Noch ist der letzte Vorhang zu Ivan Liškas 18-jähriger Staatsballett-Direktionszeit nicht gefallen. Nach der Exkursion in Pina Bauschs Tanztheaterkosmos steht ab 3. Mai die Wiederaufnahme des exotischen Märchenklassikers „La Bayadère“ (Patrice Bart) – quasi als Schlussstein – auf dem Programm. Die 12. Ausgabe der Terpsichore-Gala am 7. April nahm die Kompanie trotzdem zum Anlass, um dem Chef ein tanzintensives, kurzweiliges Dankeschön zu kredenzen.
Abschied – auf Raten. Am Ende jedenfalls, nebst reichlich Goldkonfetti, sprach Überraschungsgast John Neumeier höchstpersönlich seinem ehemaligen Tänzer und dessen Repertoireerfolgen für das Münchner Ensemble Lob aus.
Am Pult des Bayerischen Staatsorchesters eröffnete Ballettdirigent Myron Romanul vollmundig mit dem Frühlingsstimmen-Walzer von Johann Strauß. Prima la musica! Dann aber – statt die Bühne sofort für den dynamischen Schwung der Tänzer freizugeben: ein schnell getaktetes Bilderhopping. Liškas Person und Wirken in Fotos, Zahlen und Preisen. Ihm zu Ehren also das folgende Fest, zu dem die Gäste Iana Salenko (Staatsballett Berlin) und Steven McRae (Royal Ballet London) gleich zu Beginn mit Balanchines „Tschaikowsky-Pas de deux“ ein Feuerwerk der schönen Linie und sich steigernder tanztechnischer Extraklasse abfeuerten. Explosiv, wie derzeit draußen die Baumblätterknospen.
Leider reichte das stimmungsmäßig eher unterkühlte „Esmeralda“-Pas de deux von Laura Hecquet (Étoile der Pariser Opéra seit 2015) und ihrem ebenfalls aus Paris angereisten Partner Karl Paquette daran nicht heran. Emotional schwerer hatten es Polina Semionova (Staatsballett Berlin) und Jason Reilly (Stuttgarter Ballett), die aufgrund von Lucia Lacarras krankheitsbedingtem Ausfall zwei Nummern mit dem tragischen Schlussakt-Pas-de-deux aus John Crankos „Onegin“ ersetzten. Natürlich herzschmerz-fetzend grandios. Zuvor zeigte ein erster Choreografiebeitrag des Prager Nationalballettleiters Petr Zuska mit viel zwischenmenschlich-subtilem Humor das Wechselhafte gender-typischen Vokabulars.
Die mit modernem Drive den Raum durchmessenden, herausfordernden Schrittkombinationen von „Déjà vue“ locker aus dem Ärmel schüttelten Alina Nanu und Giovanni Rotolo (Tschechisches Nationalballett Prag). Offenbar mit dem Trott ihres Tanztuns unzufrieden, ließen sie das aus Soli und Duett-Momenten gebaute Stück in einem bis zu den Spitzenschuhen reichenden Kleidertausch kulminieren. Später brillierten und berührten ihre Kollegen Zuzana Šimáková und Ondřej Vinklát (in seinen Sprüngen federleicht!) in einer stilistisch zwischen Jiří Kylián und Nacho Duato dicht gewebten Tanzelegie namens „Lyrical“ zu ukrainischen und ostslowakischen Volksballaden. Ihr Schöpfer – Liškas Landsmann Zuska – tanzte 1998 am Gärtnerplatztheater in Philip Taylors Balletttheater München. Seither vertiefte er sein früh spürbares choreografisches Talent, mit dem er die Klaviatur sowohl ernstgelagerter, melancholischer als auch humorvoller Werkstrukturen beherrscht.
Der tschechische Großmeister Jiří Kylián sollte mit der Sequenz „Knitted Dress“ aus seiner 2009 für das Bayerische Staatsballett kreierten multimedialen Choreografie „Zugvögel“ als bedeutsamer Partner für die Kompanie aufscheinen. Aber Zuzana Zahradníková (am Vorabend hatte sie noch die Rolle der Prudence in Neumeiers „Kameliendame“ verkörpert) konnte wegen einer Verletzung leider nicht tanzen.
In die Pause entließ das Bayerische Staatsballett sein klatschfreudiges Publikum mit Frederick Ashtons 1956 anlässlich des 25-jährigen Jubiläums des Royal Ballets entstandenen Ballerinen-Hommage „Birthday Offering“ (Musik: Alexander Glasunow) – in München erstmals 2013 zur Terpsichore-Gala XI einstudiert. Inhaltlos präsentieren sich hier sieben Paare in hübscher Formation sowie jede der Damen in einer anders funkelnden Variation. Das virtuose Fußspitzen-Arm-Defilée bestritten Katherina Markowskaja, Ivy Amista, Evgenia Dolmatova, Mai Kono, Luiza Bernardes Bertho, Ekaterina Petina und Daria Sukhorukova – letztere mit dem Zusatzzuckerl eines Pas de deux, geführt von Cyril Pierre.
Zuvor steppte Steven McRae sich mit seinem „Czardas“ (Vasko Vassilev: Czardas für Violine und Klavier) in alle Herzen. Michael Flatley (Paraderolle: Lord of the Dance): war einmal! Der australische Ballerino kann’s – gespickt mit diversen Tanzstileinsprengseln – glatt noch besser. Schon im Warm-up, cool in Jeans und Muskelshirt, kurbelt er das Tempo seiner klackernden Sohlen rauf und runter – easy wie der Drehknopf eines Rekorders. Die komplementäre Bewegungsbegabung hat auch andere Choreografen inspiriert. Beispielsweise Christopher Wheeldon in seinem Ballett „Alice’s Adventures in Wonderland“, das Liška-Nachfolger Igor Zelensky ja kommende Saison nach München bringen will.
Den Auftakt zum zweiten Teil gestalteten Marta Cerioli, Carl von Godtsenhoven, Simon Jones und Flemming Puthenpurayil (Junior Company) absolut souverän. Dabei galt es mit Richard Siegals zeitgenössisch-munter, aber ohne besondere Eigenheiten dahinplätscherndem „The New 45“ die Aufmerksamkeit der Zuschauer erst wieder einzusammeln. Aus der Junior Company ins Hauptensemble nachgerückt (wo er weiterhin bleiben wird), zählt der vielseitige englische Halbsolist Jonah Cook zu den auffallenden Newcomern seit 2012. Liška vertraute ihm sein ursprünglich 2005 für den tschechischen Solisten Lukáš Slavický auf Klavierklänge von György Ligeti ausgedachtes Solo „Ricercare“ an.
Im vierten Satz von Leonide Massines „Choreartium“ – wunderbar passend als glorioses Finale – reihte Cook sich in den (einfach genial konzipierten) Kanon aneinander vorbeidriftender Paare und sich immer neu staffelnder Gruppen ein. Der Highlight-Kontrast hierzu: das Wiedersehen mit der exquisit-dramatischen Maria Eichwald (Münchner und Stuttgarter Exsolistin) und einem hinreißend verzweifelten Friedemann Vogel (Stuttgarter Ballett) in Kenneth MacMillans „Manon“-Finale.
„Terpsichore-Gala XII“ am 7. April an der Münchner Staatsoper.