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osterf jerusalemAus dem Zyklus „Holozän“, einer Serie von Stadtporträts, zeigte das Künstlerkollektiv Berlin den zweiten Besuch in Jerusalem als performative Video-Installation im Salzlager von Hall i. T. 2003 schon besuchte Berlin zum Auftakt von „Holozän“ die geteilte Stadt, um mit BewohnerInnen zu sprechen, zehn Jahre später wiederholten sie den Besuch und aktualisierten das Porträt. Das Fazit ist traurig: Es wird schlimmer und schlimmer.

Berlin, 2003 in Amsterdam von Bart Baele und Yves Degryse gegründet, entzieht sich jeglicher Genre-Typisierung. Das Kollektiv arbeitet an der Schnittstelle zwischen Medienkunst und Performance und verbindet intensive Recherche und sachliche Dokumentation mit fesselnden Video-Theater-Aufführungen. Für die Serie "Holozän" war das Team in Jerusalem, Iqaluit (Kanada), Bonanza (Nicaragua) und Moskau. Die Videoperformance „Jerusalem [Holocene # 1.2]" ist eine intensive Dokumentation, auf einer dreigeteilten Videowand aufbereitet. Zwei zusätzliche Monitore erlauben es, nie geführte Gespräche zu simulieren, die besonders deutlich machen, dass die Kontrahenten (Israelis und Palästinenser etwa) einander nicht zuhören, lediglich ihre Gebetsmühlen drehen und auf den unverrückbaren Standpunkten beharren. Während auf den großen Monitoren die Köpfe der Befragten erscheinen, folgt man der Kamera, die durch die Altstadt von Jerusalem fährt, an der Klagemauer oder vor der Al Aqsa Moschee verharrt, den Sonnenaufgang abwartet und den Alltag einfängt. Begleitet wird die fesselnde Performance von einem die in vielen Aussagen vorhandene Aggression beklemmend hörbar machendem Quartett: Katelijn Van Kerckhoven, Violoncello, Ewoud Huygens, Oud, Peter Van Laerhoven, Gitarre, Saz und Eric Thielemans am tonangebenden Schlagzeug. Eine überaus eindrucksvolle Stunde, technisch ebenso perfekt inszeniert wie inhaltlich ergreifend, niederschmetternd. Beruhigend einzig die Tatsache, dass ich als Außenstehende, Ahnungslose, auf Nachrichten aus zweiter Hand Angewiesene, keine Stellung beziehen muss, gar nicht darf.

Lachen und sich wundern darf man hingegen während des Besuchs des installativen Spiels „Perhaps all the dragons. Horror Vacui # 3“. Auch diese Videoinstallation stammt aus einer unlimitiert geplanten Serie von Berlin: „Horror Vacui“, „die Angst vor der Leere“, die mit „tagfish“ Premiere gefeiert hat. Der Titel dieses dritten Teils bezieht sich auf ein paar Briefzeilen von Rainer Maria Rilke: „Vielleicht sind alle Drachen unseres Lebens Prinzessinnen,…“ osterf allthedragons2

Auf 30 kunstvoll in einer Holzarchitektur angeordneten Videoschirmen erzählen 30 Menschen aus 30 Ecken der Welt 30 außergewöhnliche, nahezu unglaubliche Geschichten. Jeder Gast bekommt fünf davon zu hören und die Erzählenden zu sehen. Mitunter steigen die MitspielerInnen aus dem Dialog mit ihren ZuhörerInnen aus und wenden sich einander zu, horchen der geschmetterten Arie aus „Carmen“ zu, lassen sich von einem schreienden Teenager irritieren. Als wäre nichts geschehen, wenden sie sich dann wieder ihrem lebendigen Gegenüber zu, schauen ihm vom Monitor aus direkt in die Augen. Hinter all diesen Geschichten steht die Erkenntnis, dass die Welt klein ist und immer weiter schrumpft. Schon vor vielen Jahren hat ein Experiment bewiesen, dass ein beliebiger Mensch lediglich neun direkte Kontakte benötigt, um jeden anderen Menschen an jeglichem Ort zu erreichen. Berlin meint sogar, es seien nur sechs Schritte nötig, um einen persönlichen Kontakt zur Zielperson herzustellen. Wie auch immer, die Geschichten sind spannend, lustig, erstaunlich, man muss nur zuhören können und sich inmitten der Kakophonie aus 30 Stimmen und 16 Sprachen konzentrieren, um das erzählende Gegenüber auf dem Monitor nicht im Stich zu lassen.

Berlin: „Perhaps all the dragons. Horror Vacui [# 3]“, 20.3. 2015,
„Jerusalem [Holocene # 1.2]“ 22.3. Salzlager im Rahmen von Osterfestival Tirol 2015
„Perhaps all the dragons …“ ist übrigens auch bei den Wiener Festwochen zu sehen. 16.–24.Mai 2015, Festwochenzentrum / Künstlerhaus.

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