Zur Einstimmung in den theoretischen Teil des Projekts „Swaying“ im Tanzquartier zeigten Jurij Konjar und Michael Turinsky je ein Solo. „Goldberg Variations“ von Konjar und „heteronomous male“ von Turinsky zeigten beeindruckend, wie Recht der Begründer der Bewegung „DanceAbility“, Alito Alessi, hat, wenn er behauptet: „Jeder Körper ist ein Tanzkörper“.
Die Bühne liegt im Dämmerlicht, aus den Lautsprechern ertönt Johann Sebastian Bach, leicht zu erkennen, Glenn Gould spielt die „Goldbergvariationen“. Aus dem dunklen Hintergrund löst sich ein Mann, barfuß betritt er die Bühne und beginnt sich der Musik hinzugeben, lässt seinen Körper von Bach /Gould leiten. Wien in Trance bewegt sich der Tänzer, in Trance versunken erlebt ihn das Publikum.
Paxton revisited. Der aus Ljubljana stammende Tänzer und Choreograf Jurij Konjar hat seine Ausbildung am Studienzentrum P.A.R.T.S in Brüssel absolviert und später mit Les Balletts C. de la B. gearbeitet. Nach einer Kopfverletzung begann er sich intensiv mit dem Video von Steve Paxtons legendärer Improvisation zu J. S. Bachs „Goldbergvariationen“ (eingespielt von Glenn Gould) zu beschäftigen und das vorhandene Bewegungsmaterial zu bearbeiten. Er „begann zu praktizieren, wegzulassen, Lücken zu füllen, die Essens hinter der Form zu suchen.“ Wie oft der exzellente Tänzer seinen Pas de deux mit der Musik in aller Welt gezeigt hat, ist kaum nachzuvollziehen. In Wien zeigte er das spannende und auch tief emotionale Stück 2011 zum ersten Mal im Leopold-Museum, Patina hat die Performance 2015 dennoch nicht erhalten. Spontan, frisch und bewusst setzt Konjar seine sehr weichen Bewegungen, dreht sich um eine schräge Achse und hebt die Arme in expressionistischen Gebärden. Nicht zur Musik tanzt da ein Mann, der immer wieder den Kopf schief legt, sondern mit der Musik. Auch wenn Konjar ein Jahr lang täglich das ganze Stück geübt hat, sehen wir keine sterile gut geprobte Aufführung, sondern Bewegung, Ausdruck, Emotion, die im Augenblick entstehen und nie mehr wieder so sein werden. Dieses Hier und Jetzt, nur hier und jetzt, macht traurig und glücklich zugleich. Gould schlägt brummend die letzten Takte an, Konjar ist im Dunklen verschwunden, hat sich aufgelöst als wäre er gar nie hier gewesen.?
Rutschen und Rollen. Mit einem Knall wird Michael Turinsky aus dem Rollstuhl gekippt. Als hilfloser Käfer liegt er auf dem Rücken, muss über sich hinauswachsen, alle seine Kräfte sammeln, um sich umzudrehen, auf die Knie zu kommen, damit er sich fortbewegen kann. Der Philosoph, Choreograf und Tänzer ist seit Geburt körperbehindert, eingeschränkt in seinen Bewegungen, in seinem Leben. Diese Beschränkungen sind auch das Thema seines Solos „heteronomous male“ über den heteronomen (abhängigen) Mann.?
Kriechend und rollend, auf den Knien rutschend bewegt sich der Tänzer aus dem gekippten Rollstuhl zu seinem Arbeitstisch. Auf Englisch erklärt er, nur mühsam artikulierend, worum es ihm geht: Um den eingeschränkten Körper und dessen künstlerische Praxis. Nach dem humorvollen kleinen Vortrag, begibt sich Turinsky wieder auf den Boden (der Tatsachen) und zeigt mit äußerster Disziplin, indem er die vom schwachen Körper gesetzten Grenzen immer wieder überschreitet, dass ein Tänzer nicht der Vertikalen verpflichtet ist. Auch horizontal, liegend, rutschend, rollend kann Bewegung, Ausdruck, Emotion, (zitiere mich) vermittelt werden. Mit Ausdrucksstärke und Authentizität beweist Michael Turinsky, dass es keine Norm für den tanzenden Körper gibt (geben darf).
Michael Turinsky / Jurij Konjar: Doppelabend im Rahmen von Swaying, 26. Februar 2015, Tanzquartier.
Weitere Veranstaltungen: 27. 2., 18 Uhr Tanzquartier Studios: „TAB, temporarily abled bodies“: Lecture Performances. ?28. 2. 2015, Halle G: „Time and Desire“, Performance, erarbeitet von zwölf Menschen unterschiedlicher Körper, Herkunft und Erfahrung.
Swaying – non-aligned bodies and contemporary performance, ist eine Initiative von MAD Coproductions.