In einem prall gefüllten Programm verfolgte das Internationale Szene Bunte Wähne Tanzfestival für junges Publikum fünf Tage lang den „Traum vom Fliegen“. Das Grips Theater aus Berlin beflügelte die Fantasie der kleinsten ZuseherInnen, die vier Männer von Nevski Prospekt träumten sich aus dem Alltagstrott, den Burschen des Danstheater Aya erschien die Traumfrau und das Grazer Mezzanin Theater realisiert den Traum von Ruhm und Anerkennung in einer speziellen Freundschaft … Doch neben diesen Höhenflügen gab es auch einige Abstürze.
Fantasieträume. In der verträumt-verschrobenen Inszenierung „Adams Welt“ des legendären Berliner Grips Theaters wird das Kind Adam vom Ältesten der vier DarstellerInnen gespielt. Nachdem es von den dauernden Belehrungen und Anweisungen der Erwachsenen die Nase voll hat, wird es von drei GefährtInnen in eine Traumwelt begleitet. Mit Musik, Tanz , Schauspiel und Objekten kreieren sie ein Universum voll wunderlicher Kreaturen, begeben sich auf eine Bootsfahrt oder eine Unterwasser-Expedition – bereitwillig machen sich die kleinen ZuseherInnen ihren eigenen Reim auf die Fantasiegestalten und pantomimischen Darstellungen. Nach einer Weile will Adam, der sich anfangs von zu Hause fortgewünscht hat, doch wieder dorthin zurück. Mit leisem Bedauern verlässt er an der Hand seiner Eltern sein Traumland. Regie führte bei diesem bezaubernden Stück für Kinder ab 1,5 Jahren der belgische Theatermacher Gregory Caers, der auch als Mitglied von Nevski Prospekt beim offiziellen Eröffnungsstück mitwirkte.
Liebesträume. Mit einer exakt getimten Slapstick Performance nimmt Nevski Prospekt aus Gent die alltägliche Routine aufs Korn. Vier Beamte sind immer wieder im gleichen Trott eingespannt. In der überfüllten U-Bahn zur Arbeit, im voll gestopften Lift ins Büro, Akten von einer Abteilung in die andere schleppen, lesen, abstempeln, ablegen, Mittagspause, Fitness-Training, schlafen. Tagein, tagaus, immer dasselbe, immer schön ordentlich. Doch dann tanzt einer aus der Reihe – eine Opernarie reißt ihn aus dem Trott. (Oder ist es gar die Liebe?) Er kommt zu spät, bricht den routinierten Ablauf und irritiert damit seine Kollegen, die nun aber ihrerseits eigene Interessen entdecken. Schließlich wird sogar ein Fenster geöffnet und der Sturm stürzt die heile, sichere Welt ins Chaos. Die vier Männer, darunter der bekannte Regisseur und Choreograf für Jugendtheater Ives Thuwis, sind großartige Comediens, die diese Farce zwischen Schauspiel, Pantomime und Tanz präzise auf die Bühne bringen. „Tramway, Trott & Tiefkühlfisch/Nine to Five“ ist eine intelligente, rasante und sehr unterhaltsame Slapstick-Show mit einer poetischer Aussage, deren Witz wohl bei Menschen jeden Alters zündet.
Fata Morgana. „Nicht zu stoppen“ war das niederländische Danstheater Aya – und die ausgezeichneten TänzerInnen erfüllten das Festival-Motto im doppelten Wortsinn. In der Choreografie von Erik Kaiel in unterschiedlichen Urban Styles fliegen die zwei Burschen förmlich über die Bühne, als sie ihre abgeschlossene Welt verlassen. (Sie entsteigen je einem der Kopfhörer, die das Bühnenbild darstellen). Die Eigenbrötler können anfangs nur wenig miteinander anfangen. Der Eine (Thami Fischer) ist freundlich, wendig und schüchtern, der Andere gebärt sich als aggressiver Macho. Sie fordern einander heraus und fechten ihre Konflikte in Hip Hop-Battles aus. Als sich so etwas wie Freundschaft zwischen den beiden abzeichnet – taucht SIE plötzlich wie eine Fata Morgana auf. Die unbekannte Schönheit (Nicole Geertruida) zieht die beiden ganz in den Bann – zu dritt tanzen sie in einen gemeinsamen Traum.
