Einen opulenten Saison-Auftakt bereitete sich das Festspielhaus St. Pölten mit „Continu“ von Sasha Waltz. Erstmals wurde das Werk mit einem Live-Orchester auf die Bühne gebracht, das residente Tonkünstler-Orchester Niederösterreich unter der Leitung von Pietari Inkinen interpretierte die Musik von Edgar Varèse, Claude Vivier und Mozart. Sasha Waltzs Choreografie setzte dem gewaltigen Klang stimmungsvolle Bilder entgegen, die vor allem in den Ensembleszenen ihre Wirkung entfalten.
In ihrer eleganten Unnahbarkeit bewegen sich die sechs Frauen, als ob sie eine Vorahnung dessen verkünden wollten, was da kommen wird. Wie ein boshafer Dämon erscheint dagegen Robyn Schulkowskys, die mit ungebremsten Körpereinsatz ihre Schlaginstrumente zum Score von Iannis Xenakis bearbeitet und die Frauen anzufeuern scheint. Doch diese verfolgen ihren eigenen Modus, bleiben rätselhaft, archaisch und betörend schön. Ein geheimnisvoller Einstieg, bevor die Masse auf die Bühne stürmt: Der stahlgraue Raum wird zum Container ohne Ausgang. Keine der Wände gibt dem Druck der Hände nach, die nach verborgenen Türen tasten. Die aktuellen News-Bilder von verzweifelten, Hilfe suchenden Flüchtlingen drängt sich unwillkürlich auf. Immer wieder lösen sich Individuen aus dem Masse, entstehen Duos, die Liebe, Genuss und Zärtlichkeit verkörpern. Doch zu Edgar Varèses Monumentalkomposition für großes Orchester „Arcana“ wird der Druck der Masse zunehmend gewaltig. Hoffnung kommt auf, als sich die Oberlichte auf der Rückseite des Stahlcontainers öffnet – doch sie bietet keinen Ausweg, sondern gibt lediglich den Blick auf das Bläserensemble frei, das nun Varèses „Hyperism“ intoniert. Auf der Bühne werden die körperlichen Auseinandersetzungen härter. In den Ensembleszenen manifestiert sich auch der Bewegungsstil der Berliner Choreografin am Besten – die Gesten zeigen die Tendenz an, werden aber nie vollkommen synchron ausgeführt. So wirken sie spontan und lebendig, unstylisiert. Bis sich einer zum Kommandanten erklärt und eine Massenerschießung befehligt. Nachdem einer nach dem anderen zu Boden gegangen ist, staksen der Exekutor und ein Überlebender wie verloren durch den Leichenhaufen, um schließlich in Panik davon zu laufen – welch treffende Metapher für unsere Geschichte.
Aus diesem Alptraum wird das Publikum in die Pause entlassen. Wenn es zurück kommt, wird es an diese Erfahrung nicht anknüofen können, denn der Titel stimmt einfach nicht. „Continu“, so die Choreografin, soll auf die Kontinuität des Schaffensprozesses verweisen. Dieser begann mit zwei Museumsprojekten im Neuem Museum Berlin und MAXXI in Rom, setzte sich dann in einer Bühnenversion fort, die ebenfalls immer weiter überarbeitet wird und erreichte nun mit der erstmaligen Aufführung mit einem live Orchester einen neuen Höhepunkt.
Doch inhaltlich ist „Continu“ in zwei klare Teile gegliedert, deren Zusammenhang sich dem Zuschauer nicht erschließt. Dem ersten, „schwarzen Teil“, mit seiner sich ständig steigernden überwältigender Bilderflut, hat der zweite „weiße Teil“ nichts hinzuzufügen. Der Tanz bleibt abstrakt, Assoziationen stellen sich nur stellenweise ein – der Kylian-artige Pas de deux am Ende könnte höchstens auf eine jenseitige Erlösung verweisen. Wobei fraglich ist, dass Sasha Waltz derartig esoterische Spekulationen vorhatte. Denn bei aller Freiheit der Interpretation, die ihre starken Bilder evoziert, ist ihr Tanztheater nicht narrativ, sondern den Tanzingredienzien Raum, Musik und Bewegung verpflichtet.
Sasha Waltz & Guests, Tonkünstler-orchester Niederösterreich: „Continu“ am 26. September im Festspielhaus St. Pölten
Anmerkung: Sasha Waltz & Guests zeigen am 15. & 16. Oktober „Körper“ im Tanzquartier Wien