathos. Monica Delgadillo Aguilar (choreografische Assistenz: Sayed Labib) hat die Latte der Professionalität sehr hoch gelegt und innerhalb von 4 Wochen (schon das ähnelt einem Osterwunder!) ihre TänzerInnen auf Präzision eingeschworen. Hier tanzt niemand aus der Reihe. Die aus Mexiko stammende, ausgebildete Balletttänzerin und künstlerische Leiterin der Caritas-Initiative „Tanz die Toleranz“ verbindet die künstlerische Disziplin ihrer Sparte mit einer modernen, (welt-)offenen Auffassung von Tanzbewegung. Das Ergebnis zeigt: Die Anmut des Tanzes ist so vielfältig wie ihre Ausführenden.
Markus Kuscher hat bei den Kostümen auf farblich Harmonie in rot, orange und grau geachtet. Das Bühnenbild besteht aus Projektionen mit Ausschnitten aus dem Osterteppich des Klosters Lüne – die Zerstückelung fügt eine weitere abstrakte Ebene zum biblischen Narrativ.
Das alles passiert in großartigem Einklang mit der Musik von Johann Sebastian Bach. Gerald Wirth, künstlerischer Leiter und Präsident der Wiener Sängerknaben steht selbst am Pult und dirigiert Orchester, Sänger und Chor überaus einsatzfreudig, mittanzend und mitsingend. Die Solisten sind hervorragend und wortdeutlich, allen voran der Tenor Gernot Heinrich und der Bassist Sepp Strobl.
Ein berührender Abend, den alle Beteiligten mit sehr viel Enthusiasmus, Engagement und Können zum Erfolg geführt haben.
„Johannespassion“ am 4. April 2014 im MuTh, weitere Vorstellungen am 5. April sowie für Schulen am 8. und 9. April