Ruhmesträume. Einen ganz anderen Traum verfolgte das Grazer Mezzanin Theater. Yukie, die Tänzerin, ist verletzt. Trotz eingegipstem Bein beginnt sie zu trainieren, denn bald hat sie ja ihren großen Auftritt. Doch es klappt nicht – immer wieder fällt sie von der Spitze und bricht unter Schmerzen zusammen. Da kommt Erwin, pardon, Jackie Chan, in ihr Zimmer. Wenn er Jackie Chan ist, dann ist sie Sylvie Guillem, nicht Japanerin, sondern Französin. Beide sind jedenfalls stark, mutig und berühmt. Er versucht mit ihr ins Gespräch zu kommen, doch die zickige Tänzerin ist irritiert und will von diesem Kampfsportler gar nichts wissen. Sie schimpft auf japanisch auf ihn ein und wirft ihm alles an den Kopf, was herumliegt. Er erwidert ihre Ausbrüche mit stoischer Gelassenheit. Bis Yukie erkennt, dass der scheinbar sorglose Erwin seine eigene Krankheit vor ihr zu verbergen sucht. Nun beginnt eine vorsichtige Annäherung zwischen den beiden. Er lernt Ballett, sie versucht sich in Kung Fu. Und als es brenzlig wird, können sie sich aufeinander verlassen … Hanni Westphal bewies bei ihrer Regie viel Empathie und Humor. Das ungleiche Paar – die (klassische) Ballerina Yukie Koji und Erwin Slepcevic, der Schauspieler mit Down Syndrom – agiert in außergewöhnlicher Harmonie und spielt sich mit Charme schnell in die Herzen des Publikums.
Flugversagen. Doch nicht alle Vorstellungen konnten überzeugten. Die „Flugversuche“ des Agora Theaters aus Belgien scheiterten nicht nur am flugtechnischen Unvermögen der Engel, die die Menschen bis in den Tod begleiten. Die DarstellerInnen sind mit dem Multitasking – musizieren, tanzen, spielen, reden und mit Objekten hantieren – schlicht überfordert. Den sterbenden Schwan zu mimen, ohne tanzen zu können oder Akkordeon zu spielen, ohne die einfachsten Melodien zu beherrschen, funktioniert nicht. Und so wurde das textlastige Stück über Engel bald zu einer lahmen Ente.
Windböen. Das „Spiel mit dem Wind“ von Simone Kühle war angeblich ein „Spiel mit der Absurdität“, entpuppte sich aber als eine sehr unentschlossene Sache. Hier wusste man nicht, ober Dilettantismus beabsichtigt ist oder nicht. In jedem Fall fehlte es am roten Faden, um die simplen choreografischen Ideen, ihre halbherzige Ausführung und die abstrusen Textsplitter zusammenzuführen. Auch erschließt sich die Idee mit dem Ventilator, der kalten Wind auf die Bühne (und in den Zuschauerraum) bläst, nicht, wenn die Tänzerinnen den Widerstand nicht glaubhaft ver-körpern können. Am Ende bauen die vier ein Windrad aus Besen, Matten und Halterungen zusammen, das sie selbst bewegen. Ist das patscherte Gesuche nach den Einzelteilen nun Teil der Performance oder haben die vier ihre Requisiten tatsächlich nicht im Griff? Die Antwort darauf bleiben sie schuldig.
Dingsbums. Auch bei „Das ist ja ein Ding“ der MakeMake Produktionen aus Wien (Choreografie: Martina Rösler) vermisste man den Fokus. Interessante Ansätzen (die kompakten Formen, zu denen die TänzerInnen erstarren oder die Soundexperimente des Musikers) werden zugunsten neuer Ideen bald verworfen. Dann werden Dinge aufgezählt, vom Thing erzählt. Am Ende kommen endlich auch Dinge, die bis dahin nur wortreich vorkamen, zum Einsatz: Styroporbälle wabbern auf die Bühne, die die DarstellerInnen im Bühnenbild aus Pappkartons verstauen. Erwartungsgemäß wird das Kartonregal zum Einsturz gebracht, aber da hatte das „Ding“-Stück schon längst seine Form verloren.
18. Internationales Szene bunte Wähne Tanzfestival für junges Publikum, 26. Febraur bis 3. März 2015 im Dschungel und WUK