Leonie Humitsch hat mit ihrem Team eva & eva die überarbeitete Fassung von “imprinting” aus dem Jahr 2014 in Spittal an der Drau erfolgreich auf die Bühne gebracht. eva & eva hat sich der drängenden Frage der Landflucht gestellt und eine qualitative Online-Umfrage gestartet, die als Grundlage für die Neubearbeitung ihrer multimedialen Tanzperformance dient – hochwertig begleitet von einer Fotografie-Ausstellung großformatiger Landschaften und Tanzfotos des jungen Fotografen Sam Strauss.
Die aufgelassene Fabrikhalle, hinter dem Fluss, bietet ein Ambiente, das jeder Großstadt würdig wäre. Beim Betreten der Halle wandert man durch eine Allee frei schwebender Bilder. Sie alle sind käuflich erhältlich, der Reinerlös geht an das Flüchtlingslager Krumpendorf. Dann erst erreicht man Zuschauerraum und Bühne. Ästhetisch sieht das nicht nur cool aus. Es ist es auch. Die dem Stück zugrunde liegenden Fragen möchte man fast Lügen strafen. Doch es geht um Ernstes: Warum verlassen junge Menschen Kärnten? Wer kommt wieder? Wer nicht? Und was sind die Gründe dafür, trotz Heimatliebe und Sehnsucht, Entscheidungen gegen ein Bleiben in diesem merkwürdig schönen Bundesland zu fällen? Drängende Fragen, die sich hier junge Familien ebenso wie die Wirtschaft und jede Gemeinde stellen muss, deren Kindergarten von der Schließung bedroht ist, weil nicht genug Kinder im Ort leben.
Gespannt verfolgten geschätzt 170 Menschen im Publikum die Interaktion von Tanz, Live Musik, Bodypainting und Projektion. Landschaftsaufnahmen und Zitate aus der Umfrage scheinen auf und verglimmen als Schriftbilder. Sie sind der Kern um den herum sich unbemüht die Kunst entwickelt. Manche dieser Statements lassen schmunzeln, andere stimmen spürbar nachdenklich.
In einem aufwändigen Set aus Kubus, hängenden Projektionsflächen, Musikinstrumenten, Kabeln und Rollrasen, agiert die Tänzerin Leonie Humitsch im Kosmos der alten Volpinihalle; dramaturgisch klug strukturiert, szenisch umrahmt und künstlerisch getragen durch die Live Musik der eva & eva Musiker Paul Neidhardt und Markus Rainze.
Tanz und Bodypainting (Desirée Berghold-Wieser) eröffnen den Abend. Es ist ein berührendes Entrée zweier Parallelwelten, die da miteinander agieren. Jede bleibt vorsichtig und bei sich, als wolle sie die andere nicht stören. Langsam und in ständig wandelnder Form drehen sie sich als Skulptur um einen unsichtbaren Mittelpunkt. Spannungsvoll bietet der Körper der Tänzerin Fläche für die dynamische Beschreibung des Pinsels: ein eigenartiges, poetisches Duett entsteht, ein intensives Bild von Einschreibung und Selbstvergewisserung – mit das Stärkste dieses in sich gelungenen Abends.
Als müsse eine schützende Haut über die wahre, eben geheimnisvoll beschriebene gezogen, die ureigenen Sehnsüchte versteckt werden, wird Alltagskleidung angelegt, bevor der Tanz auf eng begrenztem heimatlichen Boden – witzig, eine Bahn grüner Rollrasen – beginnt. Die Purheit des eigenen Körpers ist zu fragil, um sie dem Alltag, dem Zuhause in der Welt auszusetzen. So scheint es. Daraus entsteht jedoch kein Drama. Der begrenzte Raum der Heimat wird ebenso lapidar wieder eingerollt wie er ausgerollt wurde, die Tänzerin entledigt sich der Kleidung und wird äußerlich wieder die, die sie vorher war. Doch eben Durchlebtes hat Spuren hinterlassen. Die Einschreibungen erzeugen Unbehagen, sie werden dynamisch verwischt durch den an die Rückwand des Kubus knallenden Körper. Die so erzeugten Schläge werden durch Mikrofone verstärkt, das Visuelle und das Akustische verschmelzen, Ursache und Wirkung liegen nah beieinander.
Immer wieder scheinen Zitate auf und fokussieren das Geschehen, geben dem Tanz eine zusätzliche inhaltliche Komponente. Die Schlusssequenz wird begleitet von Statements, die kaum ein gutes Haar an der „Heimat Kärnten“ lassen. Resignation über die starre geistige Enge und mangelnde berufliche Möglichkeiten werden hier vermehrt thematisiert. Den sich verdichtenden Inhalten steht die Repetition der Bewegung, eine beständige Öffnung des Körpers, eine fortlaufende Schwingung des Torsos im ausklingenden Licht als tänzerisches Bild zur Seite. Eine Lösung ist nicht in Sicht. Strukturen entstehen, verändern sich und vergehen. Fast unmerklich, unaufgeregt und unaufhaltsam.
Souverän auch die musikalische Komposition. Gewohnt packend musizieren Paul Neidhardt und Markus Rainze. Sie erzeugen sphärische Klangteppiche, vibrierend tiefe Sounds, Arrangements, die sich beständig wandeln. Thematisch dem Tanz angelehnt, ihn aber nie doppelnd. Manch jazzig anmutende Melodie wird geloopt, darauf Neues addiert, immer zu wieder Neuem transformiert. Manche Sequenz erinnert an Volkslieder, doch kaum taucht dieser Gedanke auf, hat sich die Musik bereits organisch weiter entwickelt, wabert ein frischer Cluster durch den Raum.
„imprinting“ ist eine ambitionierte Produktion mit Anliegen, die weit über die reine Tanz-Performance mit Live Musik hinausgeht. Die ehemalige Fabrikhalle wurde von eva & eva in einen funktionalen Theaterraum mit urbanem Ambiente verzaubert. Es gab Buffet, Getränke und viel Raum für Gespräche in lauer Sommernacht. Der Reinerlös der zum Verkauf gebotenen Fotografien (elf von zwölf) geht nun zu 100 % an das Flüchtlingslager in Krumpendorf. Auch das ist ein Erfolg. Eine tatkräftige Re-Aktion auf das Zeitgeschehen.
eva & eva hat Konsequenzen aus dem traurigen Tenor ihrer Online Umfrage gezogen. Das Kollektiv hat die Perspektivlosigkeit im Lande wahrgenommen, sich zum Thema gemacht und ihr etwas entgegengesetzt: ein Kunstkonzept, Eigen-Sinn und Selbstmanagement. Eine Fähigkeit, die Kärnten dringend braucht.
eva & eva, der Verein für zeitgenössische Tanzprojekte hat sich selbst Gelegenheit und Handlungsspielraum erschaffen, beides am Schopf gepackt und gemeinsam an einem Strang gezogen – solange, bis das Ding gedreht war.
Das Publikum hat es ihnen verdient mit begeisterten Standing Ovations gedankt.
“Imprinting”, Tanzperformance und Fotografie-Ausstellung von eva & eva, Verein für zeitgenössische Tanzprojekte in der alten Volpinihalle in Spittal an der Drau / Kärnten am 14. August 2015