Triumph für Manuel Legris und sein choreografisches Debut. Mit einer spritzigen Choreografie, einem verständlichen Libretto, stimmigen musikalischen Arrangements, einer geschmackvollen Ausstattung sowie den tollen tänzerischen Leistungen des Wiener Staatsballetts wurde dieser historisch zu bezeichnende Abend ein durchschlagender Erfolg. In der Osterwoche dominiert „Le Corsaire“ – in unterschiedlichen Besetzungen – den Spielplan im Haus am Ring.
Bei seinem choreografischen Erstlingswerk sieht sich Manuel Legris keiner der vielen realisierten Versionen des Balletts verpflichtet und schreibt mit sicherer Hand die Aufführungspraxis von „Le Corsaire“ weiter. Dabei legt er erstaunliches Selbstbewusstsein an den Tag, ist er doch ganz nach seinen persönlichen Vorlieben vorgegangen: Pas de deux, Soli und Gruppenszenen strahlen Harmonie ganz im Sinne der danse d’école aus und verführen mit ihrer klassischen Eleganz und Musikalität.
Die Geschichte von Liebe, Verrat, Befreiung und Rache hat Manuel Legris zusammen mit dem Librettisten Jean François Vazelle in klaren und logischen Handlungssträngen gebündelt. Auch ohne Lektüre der Inhaltsangabe kann man der Geschichte mühelos folgen (was bei anderen Versionen und Balletten mitunter gar nicht so einfach ist). Selbst die aus dem Handlungszusammenhang gerissene Variationen des „jardin animé“ von Marius Petipa im Stil eines ballet blanc (neben dem Grand Pas de deux die bekannteste Szene), baut Legris geschickt als Traum von Seyd Pascha ein.
Der Plot im Zeitraffer (sehr frei nach „The Corsair“, einem Märchen in Versen von Lord Byron): Held der Geschichte ist der Seeräuber Conrad, der sich in die vom Sklavenhändler Laquedem gefangen genommene Médora verliebt. Doch Laquedem erwartet sich von Seyd Pascha einen besseren Preis und verkauft diesem seinen neuen „Fang“, zu dem auch die schöne Gulnare gehört, im Doppelpack. Conrad holt sich seine Geliebte zurück und entlässt auf ihre Bitte hin seine Sklaven in die Freiheit. Damit macht er sich jedoch seine Gefährten unter der Führerschaft von Birbanto zu Todfeinden. Conrad wird betäubt, Médora verhindert, dass Birbanto Konrad tötet, muss sich jedoch unter Laquedems Gewaltanwendung zum Pascha zurückbringen lassen. Als Conrad erwacht und Médoras Entführung begreift, befehligt er seine Freibeuter erneut zur Befreiungsmission in den Palast von Seyd Pascha einzudringen. Dort tötet Conrad den des Verrats überführten Birbanto und nimmt Médora mit sich auf das Piratenschiff.
Doch die Handlung ist lediglich das Gerüst für eine Menge fabelhafter Tanznummern. Und auf diese konzentriert sich Manuel Legris, pantomimische Gestik setzt er nur sparsam ein. Die einzige rein pantomimische Rolle ist Seyd Pascha, die bei der Premiere mit Mihail Sosnovschi besetzt war. Zwar spielt er den von seinem Harem umgebenen Pascha mit überzeugender Genüsslichkeit, doch ist die Rolle mit einem Klassetänzer wie ihn wohl überqualifiziert besetzt (in den Folgevorstellungen darf er als Laquedem auch seine tänzerischen Stärken einbringen). Dass die von ihm gekaufte Sklavin Gulnare (sauber und präzise: Liudmila Konovalova) ein sicheres Leben an seiner Seite dem Abenteuer eines Korsarenleben, in das sich ihre Freundin Médora mit ihrem Conrad aufmacht, vorzieht, ist bei diesem gemütlichen und großzügigen Macho nicht verwunderlich. (Auch wenn sie wahrscheinlich ihre Vorzugsstellung bald mit der Anonymität seiner Haremsdamen tauschen wird – aber wir sind im Märchen …)
Die Leistungen der Solisten und des Ensembles verdienen uneingeschränktes Lob: Hitzig und mit vollem Einsatz agiert Robert Gabdullin als Conrad. Obwohl kein Bravourtänzer meistert Gabdullin die technischen Tricks dieser Rolle meisterhaft und kann auch im berühmten Pas de deux überzeugen, der bei keiner Gala und keinem Wettbewerb fehlen darf. (Legris hat die Variationen des Sklaven Ali auf Conrad übertragen, und nicht ein Pas de Trois, das üblicherweise in dem Ballett vorkommt, daraus gemacht.) Durchwegs gelassen, elegant, spielerisch, verführerisch und technisch unfehlbar sicher: Maria Yakovleva als Médora.
Hervorstechend sind an diesem Abend Davide Dato als Birbanto mit seiner flinken und präzisen Beinarbeit und Alice Firenze als seine nicht minder funkelnde Freundin Zulméa. Die beiden versprühen im ersten und zweiten Akt uneingeschränkte Tanzfreude und südliches Temperament.
Souverän tanzt Kirill Kourlaev als Sklavenhändler Laquedem seine schwierigen Schrittfolgen und drückt der Rolle des Bösewichts seinen unvergleichlichen Stempel auf. Als die drei Odalisken, die der Pascha für ihn auftanzen lässt, bezaubern Natascha Mair, Nina Tonoli und Prisca Zeisel.
Igor Zapravdin hat die ausgewählten Musikstücke (vorwiegend aus der Feder von Adolphe Adam) wunderbar zusammengestellt, und dem Abend auch musikalisch eine geschlossene Form gegeben. Valery Ovsianikov leitet das Orchester mit erfahrener und unaufgeregter Hand, und entfaltet den Melodienreigen zu vollem Klang.
Diese märchenhafte Umsetzung findet im Ambiente der dezenten und stimmungsvollen Ausstattung von Luisa Spinatelli statt, die für jede Location das Lokalkolorit auf Hintergrundprospekten vorgibt und mit sparsam eingesetzten Requisiten ergänzt. Das lässt die Bühne für den Tanz frei! Ein paar Burka-verschleierte Frauen auf dem Basar konnte sich die Kostümbildnerin nicht verkneifen, doch grosso modo bleibt auch sie der romantischen Vorstellung von der orientalischen Ästhetik treu.
Am Ende schwankt das Piratenschiff hochdramatisch im schwarzblauen Licht (Marion Hewlett) seinem Untergang entgegen, und Médora und Conrad werden auf das sonnendurchfluteten Ufer geworfen, wo sie einander – weit weg von Sklavenhändlern, Freibeutern und Paschas – ewige Treue schwören können. Jubel im Zuschauerraum!
Wiener Staatsballett: „Le Corsaire“, Premiere am 20. März 2016 an der Wiener Staatsoper. Weitere Vorstellungen mit alternativen Besetzungen am 21., 23., 28., 31. März sowie am 1. April