Zwei ganz unterschiedliche Tanzstücke hat Enrique Gasa Valga, Leiter der Tanzcompany am Tiroler Landestheater, zu einem Uraufführungsabend zusammengespannt, der ebenso gut „Dies und Das“ wie eben „Salt and Pepper“ heißen könnte. Jedenfalls zeigten Marie Stockhausen und Natalia Horecna wie weit der Bogen des zeitgenössischen Balletts gespannt ist.
Zuerst Marie Stockhausen mit Heimvorteil. Die in Berlin geborene Tänzerin hat auf einigen Bühnen in Deutschland getanzt, in Filmen und Fernsehspielen mitgewirkt und auch schon choreografiert, bevor sie als Solotänzerin an das Tiroler Landestheater in Innsbruck engagiert worden ist. Seitdem hat sie sowohl für Erwachsene wie für Kinder choreografiert. „Aufwind“ ist ihre neueste Kreation, die sie mit vier Tänzerinnen und vier Tänzern der bestens konditionierten Compagnie zeigt. Klassisch in doppeltem Sinn: Sowohl inhaltlich wie in den Bewegungen wunderbar ausbalanciert und ausgewogen, geht es um das Auf und Ab der Gefühle. Solos wechseln mit schwungvollen Hebefiguren in den Pas de deux, negative Gefühle machen den positiven Platz. Stockhausen geht von Gedichten und Briefen Rainer Maria Rilkes aus, bleibt bei gebremster Romantik und klassischer Ausgewogenheit. Andrea Kuprian hat eine interessante Lösung für die kleine Bühne in den Kammerspielen gefunden, indem sie ein dunkles Paneel zugleich als schräges Dach und flexible Wand mit Fenstern und Türen einsetzt. Mitunter hebt sich die Wand und gibt den Blick auf das weite Land, das auch bei Rilke die Seele ist, frei. Stockhausen kennt ihre KollegInnen und setzt sie wunderbar ein, doch bietet sie mehr ein Wohlfühlprogramm als aufregend Neues.
Dafür sorgt nach der Pause Natalia Horecna, die mit „Contra Clockwise Witness“ bereits des Wiener Ballettpublikum erobert hat.
Ausgewogenheit ist nicht das Ziel der jungen Choreografin, die ihre Finger gern in Wunden legt und auch die dunklen Stellen in der Seelenlandschaft aufdecken will. „Denn“, so meint sie „auch die negativen Seiten gehören zum Menschen, sie sind unsere Lehrer und erst wenn wir sie erkennen und anerkennen, können wir davon profitieren.“ So nennt Horecna ihr für das TLT geschaffene Tanzstück „ It’s Black Nature“. Im Kern gibt es eine Vater-Tochter-Beziehungsgeschichte, doch Horecna erzählt niemals entlang eines roten Fadens, sondern breitet ihre sprudelnden Einfälle quasi alle gleichzeitig aus und zwingt das Publikum sich auf ihre Choreografien unmittelbar einzulassen und sie zu nehmen wie das Leben, als ein sich ständig in Schieflage drehendes Karussell voller Überraschungen. So wuseln Detektive in gelben Mänteln und kurzen Hosen samt dem Briefträger, der einem shakespearschen Narren gleicht, ebenso über die Bühne wie verrückte Krankenschwestern oder Jin & Jan Man, samt Jin & Jan Girl. Dazwischen gibt es völlig ruhige Passagen , in denen nicht nur die mit Horecnas Stil voll sichtlicher Freude zurechtkommenden TänzerInnen etwas zur Ruhe kommen sondern auch das geforderte Publikum.
Obwohl Natalia Horecna mit ihrer „schmutzigen Neoklassik“ (Eigendefinition) auch inhaltliche Anliegen transportiert, ist sie niemals belehrend oder manipulativ, sondern immer überaus unterhaltsam, klug und authentisch. Mit den Einschüben von schwarzem Humor, mit ihrem breit gefächertem Musikgeschmack und den von ihr entworfenen Kostümen versteht Horecna es, ihr Publikum einzufangen, ohne ihr künstlerisches Credo zu verraten. Das Innsbrucker Premierenpublikum zeigte sich beeindruckt. Der heftige Applaus galt sowohl dem Ensemble als auch der Gastchoreografin.
"Salt & Pepper" Tanzstücke von Marie Stockhausen & Natalia Horecna, Tiroler Landestheater Innsbruck, Kammerspiele. Uraufführung am 13. April 2014.