Mit Rollendebuts in den drei weiblichen Hauptrollen bot das Wiener Staatsballett eine wie gewohnt sauber und engagiert getanzte Vorstellung. Doch der Konflikt, der die Handlung vorantreibt und der immerhin den Status der Frau thematisiert, bleibt hinter der Virtuosität zurück. Denn auch wenn man in diesem balletthistorischen Orientmärchen keinen Realismus erwartet, böte vor allem die Rolle des Conrad doch einigen Interpretationsspielraum.
„Le Corsaire“ bedient alle Klischees, die das Orient-Bild des 19. Jahrhunderts prägten, und die Manuel Legris in seiner gelungenen Inszenierung zeitgetreu umsetzt. In diesem Rahmen ist es gar nicht so einfach den Rollen ein glaubhaftes Profil zu verleihen. Zu leicht geraten die Charaktere zu eindimensionalen Comic-Figuren. In diesem Ballett gibt es nur einen Helden: der Pirat Conrad. Dieser hat allerdings gegenüber seinen Widersachern und Rivalen einen nicht zu vernachlässigenden Vorteil: Er handelt im Sinne heutiger Wertbegriffe, indem er sich auf die Seite der Frauen stellt. Alle anderen Männer sind in dieser Hinsicht unsympathisch. Sie betreiben die Versklavung der Frauen (Lanquedem), verteidigen sie (Birbanto) oder profitieren von ihr (Seyd Pascha).
Diese Unterscheidung treffen die Solisten an diesem Abend nur bedingt. Francesco Costa ist ein gut gelaunter Lanquedem, der seine Variationen mit freudigem Einsatz tanzt - so wird aus diesem Sklavenhändler ein netter, harmloser Bursche. Birbanto erweckt im ersten Akt des Stückes, besonders durch die Pas de deux mit Zulméa einen durchaus anständigen Eindruck. Erst im zweiten Akt mutiert er zum Verräter, der als Anführer der Piratenmannschaft den Mord an seinem Boss plant, als dieser die Frauen aus ihrer Gefangenschaft in die Freiheit entlässt. Good turns bad - ein Klassiker und Masayu Kimoto gelingt diese Verwandlung einwandfrei. Doch Denys Cherevychko kann dem Conrad kein Leben einhauchen. Mit großer Geste posieren - das rutscht nur zu leicht ins pathetisch Lächerliche ab. Cherevychko bestätigt sich einmal mehr als großartiger Bravourtänzer, für den der Rollencharakter sekundär zu sein scheint.
Mihail Sosnovshi hingegen mimt den Seyd Pascha mit genüsslicher Gelassenheit. Er fühlt sich sichtlich wohl in seinem Harem, den er mit gut- und großmütiger Väterlichkeit durch kostspielige Neuerwerbungen aufstockt. Schade, dass dieser charismatische Tänzer, der in dieser Pantomime-Rolle wohl weit unter seinem Wert gehandelt wird, nicht einmal den Conrad verkörpert. Da könnte man wohl eine neue Lesart des in unbestechlicher Liebe zu Médora Entbrannten erleben.
Die Frauenrollen sind in diesem Ballett natürlich ebenfalls ganz dem Orientalismus verpflichtet. Ihr Rollendebut als Médora gab Nina Poláková. Der kantigen Tänzerin, die vor allem im modernen Fach immer wieder brilliert, will man die Rolle des Weibchens nicht so ganz abnehmen, die ihren Herrn und Gebieter so artig um die Freilassung iher Freundinnen bittet. Darin findet sich die zierliche Natascha Mair weit besser zurecht, die sich als Gulnare nur zu gerne verwöhnen lässt und bei Gefahr in die sicheren Arme ihres Paschas flüchtet. Ionna Avraam tanzt erstmals als Zulméa, und tut dies mit dynamischer Leichtigkeit. Makellos auch die drei Odalisken Nikisha Fogo, Eszter Ledán und Nina Tonoli. Der insgesamt überzeugenden Leistung des Ballettensembles wird musikalisch ebenbürtig entsprochen: Valery Ovsianikov dirigiert routiniert die Collage aus scheppernden Gassenhauern, einfühlsamen Melodien und sentimentalem Kitsch.
Wiener Staatsballett „Le Corsaire“ am 23. September 2016 in der Wiener Staatsoper. Weitere Vorstellungen mit wechselnden Besetzungen: 1., 11., 14. und 17. Oktober.