Fulminant wurde der Abschluss des diesjährigen Osterfestivals Tirol mit dem zeitgenössischen Tanzstück "Speak Low If You Speak Love" von Wim Vandekeybus in Innsbruck gefeiert. Durch viel Körper- und Bewegungsvirtuosität, wurde die Vielfältigkeit der Liebe ins wortwörtliche Scheinwerferlicht gestellt und von ihr die Hüllen gezogen – vom Bühnenbild und wie auch von den Tänzern. Der Titel des Stücks geht auf einen Song von Kurt Weill und einen Text von Shakespeare zurück. Dieses Gesangsstück wurde auch in die Inszenierung mit eingebunden.
Die Liebe als ein universelles Thema wurde von allen anderen Seiten als der romantisch-althergebrachten gesehen: "Im Wesentlichen handelt alles von Liebe und ihrer physischen Ausformung. (...) In Speak Low If You Speak Love betrachte ich die emotionale Seite, die Leidenschaft, die Gefühle, das Mysteriöse, und auch die verkommene Seite. (...) Es ist nicht die Absicht von Ultima Vez in dieser Produktion ein ganzheitliches Bild zu schaffen, mit dem man das Phänomen der Liebe verstehen kann, da es in der Liebe kein klares Bild gibt: sie ist schwerelos", so der Choreograph. Gleichermaßen wie im realen Leben die Liebe schwer zu erklären ist, so war es schwer diese im Stück zu fassen. Die dargestellte Vielfältigkeit der Liebe wurde auch im Bühnenbild durch durchsichtige Seidentücher in vielfältig matten Farben widergespiegelt. Die Dramaturgie kontrastierte durch brutale Szenen mit Hilferufen, Orgien, Liebeskämpfen, brüllenden Moralaposteln bis zu Vergewaltigungen mit diesem Bühnenbild. Wirklich liebevolle, innige Momente gab es selten, dagegen wurde auf hochdramatische Weise die Liebe als Fatum einer höheren Kraft, die die menschliche Seele bis zur fatalen Irre besetzt, dargestellt. Zu Beginn des Stücks hatten die Tanzenden verbundene Köpfe ähnlich den Cupido d’amore, den Liebesengeln, die vor Liebe blind geworden sind.
Wim Vandekeybus Dramaturgie und Choreographie kann als getanzte "Hormonpille" bezeichnet werden und zeigte wie Liebe heutzutage in jeder Hinsicht kommerzialisiert wird.
In diesem zum Teil überpointierten Gesamtkunstwerk standen das Spiel und die Kontaktaufnahme mit dem Publikum an sehr zentraler Stelle. Das Publikum wurde wortwörtlich eingebunden mit einem ausgeworfenen Lasso und sinnlich vereinnahmt bis zur Schallschmerzgrenze: nicht nur die Muskeln der ausgezeichneten TänzerInnen der Ultima Vez Company gerieten ins Zittern, etwa bei den virtuosen Tours en l'air der Herren.
Die getanzten Sujets konnten zum Teil als Anleihen aus Mythologie und Dichtung wahrgenommen werden: wie zum Beispiel der Tod und das Mädchen oder Odysseus und die Sirenen. Dabei wird die Genderdualität aufgehoben oder verschwimmt. Wenn alle - Tänzerinnen gleichermaßen wie Tänzer – beispielsweise im roten Frauenkleidchen auftreten, werden Travestiebilder suggeriert. Trotz allem dominieren althergebrachte Rollenbilder und heterosexuelle Dimensionen der Liebe und Erotik. Die Nacktszenen stellten kein Novum dar und provozierten dabei keine ästhetische Trunkenheit, sondern nur ekstatisches Lachen im Publikum. Im Allgemeinen zeichnete sich das Stück durch eine Überlänge aus, wobei der natürliche Schlussmoment überrollt wurde.
Vandekeybus’ Company tanzte nicht nur, sondern war auch Teil der dramaturgisch-musikalischen Landschaft dieses Gesamtwerks. Umgekehrt waren Musiker wie auch Sängerin und Tanzende in der Inszenierung als gleichwertige Handelnde auf der Bühne in Aktion, etwa die südafrikanische Sängerin Tutu Puoane als personifizierte Liebe oder auch Schicksal und der flämische Rock’n’Roller Mauro Pawlowski.
Ultima Vez / Wim Vandekeybus: “Speak Low If You Speak Love” am 27. März 2016 im Congress Innsbruck (Dogana) im Rahmen des Osterfestival Tirol